Alexander Gutzmer / 25.12.2014 / 09:33 / 1 / Seite ausdrucken

Kims großer Plan

Kim Jong-Un ist ein begnadeter Stratege. Die Mechanismen des Kapitalismus durchschaut er wie kein zweiter. Er weiß: Scheinbar drohende Knappheit eines Gutes und die Bedrohung durch ein feindliches Regime sind der beste Weg, für ein Filmerzeugnis Aufmerksamkeit zu generieren. Und globale Aufmerksamkeit für die Satire „The Interview“, in der er selber die wichtigste Figur darstellt, ist natürlich im Sinne des Regenten. Schließlich ist an ihm ja ein begnadeter Mime verloren gegangen. Seine barocke Öffentlichkeitsarbeit bezeugt dies, ebenso wie seine legendären Auftritte auf Kult-Websites wie „Kim Jong-Un looking at things“. Kim ist ein Genie der viralen Kommunikation.

Nun also seine raffinierte Hacker-Attacke. Und Sony Pictures ist natürlich drauf reingefallen. Der kapitalistische Saurier hat mitgespielt, ganz so wie es der ausgeklügelte Plan Kims vorhersehen hatte. Das Unternehmen ist zunächst scheinbar irritiert, reagiert dann aber so, wie es, gefangen in den Schlingen kapitalistischer Logik, reagieren muss: Sony Pictures macht Werbung für Film und Diktator. Nach rhetorischem Zögern verbreitet die Firma den Film, vermeintlich selektiv, um einen Nachfragehype zu erzeugen. Alle wissen nun vom Film, viele gehen rein – und Kim Jong-Un lacht sich im Stil eines Bond-Villains ins Fäustchen.

Aber damit nicht genug. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Marketingkampagne nur die erste Stufe in einem komplexen Gesamtplan darstellt, mit dem Kim den Vereinigten Staaten in deren spätkapitalistischem Siechtum den letzten Schlag verabreichen will. Kim weiß: In der politischen Postmoderne wird der Kampf der Ideologien über Bilder entschieden. Und da hat er nun mal die Nase vorn („looking at things“, wie gesagt). Sein überlegenes filmisches Verständnis kann auch nicht überraschen – schließlich entstammt Kim einer Dynastie großer Filmdenker. Schon Opa Kim Il Sung schrieb sich seinem Volk mit den Mitteln großer Historienfilme ins kollektive Gedächtnis ein. Sein Sohn Jong-Il ging dann analytisch einen Schritt weiter. Er schrieb filmtheoretische Standardwerke wie „On the Art of Cinema“. Auch als Regisseur wurde das Universalgenie bekannt. Er drehte zum Beispiel den Horrorfilm „Pulgasari“. Dessen Entstehung war dem Großmeister nicht leicht gemacht worden. Den Regisseur hatte er zum Beispiel aus Südkorea entführen müssen. Ein mutiger, geradezu heroischer Akt, in dem sich unbedingter Gestaltungswille zeigt sowie die Fähigkeit, sich im Dienste der Kunst gegen Widerstände der Kleinmütigen durchzusetzen.

Nun also Jong-Un. In ihm verbindet sich das filmische Genie des Vaters mit der politstrategischen Raffinesse des Großvaters. Nachdem er so schlau Sony aus der Reserve gelockt und die Spannung der globalen Filmöffentlichkeit aufgebaut hat, wird bald der nächste Schlag erfolgen: ein eigener Film. Die von Hollywood gefürchtete filmästhetische Antwort der cinematografischen Weltmacht Nordkorea. Es liegt auf der Hand: Der große Un dreht gerade an einem Streifen, in dem er selber die Hauptrolle spielt. Es wird ein Film sein, der die naturgegebene Überlegenheit der sozialistischen Filmproduktion unzweideutig unter Beweis stellt und Sony Pictures, Obama und die CIA in ihre engen kulturellen Schranken weist. Das Wissen dafür ist in seinem Land vorhanden – nicht zuletzt durch die Grundlagenarbeiten seines Vaters. Der formulierte Sätze, die in Sachen Film keine Fragen offen lassen. Sätze wie diesen: „Ein Film beginnt mit Details, aber am Ende nimmt er große Formen an. Das ist auch im allgemeinen Leben so.“ Alles klar oder?

