Alexander Gutzmer / 17.01.2015 / 09:45 / 1 / Seite ausdrucken

Terror und die Mediengesellschaft

An den Charlie Hebdo-Debatten zeigt sich ein Mechanismus unserer Mediengesellschaft besonders deutlich: Die Tendenz letztlich jedes Diskurses, in seinem Verlauf zunehmend reflexiv zu werden. Am Ende diskutieren wir jeweils nicht mehr über die Sache, sondern über unsere Herangehensweise an die Sache. Was nicht schlecht ist oder “weich”, sondern ein Wesenszug aufgeklärter Gesellschaften.

Zumal es in diesem Fall ja auch eine direkte Reaktion auf die „Botschaft“ des Pariser Attentats ist. Dieses bildete das brutale und lächerlich eindimensionale Pendant islamistischen Terrordenkens zur Medienkritik. Insofern ist die ganze Diskussion bei uns eine passende Antwort auf die Attentäter. Auf einer Meta-Ebene lautet die Message: Schaut her, Terroristen, sogar auf Eure plumpen Mordaktionen kann unsere diskursive Kultur reagieren. In diesem Zusammenhang sind auch die (durch die Serviceangebote des Internet natürlich leicht zu realisierenden) „Je suis Charlie“-Posts zu sehen. Auch sie stellen eine den Regeln unserer medial ästhetisierten Kommunikationsgesellschaft entsprechende Reaktion dar. Der Grundzug dieser Gesellschaft ist, da hat Habermas nach wie vor Recht, der offene Diskurs. Auch die autistische Baller-Logik der Attentäter unterminiert diese Logik nicht.

Was nichts daran ändert, dass im Rahmen dieser Diskurslogik auch Untiefen der Mediengesellschaft an die Oberfläche gespühlt werden. Zum Beispiel die strukturelle Überforderung vieler Akteure. Speziell das Prinzip Blog erfordert die permanente Bereitschaft aller Beteiligter, die ganz große Weltlage zu kommentieren, und zwar mit am besten mit einer provokativen These. Dies führt zu absonderlichen Ergebnissen. Da unterliegt dann schnell mal eine thematisch überforderte Berliner Jungbloggerin der Verlockung, die naheliegende Überschrift „Ich bin nicht Charlie Hebdo“ zum Ausgangspunkt ihrer Textproduktion zu machen. Sie wollte halt einfach mal eine ganz kecke These formulieren, und da bot sich diese Überschrift eben an, die zuvor testweise wahrscheinlich bei hunderten anderer Blogger auf dem Bildschirm gestanden hatte. Bei ihr blieb sie dummerweise stehen. Heraus kam eine Ansammlung an Plattitüden, die alle darauf hinaus laufen, dass die Autorin nicht genügend Differenzierungsfähigkeit beweist, um das Gut der freien Meinungsäußerung abzugrenzen von ihren wackeren ethischen Grundregeln wie „Lasst uns doch mal alle nett zueinander sein“. Allerdings erfuhr die Gute dann auch die volle Härte der Logik des Internet, was sie zu einem folgenden, im Wesentlichen nur noch schockierten und entsprechend wirren Folgetext veranlasste.

Auch das, muss man sagen, gehört zu der komplexen und in ihrer Komplexität starken westlichen Medienwelt. Es ist eine Medienwelt der Widersprüchlichkeiten und der nicht immer einfach zu dechiffrierenden Zwischentöne. Das kluge Cover der Nach-Anschlag-Ausgabe von Charlie Hebdo hat genau diese Logik des Zwischentons aufgegriffen. Anders als die IS-inspirierten Terrorzellen. Deren Mordlogik ist der kommunikativen Ausdifferenzierung nicht fähig. Ihnen signalisiert die gesamte Debatte nur: Ihre zerstörerische Grundhaltung hat nicht gesiegt, sie kann gar nicht siegen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Thomas Baader / 17.01.2015

Diese etwas überfordete Bloggerin, die der Text erwähnt, ist auch schon vor einigen Jahren in Erscheinung getreten, um Buschkowsky als Rassisten zu brandmarken. Damals tat sie das noch unter dem lustigen, lustigen Namen Meike von Wegen. In einem einzigen Punkt hat die Dame allerdings Recht: Sie ist wirklich nicht Charlie. Seien wir darauf stolz.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Alexander Gutzmer / 18.07.2015 / 17:06 / 2

Deutschland – ein Fetisch

Als größter Wohltäter der deutschen Linksdenkenden erweist sich seit Wochen Wolfgang Schäuble. Dessen harte Linie zum Thema Griechenland-Kredite dient ihnen als Steilvorlage. Mit großem Enthusiasmus…/ mehr

Alexander Gutzmer / 25.01.2015 / 06:55 / 14

Pegida-Pegada-Pegaga: Anti-Amerikanismus als gemeinsamer Nenner

Man wundert sich fast, dass es so lange gedauert hat. In Erfurt haben unter PegXda-Banner Tausende „gegen die Amerikanisierung des Abendlandes“ demonstriert. Es war klar,…/ mehr

Alexander Gutzmer / 21.01.2015 / 07:24 / 10

Immer wieder die Frage: Was ist liberal?

Die große Enttäuschung gleich zu Beginn: Ich habe als Antwort auch keinen Einzeiler, der so klar ist, dass der Text hier aufhören könnte. Ich erspare…/ mehr

Alexander Gutzmer / 25.12.2014 / 09:33 / 1

Kims großer Plan

Kim Jong-Un ist ein begnadeter Stratege. Die Mechanismen des Kapitalismus durchschaut er wie kein zweiter. Er weiß: Scheinbar drohende Knappheit eines Gutes und die Bedrohung…/ mehr

Alexander Gutzmer / 12.11.2014 / 08:08 / 4

Lieblingthema von „Print“: „Print“

Ach ja, der Printjournalismus. Oder allgemein das „Prinzip Print“. Es stirbt, das lesen, hören und wissen wir. Irgendwie zumindest stirbt es. Gefühlt. Sagen doch alle.…/ mehr

Alexander Gutzmer / 18.08.2014 / 09:29 / 4

Der neue “linke” Nationalismus

Als Gratmesser öffentlichen Bewusstseins eignet sich kein Medium so gut wie Facebook. Nachzuvollziehen war das hervorragend im Zuge der amerikanischen Abhöraktivitäten. Die Empörung in meinem…/ mehr

Alexander Gutzmer / 29.04.2014 / 22:32 / 14

Schuld am FC Bayern-Desaster: die 17 anderen Bundesliga-Clubs

So fühlt er sich also an, der Boden der Tatsachen. Real Madrid hat Fußball-Deutschland demonstriert, dass sich die Grundkoordinaten des Clubfußballs mitnichten fundamental verändert haben…/ mehr

Alexander Gutzmer / 02.03.2014 / 16:44 / 3

Neo-Mormonen in Kreuzberg

Es ist die Zeit der überraschenden – oder scheinbar überraschenden – Allianzen. Etwa zwischen Teilen der linken Bürgerlichkeit und dem Antisemitismus. Oder zwischen konservativen und…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com