Deborah Ryszka, Gastautorin / 05.03.2023 / 16:00 / 19 / Seite ausdrucken

Kultur-Kompass: „Der Islam“

In seinem neuen Buch beleuchtet Hamed Abdel-Samad die Geschichte des Islams. Ein wichtiges Werk für jeden, der verstehen will, wie die expansive Dynamik dieser Religion auch uns selbst betrifft.

Seine Autobiografie „Mein Abschied vom Himmel“ aus dem Jahr 2009 brachte ihm den Abschied von seinem Leben, wie er es bisher gekannt hatte. Denn sobald das Werk 2013 in Ägypten herausgekommen war, rief eine Gruppe die Fatwa gegen ihn aus. Seitdem kann ein jeder Tag Hamed Abdel-Samads letzter sein. Seitdem begleiten ihn Personenschützer. Tag für Tag. Monat für Monat. Jahr für Jahr.

Dabei ist Abdel-Samad so etwas wie ein Stern am islamischen Himmel. Er kennt den Islam, weiß, wie er tickt, und kennt Wege aus dem islamischen Irrglauben. Indirekt wurde er auch hierfür honoriert. Der Asteroid 249010 ist nach Abdel-Samad benannt. Das ist zwar kein Stern, aber immerhin ein guter Anfang.

Ebenfalls wie Abdel-Samads „Islam. Eine kritische Geschichte“. Wie gewohnt, nimmt Abdel-Samad kein Blatt vor dem Mund. Er sagt, was zu sagen ist, während er die Geschichte des Islams auf etwa 320 Seiten beleuchtet. Hierbei nähert er sich nicht nur historisch der muslimischen Weltreligion. Nein, er berücksichtigt politische und wirtschaftliche sowie kulturelle Aspekte.

Weniger Geschichtserzählung als Weckruf

Zudem versucht er sich einem einseitigen Blickwinkel auf die islamische Geschichte zu entziehen. Weder macht er sich mit den nörgelnden Miesepetern noch mit den glorifizierenden Hurra-Muslimen gemein. Stattdessen versucht er sich von beiden Perspektiven zu lösen und eine möglichst ausgewogene, mehrperspektivische, weil realistische Geschichte des Islam zu erzählen.

Ganz zu Anfang liefert Abdel-Samad sogar zehn Thesen, die sich durch die gesamte muslimische Geschichte ziehen. Eine von diesen Thesen, konkret die vierte, lautet:

„[…] Der friedliche Islam dominiert heute in Gebieten, die nicht mit dem Schwert islamisiert wurden, wie in Indonesien und Teilen Afrikas, wo die Sufis die Religion bekannt machten. Die intolerantesten Versionen finden sich im Iran der schiitischen Mullahs und in den Golfstaaten, wo Ölscheichs die Verbreitung des Wahhabismus bis nach Europa förderten.“ 

Das macht aus Abdel-Samads Geschichtsbuch auch keine herkömmliche Geschichtserzählung. Vielmehr liest es sich wie ein Weckruf.

Anstatt sich chronologisch zu bewegen, springt er ab und an in der Zeitgeschichte umher. Das tut dem Ganzen aber keinen Abbruch. Im Gegenteil. Es untermauert die Dringlichkeit und Wichtigkeit seiner Thesen. Trotzdem erfährt der Leser einiges über das Leben des Propheten Mohamed, die Entstehungsgeschichte des Islam und über den Dauerkonflikt zwischen Sunniten und Schiiten bis hin zur heutigen Wirkmacht von Islamisten auf unsere europäische Gesellschaft.

Wie befinden uns in einem Kulturkampf

Für wen das etwas zu abenteuerlich sein sollte, der kann getrost auf die im Buch bereitgestellte geordnete Zeitleiste zurückgreifen. Das sollte alles wieder abfedern können. Weniger die gravierenden inhaltlichen Schlussfolgerungen, die Abdel-Samad zieht, als vielmehr die formalen Eigenheiten. Wie heißt es so schön: „Jedem Tierchen sein Pläsierchen“.

Denn: Deutschland und Europa würden nicht wissen, wer sie seien. Dementsprechend sei Deutschland mutlos, entscheidungsunfähig und handlungsunfähig. Ganz anders der Islam. Dieser wisse ganz genau, wer er sei und was er wolle. Nämlich: die Vergangenheit zurückholen und den Islam groß machen. Daher sei der Islam auch so entschlussfreudig, proaktiv und expansiv. Deswegen bestimme er auch gegenwärtig, welche Richtung unsere Gesellschaft einschlage. Mit fatalen Konsequenzen, wie wir sehen würden.

Doch es sei noch nicht zu spät. Deutschland und die Europäische Union könnten noch handeln. Nur sie müssten es auch tun. Denn wir befänden uns in einem Kulturkampf, wo es „fressen oder gefressen werden“ heißen würde. Trotzdem hätten wir die Wahlmöglichkeit: Entweder lassen wir eine Islamisierung der Demokratie zu. Oder wir besinnen uns auf unsere Werte und setzen uns für eine Demokratisierung des Islam ein. Letztlich liege es am Westen. Was er daraus mache. Wie er agiere.

Wenn dieser sich auch „richtig“ entscheiden wird, wissen wir auch, wie Abdel-Samads nächstes Werk sicherlich nicht heißen wird: „Mein Abschied vom Westen“. Aber bleiben wir optimistisch: So weit wird es schon nicht kommen. Oder etwa doch?

