Alexander Gutzmer / 09.03.2016 / 12:00 / Foto: Horstbu / 16 / Seite ausdrucken

Schreiben im Namen des „Kleinen Mannes“?

Dies sind tückische Zeiten für Journalisten. Eigentlich sehen wir Schreiber uns als Anwalt des „Kleinen Mannes“ (im Folgenden „KM“). Wir schreiben für den KM. Wir imitieren seine Sprache; wir schreiben ihm Bonmots zu, um seinen formidablen Mutterwitz zu belegen. Im Grunde wollen wir vom KM geliebt werden. Was für ein Schock ist es da, wenn der KM uns nun scheinbar jegliche Sympathie entzieht (Stichwort „Lügenpresse“).

Dabei machen wir uns ja sogar die Denkmuster des KM zueigen. Das sieht dann so aus, dass jegliche Unmutsbekundungen des KM 1:1 wiedergegeben und zum Ausdruck eines heiligen Volkswillens hochgeschrieben werden. Genau hier aber knirscht es momentan im journalistischen Weltdeutungsgetriebe. Denn der KM neigt dieser Tage zu Anwandlungen, die klassisch links fühlenden, aber auch liberal denkenden Autoren nicht gefallen können. Die Themen sind bekannt: Flüchtlingshass, Fremdenfeindlichkeit, neovölkisches Bramarbasieren. Der KM macht uns unsere Sympathisierungs- und Volksadelungsroutinen gerade wirklich schwer.

Vielleicht wäre es ja mal Zeit für eine ganz andere Haltung. Eine, die vom „der KM hat immer recht“-Automatismus Abstand nimmt und auch das Lügenpresse-Gekeife einfach mal aushält. Man kann als Journalist (wie auch als Politiker) durchaus sagen, dass der KM eben nicht immer Recht hat. Man kann populäre gesellschaftliche Meinungsströmungen kritisieren.

Und man sollte das auch. Damit bestünde nämlich die Chance, die Binnenmechanik der neuen deutschen Xenophobie zu durchschauen. Man würde zum Beispiel die dabei mitschwingende Weinerlichkeit entdecken. Hinter der kraftmeiernden National-Rhetorik verbergen sich ja vor allem alle möglichen Ängste und Schwachheiten. Die automatische Ablehnung alles Fremden ist kein Ausdruck nationaler Stärke, sondern das hilflose Zittern fragiler Seelchen, die sich ihrer eigenen Rolle in der komplizierten Welt unsicher sind. Eine Art kollektives Burnout angesichts der Herausforderungen der Globalisierung. Die AfD ist die Selbsthilfegruppe der Burnout-Geschädigten. Eine Partei für Weicheier – und nicht, wie ihr Vordenker Marc Jongen phantasiert, Ausdruck eines wieder Raum greifenden „thymotischen Prinzips“.

Deswegen sind auch die vielen gut gemeinten Appelle an die Weichherzigkeit der Deutschen nicht das allein richtige Signal. Diese ermöglichen es den Ablehnern des Fremden immer noch, sich in dieser Ablehnung stark zu fühlen. Dieses Gefühl aber entbehrt jeglicher Grundlage. Um das zu verdeutlichen, sollten wir viel mehr an die angenommene Stärke der Menschen appellieren. Die Aussage wäre dann: „Wenn Ihr wirklich eine robuste Gesellschaft verkörpert, dann zeigt das auch, indem Ihr die globalisierungsinduzierte Komplexität schlicht und ergreifend aushaltet! Hört auf, Euch Euren kleingeistigen Abschottungsphantasien hinzugeben! Reißt Euch einfach mal zusammen!

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Leserpost

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Andreas Gneupel / 11.03.2016

Ihr Artikel nutzt die aktuelle Verunglimpfungsmasche, die alle Gegner muslimischer Masseneinwanderung zu Angsthasen stempelt . Ich finde, das Gegenteil ist der Fall. Diejenigen, die aus Angst vor Konflikten mit gewaltbereiten Kulturen oder schlechter Presse unsere mitteleuropäischen Errungenschaften nicht verteidigen, sind die Angsthasen. Im übrigen ist Veränderung an sich kein Wert. Sie kann positiv oder negativ sein. In jeder mindestens mittelgroßen Firma gibt es ein Änderungsmanagement. Wer etwas an bestehenden Fertigungsprozessen, Technologien, Materialien etc. verändern möchte, muss 1) den Nutzen nachweisen, 2) die Risiken bewerten und 3) sich die Genehmigung von allen betroffenen Abteilungen einholen BEVOR er die Änderung durchführt. Und das aus gutem Grund. Eine - natürlich immer gut gemeinte - Änderung, die die Produktqualität beim Kunden negativ beeinflusst, kann existenzbedrohend für die Firma sein. Und die Bundesregierung in der Masseneinwanderungsfrage? Nutzen? Risikobewertung? Genehmigung?  Fehlanzeige.