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Max Wedell / 25.12.2014

Gut, das Geschilderte mag die nordkoreanische Seite der Film-Zukunft sein. In Hollywood könnte es so weitergehen: Die bekannte Reihe von Blockbusterfilmen unter dem Namen “Transformers” beschreibt eine Welt, in der die Erde durch Außerirdische überfallen wird, die dazu die Formen von schnittigen Automobilen und anderen Fortbewegungsmitteln annehmen. In Anlehnung an “Transformers” könnte also jetzt ein Film gemacht werden, in dem Kim Jong Un die USA erobert, indem er sich in ein Dreirad verwandelt. Arbeitstitel: “Korean Transformer”. Die bekannte Serie von Filmen mit “Alien” im Namen handelt von den Versuchen bösartiger Außerirdischer, es sich im Bauch von Menschen gemütlich zu machen, um dann in unpassenden Momenten plötzlich aus der Bauchdecke zu schießen. Auch ein daran angelehnter Film wäre möglich, der Szenen enthalten könnte wie etwa die Rede an die Nation des US-Präsidenten, bei der plötzlich Kim Jong Un aus der Bauchdecke des Präsidenten schießt und in die Kameras faucht: Bin schon hier! Der weitere Verlauf des Films könnte sich nach dem bekannten Muster aller Zombiefilme entwickeln, also kurz zusammengefasst: Alle Menschen laufen in panischer Angst weg, stolpern aber früher oder später, und werden dann leider aufgefressen. Durch die üppige Nahrungszufuhr wird Kim Jong Un immer (noch) dicker und dicker, bis er sich schließlich in den Drahtseilen der Brooklyn Bridge verwickelt und von Kampfjets getötet wird. Arbeitstitel des Films: “Korean Alien Zombie Godzilla”. In Nordkorea lehnt man allerdings wohl das viele Blut und die ständige Gewalt in derartigen Filmen ab. Auch die Nordkoreaner wollen doch Filme anschauen, die einmal etwas anderes als den Alltag zeigen, eine kleine Flucht aus ihm erlauben. Es ist also viel wahrscheinlicher, daß dort eine romantische Komödie mit Kim Jong Un realisiert wird. Z.B. so: Kim Jong Un ruft in einer weltweit ausgestrahlten Radio-Sendung zum Thema “Wünsche zu Weihnachten” an, und Milliarden zuhörende Frauen realisieren dadurch, welch ein hochsensibler und gefühlvoller Traummann er ist… u.a. auch die Amerikanerin Kimmie in Baltimore. Nach vielen Irrungen und Wirrungen findet das Traumpaar schließlich durch einen glücklichen Zufall zueinander - Happy End. Arbeitstitel: “Schlaflos in Pyöngyang”. Die Herzen amerikanischer Frauen würden beim Anschauen des Films dahinschmelzen und die Invasion Amerikas durch den großen Führer wäre dann immerhin schonmal zu 50 Prozent erledigt.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Alexander Gutzmer / 18.07.2015 / 17:06 / 2

Deutschland – ein Fetisch

Als größter Wohltäter der deutschen Linksdenkenden erweist sich seit Wochen Wolfgang Schäuble. Dessen harte Linie zum Thema Griechenland-Kredite dient ihnen als Steilvorlage. Mit großem Enthusiasmus…/ mehr

Alexander Gutzmer / 25.01.2015 / 06:55 / 14

Pegida-Pegada-Pegaga: Anti-Amerikanismus als gemeinsamer Nenner

Man wundert sich fast, dass es so lange gedauert hat. In Erfurt haben unter PegXda-Banner Tausende „gegen die Amerikanisierung des Abendlandes“ demonstriert. Es war klar,…/ mehr

Alexander Gutzmer / 21.01.2015 / 07:24 / 10

Immer wieder die Frage: Was ist liberal?

Die große Enttäuschung gleich zu Beginn: Ich habe als Antwort auch keinen Einzeiler, der so klar ist, dass der Text hier aufhören könnte. Ich erspare…/ mehr

Alexander Gutzmer / 17.01.2015 / 09:45 / 1

Terror und die Mediengesellschaft

An den Charlie Hebdo-Debatten zeigt sich ein Mechanismus unserer Mediengesellschaft besonders deutlich: Die Tendenz letztlich jedes Diskurses, in seinem Verlauf zunehmend reflexiv zu werden. Am…/ mehr

Alexander Gutzmer / 12.11.2014 / 08:08 / 4

Lieblingthema von „Print“: „Print“

Ach ja, der Printjournalismus. Oder allgemein das „Prinzip Print“. Es stirbt, das lesen, hören und wissen wir. Irgendwie zumindest stirbt es. Gefühlt. Sagen doch alle.…/ mehr

Alexander Gutzmer / 18.08.2014 / 09:29 / 4

Der neue “linke” Nationalismus

Als Gratmesser öffentlichen Bewusstseins eignet sich kein Medium so gut wie Facebook. Nachzuvollziehen war das hervorragend im Zuge der amerikanischen Abhöraktivitäten. Die Empörung in meinem…/ mehr

Alexander Gutzmer / 29.04.2014 / 22:32 / 14

Schuld am FC Bayern-Desaster: die 17 anderen Bundesliga-Clubs

So fühlt er sich also an, der Boden der Tatsachen. Real Madrid hat Fußball-Deutschland demonstriert, dass sich die Grundkoordinaten des Clubfußballs mitnichten fundamental verändert haben…/ mehr

Alexander Gutzmer / 02.03.2014 / 16:44 / 3

Neo-Mormonen in Kreuzberg

Es ist die Zeit der überraschenden – oder scheinbar überraschenden – Allianzen. Etwa zwischen Teilen der linken Bürgerlichkeit und dem Antisemitismus. Oder zwischen konservativen und…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com