Von gutem Feuilleton erwartet man, dass es konventionelle Denkmuster durchkreuzt. Ein Feuilleton, das dem intellektuellen Mainstream hinterherdackelt, ist verzichtbar. Aus dieser Perspektive enttäuschend der heutige Aufmacher der FAZ. Reinhard Loske, Professor für Nachhaltigkeit an der Uni Witten, liefert darin ein wenig schmeichelhaftes Porträt seines Professorenkollegen Karl-Heinz Paqué ab. Paqué arbeitet auf FDP-Ticket in der Bundestagskommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ mit. Und hat in dieser scheinbar die Frechheit, bestimmte „unwidersprechbare“ Annahmen besagten gesellschaftlichen Mainstreams zu unterlaufen.
Etwa die moralische Grundhaltung, dass Beschränkung gut ist und wir heute irgendwelche „natürlichen“ Wachstumsgrenzen erreicht hätten. Paqué versucht scheinbar, eine ökonomisch nicht stagnierende Gesellschaft zu denken. Das scheint Loske so sehr zu provozieren, dass er sich zu seiner eher banal geschriebenen Polemik gedrängt sah.
Entlarvend wird sein Text da, wo er versucht, Paqués Freiheitsbegriff zu unterminieren. Dies beginnt mit der oft gelesenen Jammerei, die bösen Liberalen würden so sehr auf eine schnöde Konsumfreiheit setzen. Loske hält seinen Versuch für clever, einen anderen, natürlich komplexeren Liberalismusbegriff zu entwickeln. Er findet, die wahre Freiheit sei die „Freiheit zum Verzicht aus Verantwortungsgefühl“. Das aber ist natürlich gedanklicher Unsinn. Verzicht und Verantwortungsgefühl mögen ja sinnvolle Dinge sein. Aber sie sind nun einmal konzeptionell nicht der Inbegriff von Freiheit. Genauso wenig, wie der moralische Druck auf Theater- oder Kinomacher, bestimmte als obszön beurteilte Dinge nicht zu zeigen, diese erst zu wahrer Freiheit führt. Auch das ist eine – gesellschaftlich womöglich ja sogar begründbare – Beschränkung von Freiheit.
Loske zieht dann mit geschichtswissenschaftlichem Entlarvungstamtam liberale Autoren wie John Stuart Mill oder Adam Smith heran, um zu zeigen, dass auch die schon dem Verzicht und dem starken Staat das Wort geredet hätten. Ob diese Darstellung den beiden wirklich entspricht, will ich hier gar nicht diskutieren. Aber der Versuch, Liberalismus über die auch ihm innewohnenden Beschränkungen von Handlungsfreiheit zu denken, führt in die Sackgasse. Kern liberalen Denkens – und der Part, der es spannend macht – sind Staatsstärke und Verzicht sicher nicht. Liberale Philosophen versuchen immer, einen möglichst breiten Freiheitsbegriff zu entwickeln. Sie wollen diskutieren, warum und in welchem Maße Freiheit möglich ist. Die „auch der Liberalismus will nicht…“-Denkform entkleidet diesen seines Kerns. Der liegt eben eher in Ermöglichungsgedanken. Und diese sind in einer verzichtskonsensualen Gesellschaft radikaler als das übliche Ökonomismusbashing à la Loske.
Dass dessen Text im FAZ-Feuilleton erscheint, demonstriert zweierlei: Zum einen, wie konsensfähig seine Thesen sind. In der Tat finden sich da alle üblichen Bilder aus der Klischeekiste des sozialdemokratisierten Mainstreams. Etwa die immer hochemotionalen Attacken gegen das Personal der FDP. Schon der Name Rösler versetzt den gemeinen deutschen Lehrer ja in sofortiges hysterisches Gegacker.
Zum zweiten zeigt es, wie stark das deutsche Feuileton selber inzwischen in der gesellschaftlichen Mitte sitzt. Und obwohl „die Mitte“ in unserer mediokratiefreudigen Republik ein moralisch unterfütterter Kollektivfetisch geworden ist, finde ich das schade. Denn intellektuelle Überraschungen sind aus der Position des Schrebergartens nicht zu erwarten – wie der langweilige Loske-Text zeigt.