Natürlich konnten unsere beiden Töchter, mittlerweile selbst zweifache Mütter, als erstes „Mama“ sagen, aber eines der nächsten Wörter, das sie fehlerfrei aussprachen, war „Wasserwirtschaftsverwaltung“. Und das kam so.
Wir wohnen in der Nähe eines Landschaftsschutzgebietes, des Ramsbachtals, benannt nach dem Rinnsal, das diese Idylle auf etwa 1,5 km Länge durchquert. Der Ramsbach war zur Zeit unserer Kinder ein Bächle, wie man hierzulande sagt, eingezwängt in ein Betonbett, wie das in der „Vorkriegszeit“ nicht selten gemacht wurde, „hart verbaut“ nennen das die Fachleute. Immer wenn wir uns auf einem Spaziergang dem Bach näherten, forderte ich die beiden Kleinen auf, sich hinzuhocken und zu lauschen. Hört ihr, was der Bach murmelt? fragte ich sie. Ungläubiges Kopfschütteln.
Ich übersetzte. Er sagt: „Aua, mir tut alles weh. Die bösen Männer von der Wasserwirtschaftsverwaltung (!) haben mich in dieses enge Bett eingeklemmt (den Ausdruck „Prokrustesbett“ vermied ich bewusst), so dass ich mich überhaupt nicht bewegen kann. Aua!“ Unsere Kinder hörten ihrem Vater andächtig zu und wiederholten nach anfänglichen Fehlversuchen bald einwandfrei das Wort „Wasserwirtschaftsverwaltung“. Irgendwie muss diese Geschichte den Verantwortlichen zu Ohren gekommen sein, denn vor rund zehn Jahren wurde der Ramsbach „renaturiert“: Das Betonbett wurde rausgerissen und durch ein naturgemäßes Bachbett ersetzt. Sehr gelungen. Für knapp eine Million Euro. Schauen Sie es sich mal an, wenn Sie gerade in der Nähe sind.
Meine Frau, eine studierte Pädagogin, beobachtete stirnrunzelnd, aber schweigend unser Bach-Ritual. Das änderte sich, als ich begann, mit unseren Kindern „Politiker“ zu spielen. Es ist ganz einfach, sagte ich, ihr braucht dem Papa nur nachzusprechen „Bla, bla, bla“. Was sie bald einwandfrei beherrschten. Meine Frau fand das unverantwortlich, konnte sich aber mit ihrem Protest nicht durchsetzen. Die Versuchung war einfach zu groß.
Wat mutt dat mutt!
An diese mehr als dreißig Jahre zurückliegenden beiden Episoden musste ich denken, als ich kürzlich den treffenden Beitrag von Thomas Rietzschel las „Nur funktionale Analphabeten verhandeln ergebnisoffen“. Ja, die Sprache unserer Politiker. Das ist schon eine Sache für sich.
Fangen wir doch gleich mit der Kaiserin ohne Kleider an. Ihre überragende Rhetorik habe ich bereits an anderer Stelle gewürdigt. Achse-Leser H.-J. Stellbrink hat dazu ausgeführt:
„Wahre Größe verbirgt sich hinter wolkigen Formulierungen. Sie bedarf keiner detaillierten Erläuterung oder eines Plans, sondern entfaltet sich im Augenblick der politischen Krise. Insofern ist unsere Kanzlerin eine ganz große. Sie ist als erste halbwegs Konservative in die linksgrünen Denkblasen eingedrungen und bedient deren moralischen Rigorismus meisterhaft, indem sie ihre Kabinettskollegen bei politischen Fragen ins Feuer schickt und erst, wenn der Sieger feststeht, sich zu ebendiesem macht. Die Kanzlerin versteht es durch ihre Führung von hinten meisterhaft, sich zur Lösung der Probleme anzubieten, die sie selbst verursacht hat. Ihre Strategie zum politischen Machterhalt ist meisterhaft, die Lösung politischer Probleme wie der Massenimmigration, der Euro-Krise und der Energiepolitik bleibt dabei allerdings auf der Strecke, von Weitsicht über die Legislaturperiode hinaus ganz zu schweigen. Wie staatsmännisch erscheint doch rückblickend der ‚Flasche Bier‘-Kanzler Schröder, dessen Vermächtnis Deutschlands derzeitige wirtschaftliche Stärke ist.“
Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, will man Wiederholungen vermeiden.
