Es ist die Zeit der überraschenden – oder scheinbar überraschenden – Allianzen. Etwa zwischen Teilen der linken Bürgerlichkeit und dem Antisemitismus. Oder zwischen konservativen und reformerischen Moralikonen in Sachen Steuertrickserei.
Das neueste Get-Together kommt aus Berlin-Kreuzberg. Seit jeher Lieblingsstadtteil aller, die „alternativ“ sein wollen in Deutschland, entwickelt sich das Quartier zunehmend in bemerkenswerter Parallelität zum konservativsten Teil der amerikanischen Gegenwartsgesellschaft. Deren Rückständigkeit wurde gerade in Kreuzberg gerne zitiert, um die eigene Liberalität zu unterstreichen. Nun aber scheint man sich Tea Party Country zum moralischen Vorbild zu nehmen: Sexistische Werbung soll in Kreuzberg verboten werden.
Keine nackte Haut mehr auf Billboards – das kommt natürlich an in Kreuzberg, weil es den bösen Kapitalismus domestiziert. Es ist außerdem die Übertragung des Prinzips Frauenverschleierung auf die Werbung. Es dürfte aber auch Musik in den Ohren inkognito durch Kreuzberg schleichender Tea Party-Mitglieder sein. George W. Bush wäre verzückt.
Zur Begründung der Kreuzberger Werberegulierer heißt es, man wolle so an einem „emanzipierten, bewussten und nachhaltigen Leben“ arbeiten. Lässt man „emanzipiert“ weg, könnte das aus der Rhetorikkiste der Mormonen stammen. Die dozieren gern von „environmental stewardship“, also einer Art höherer Form von Nachhaltigkeit. Die entsteht in Utah aus einem aufgeklärteren Bewusstsein. Eine Form der Weisheit, die die Mormomen nicht mit vielen teilen. Aber eben mit den Weisen aus Kreuzberg. Aufgrund der neuen Erleuchtung verstehen jene nun auch, anders als beispielsweise ich, was Nackedei-Werbung mit Nachhaltigkeit zu tun hat.
Was im Mormonen-Zentrum in der East North Temple Street, Salt Lake City, auch für ekstatische Freudentänze sorgen dürfte: Ebenfalls verboten werden soll in Kreuzberg die Darstellung von Hausfrauen. Die visionären Zensoren fürchten die Verbreitung „klassischer Rollenbilder“. Auch hier liegen sie ganz auf Line der Mormonen. Denn in deren Haushalten, so hält sich zumindest das Gerücht, interagieren gerne mal mehrere „Haus-Frauen“. Die Inszenierung nur einer Frau am Herd würde also alle anderen ungebührlich zurücksetzen. Und im übrigen ist die Viel-Frauen-Familie ja ein ausgesprochen alternativer Lebensentwurf. Er dürfte bei den Neo-Mormonen in Kreuzberg gut ankommen.
Einen weiteren Fall Utah-Kreuzberger Interkultur-Inspiration notierte die Berliner Lokalpresse übrigens vor gut zwei Jahren. Damals wurde einer der in Kreuzberg populären Fälle rituellen Abfackelns großer Autos gelöst. Als Täter entpuppte sich der spirituell inspirierte „André H.“ – ein streng gläubiger Mormone.