Ralf Orth / 10.03.2016

Zitat aus Gutzmer Text: “indem Ihr die globalisierungsinduzierte Komplexität schlicht und ergreifend aushaltet! Hört auf, Euch Euren kleingeistigen Abschottungsphantasien hinzugeben! Reißt Euch einfach mal zusammen!” Warum sollte man zwangsweise eine solche Meinung vertreten müssen? Meinungsfreiheit bedeutete doch mal, dass man auch gegen Zuwanderung usw. sein konnte. Warum wird es von den Gutmenschen wie Ihnen heute so dargestellt, als ob das schon eine nahezu verbotene Meinung sei? Demokratie, dachte ich, ist eine Form bei der unterschiedliche Modell zur Wahl stehen und man nach der Wahl sieht welches eine Mehrheit findet. Aber so einen Vorgang möchten Sie und andere wohl ausschliessen.

Karl Schurz / 10.03.2016

Wie wäre es damit? Lasst den KM - in Ruhe arbeiten - macht ihm keine Denkvorgaben - lasst ihm den Raum für seine individuelle Entfaltung nach den Glück im Leben zu streben - gängelt ihn nicht - nehmt ihn ernst, hört einfach mal zu Vielleicht wird das noch etwas bevor wir keine gemeinsame Sprache mehr haben.

Thea Wilk / 10.03.2016

Herr Gutzmer, das ist ein sehr guter Vorschlag, ich würde es sehr begrüßen, wenn die Kanzlerin und alle anderen Politiker und die Journalisten klipp und klar sagen und schreiben, dass sie anderer Meinung sind als die Bevölkerung und es für falsch halten, was die Bevölkerung will. Die daraus folgenden Konsequenzen sollten dann allerdings auch gezogen werden. Denn wichtig wäre in diesem Zusammenhang die Klärung der Frage, ob die Bevölkerung dafür da ist, um auszuführen bzw. zu erdulden, was die Regierung will; oder ob die Regierung dafür da ist, das zu tun, was die Wähler wollen. Stichwort: Demokratie, griechisch: “Herrschaft des Staatesvolkes”. Und wichtig wäre außerdem, zu prüfen, mit welchem Programm die Regierenden bei der letzten Wahl angetreten sind und ob es ggf. wichtige Themen und Punkte gibt, die im letzten Wahlprogramm fehlten, die jetzt aber die Politik der Regierung bestimmen und die massive Auswirkungen für das Land und die Wähler haben. Der Wählerwille und die Zustimmung der Wähler dazu sollte dann per Neuwahlen (oder durch einen Volksentscheid auf Bundesebene) eingeholt werden.

Raoul Schmalfeldt / 10.03.2016

Ich kann diesen Artikel nur als eine (wenig gelungene) Satire verstehen. Wenn nicht, dann ist die Überheblichkeit kaum zu überbieten.

Veronika Kottisch / 10.03.2016

Warum empfehlen Sie der Regierung nicht, sich endlich mal “am Riemen zu reissen” und das zu tun, was sie bisher verweigert ? Z.B. die wirklichen Kiregsflüchtlinge von den Wirtschaftmigranten zu unterscheiden, da erste natürlich bei fast allen Deutschen willkommen sind. Offen und ehrlich über die bereits bestehenden Schwierigkeiten und die zu erwartenden, noch viel größeren Schwierigkeiten zu sprechen bzw. den gesellschaftlichen Diskurs zuzulassen. Begründete Kritik der Bevölkerung anzunehmen statt die Kritiker in die rechte Ecke zu schieben. Dann würde sicher ein Konsens darüber entstehen, welche und wieviele Menschen wir aufnehmen können und wollen. Warum das Gegenteil davon die Folge der Globalisierung sein soll, erschliesst sich mir nicht. Falls wir einen kollektiven Burnout haben, dann angesichts der Herausvorderungen, die uns die Politik z.Zt. aufzwingt.

Michael Genniges / 10.03.2016

Gutzmers Polemik baut auf Märchen auf. “Die automatische Ablehnung alles Fremden” gibt es nicht, nicht bei der AfD und nicht bei Pegida. Der deutsche KM (und seine Frau und seine Kinder) können schon lange sehr gut mit “Fremden”. Und offensichtlich wissen sie mehr über den Islam als Gutzmer oder haben zumindest ein gänzlich anderes Gespür dafür, was eine millionfache Einwanderung von Trägern dieser Ideologie für uns Europäer bedeutet. Ich demonstriere nicht für die AfD und gegen den Islam, weil er mir fremd ist, nein, je mehr ich über ihn weiß, desto entschiedener meine Antipathie. So handelt es auch nicht um das “hilflose Zittern fragiler Seelchen”, im Gegenteil, einige Deutsche lernen es gerade, Ihre eignen Interessen selbstbewußt und furchtlos zu vertreten, anstatt nur “auszuhalten”.

Roland Schmiermund / 10.03.2016

Die “Presse” tut gerade alles dafür, dass sie nicht mehr gelesen wird. Tolle Idee, mit den einfach so weiter machen: Dann hat es sich bald ganz mit den Presseerzeugnissen. Wie wäre es damit, aus den “Nachrichten” grundsätzlich die eigene Meinung rauszuhalten.

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