Wie ich befürchtet hatte, sind mir viele Leser nicht bei der Feststellung gefolgt, dass unsere Politiker, von Ausnahmen abgesehen „über eine hohe bis sehr hohe Intelligenz verfügen“. Ich will deshalb nicht weiter auf diesem Punkt herumreiten, zumal ich nicht ausschließen möchte, mich hier im Irrtum zu befinden. Allerdings drängt es mich, so kurz vor Weihnachten, dem Fest der Liebe, doch eine Lanze für unsere Politiker zu brechen. Dabei nehme ich tapfer in Kauf, mir Unmut zuzuziehen. Wat mutt dat mutt!
Politikersprache – mal von der anderen Seite betrachtet
Wenn wir die Sprache unserer Politiker unter die Lupe nehmen, sollten wir eines beachten, was leicht aus dem Blick gerät: Wir erleben Politiker fast ausnahmslos durch die Medien, vornehmlich das Fernsehen. Abgesehen von Übertragungen von Bundestagsdebatten, in denen viel abgelesen wird, was andere geschrieben haben, müssen sich Politiker in Interviews, Talkshows, Gesprächen und sonstigen Anlässen oft blitzschnell druckreif äußern und zwar so, dass nicht nur der Journalist, sondern möglichst auch der Zuschauer die Aussagen versteht.
Dabei handelt es sich nicht selten um komplexe Zusammenhänge wie die Maastricht-Kriterien, die diversen Rettungsschirme, den Nahost-Konflikt oder die Rentenformel. Man kann getrost davon ausgehen, dass dabei sowohl den Politikern als auch den Journalisten nicht selten die notwendigen Detailkenntnisse fehlen. Dass bedingt nicht nur den häufig „unspezifischen“ Inhalt der Fragen, sondern auch die Schablonenhaftigkeit der Antworten.
Hinzu kommt die Atmosphäre des Gesprächs: Scheinwerfer, Kameras, Publikum, ständiges Dazwischenreden der Journalisten oder anderer Gesprächsteilnehmer und etliches weitere, was der Zuschauer gar nicht mitbekommt. Unsereiner sitzt währenddessen entspannt im Sessel, nippt hin und wieder an seinem Wein oder Bier und kommentiert hämisch jedes „äh“ und jeden Versprecher. Bei Aufzeichnungen muss jeder Politiker überdies damit rechnen, dass ein Teil seiner Äußerungen dem Schnitt zum Opfer fällt, was durchaus mal dazu führen kann, dass eine Aussage nahezu in ihr Gegenteil verkehrt wird. Erfahrene Politiker formulieren ihre Sätze daher gerne so, dass sie eben nicht beliebig gekappt werden können, was ihrer Qualität in aller Regel abträglich ist.
Kein Freibrief, aber ein bisschen Empathie
Hinzu kommt schließlich: Wie Sie und ich haben Politiker natürlich auch Emotionen. Dies gilt namentlich nach einer „krachenden Wahlniederlage“. Außerdem ist es unvermeidlich und legitim, dass Politiker auch an ihre wirtschaftliche Situation denken, schließlich haben nicht wenige eine Familie zu ernähren, Schulden für das gerade erworbene Eigenheim abzuzahlen oder einen Angehörigen zu Hause, dessen Krankheit Unsummen verschlingt.
Dies alles bleibt uns als Beobachtern verborgen. Wir erwarten, dass der Mensch, der sich da anmaßt, uns, das Volk, zu vertreten, all jene Eigenschaften zeigt, die selten ein einziger Mensch in sich vereinigt: hohe Intelligenz gepaart mit einem einwandfreien Charakter, große Eloquenz und glänzende Rhetorik, Fachwissen bis in die letzten Details, Empathie und Nervenstärke, Schlagfertigkeit und Gelassenheit, Freundlichkeit und Härte und was weiß ich noch alles. Und wenn je einer diesem Ideal ziemlich nahe kommt (fällt Ihnen da jemanden ein?), läuft er Gefahr, von uns als arrogant abqualifiziert zu werden.
In Anlehnung an den deutschen Titel eines Buches des längst vergessenen Henry de Montherlant plädiere ich – mit oder ohne Hans Magnus Enzensberger – für „Erbarmen mit den Politikern“, auch sie verdienen unsere Empathie. Wer Gefallen an diesem Gedanken findet, sollte, insbesondere wenn er Katholik ist, mal hier reinschauen – oder Sebastian-Kurz-Fans hier. Das ist beileibe kein Freibrief für Politiker, dummes Zeug daher zu reden oder gar uns zu verarschen. Es ist lediglich ein Versuch, um etwas mehr Verständnis für diejenigen zu werben, denen wir täglich ungestraft die Meinung sagen können und dies auch tun.