Hamed Abdel-Samad: „Der Islam. Eine kritische Geschichte“, dtv, München 2023 (erhältlich unter anderem hier)

 

Deborah Ryszka, geb. 1989, M.Sc. Psychologie und Doktorandin der Philosophie.

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Wolfgang Richter / 05.03.2023

“wie die expansive Dynamik dieser Religion auch uns selbst betrifft.” Dann sollte “man” dieses Buch dringend den berliner Verfechterinnen der Ideologie der “Feministischen Außenpolitik” zukommen lassen, die ja auch die Idee haben, “islamischen Richtern und Staatsanwälten” , die vorgeben, von den Taliban verfolgt zu werden, hier ASYL anzubieten. Daß es sich bei diesen Herrschaften nicht um Juristen im hier bekannten Sinne handelt, sondern um die Scharia umsetzende “Friedensrichter”, ausgebildet in den afghan. Koranschulen oä. , die sodann sicher in den hiesigen islamischen Communities weiter wirken und das schon bestehende parallele Rechtssystem dieser Gemeinden munter weiter ausbauen. Darüber werden vor allem die nach hier geflohenen weiblichen Islamgläubigen, die hier auf ein freieres Leben hoffen, ganz besonders erfreut sein.

giesemann gerhard / 05.03.2023

@Helmut D.: Sprüche 31, 10 - 31. DAS haut dich um.

giesemann gerhard / 05.03.2023

@Armin R.: Leider GEHT das nicht weg. Das klebt wie Pattex. Sacramento dolores. Auch Michel Houellebecq meint: Haut doch einfach ab. Schön wär’s.

Thomas Szabó / 05.03.2023

Der Islam kurz erklärt: Gläubige kommen in den Himmel, Ungläubige kommen in die Hölle. Ungläubige, die gute Menschen sind, kommen in die Hölle. Gute Menschen kommen in die Hölle. Schlechte Menschen, die das für gut halten, kommen in den Himmel. -> Gute Menschen kommen in die Hölle, schlechte Menschen kommen in den Himmel.

Margit Broetz / 05.03.2023

Es ist ein Mythos, daß es in Indonesien oder in Afrika einen toleranten Islam gäbe. Die vergleichsweise Har(a)mlosigkeit dortiger Strömungen resultieren nur aus den nach der Kolonialzeit zunächst säkular errichteten Republiken, und werden derzeit massiv von strenggläubigen Fundamentalisten unterwandert und geschleift, sogar in Thailand und auf Bali. Der einzige Fall tatsächlich friedlichen Zusammenlebens mit Nicht-Moslems, der mir bekannt ist, war das Bosnien vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg. —- Daß der Islam im neunten Jahrhundert aus einer Richtung des pränizänischen Christentums entstanden ist, die also nach dem Konzil von Nicäa die Gleichung 3 = 1 nicht mitmachen wollte (d.h. die Trinität, also Vater, Sohn, und Heiliger Geist sind eins), beschreibt sehr schön Norbert G. Pressburg in “Good Bye Mohammed: Das neue Bild des Islam”, in dem die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte für Laien verständlich aufbereitet sind. Damit wird nicht nur verständlich, warum der Koran die Christen als “Beigeseller” bezeichnet, die also Gott weitere Figuren beifügen, sondern auch daß Mohammed und Jesus ein und dieselbe Person sind (“Muhamad” ist zeitgenössisches arabisch—ursprünglich altägyptisch— für “Chrystos” d.h. der “Gesalbte, Erhabene”).

Rainer Niersberger / 05.03.2023

@U. Hering :  So ist es und wer sich mit der Entstehungsgeschichte des Islam naeher befasst, es gibt durchaus interessante Literatur dazu, der findet noch mehr Erstaunliches. Dazu gehoert auch das Narrativ eines toleranten Islam, eins sinnenfreudugen Islam und eines Islam, der zeitweise Traeger der Wissenschaften gewesen sein soll. Was dazu fuehrt, dass man glauben moechte, es ginge auch ganz anders. Ein etwas genauerer Blick zeigt nicht nur den christlichen Einfluss, sondern den arabischen zu einer Zeit, als der Islam noch nicht den “Einfluss” hatte und nicht nur den arabischen Wissenschaftlern das Leben sehr schwer machte.  Und zum guten Schluss waere interessant, wie man sich die Demokratisierung einer totalitaeren Ideologie vorstellen darf. Es braucht dazu nicht einmal den Islam wie wir aktuell sehr, denn ein Blick auf das gruene oder linke Programm verraet, dass es anders herum laeuft. Die Ideologien, ohnehin nicht nur totalitaer verwandt, bzw ihre Vertreter im Regime bzw den Parteien schaffen gerade die liberale, rechtsstaatliche Demokratie ab. Die Feststellung des Zustandes ist natuerlich richtig. Sie trifft aber auch auf die Transformation zu. Von einer Partei abgesehen kaempft hier niemand mehr fuer Demokratie, Freiheit und Recht, im Gegenteil. Der” Wertewesten” ist mehr oder weniger am Ende und das ganz ohne Islam, so aehnlich wie Rom auch ohne Germanen am Ende war. Insoweit verhallen derartige Appelle im Nirwana, im westlichen Nihilismus, zumal man hierzulande weder willens, noch in der Lage ist, die politischen Konsequenzen aus dem Befund zu ziehen. Wie bereits mehrfach kommentiert duerfte es sich bei den hier regelmaessig positiv erwähnten Muslimen um Apostaten, um “Abweichler” von der islamischen Lehre und ihren Geboten, handeln.

Ludwig Luhmann / 05.03.2023

“Der friedliche Islam dominiert heute in Gebieten, die nicht mit dem Schwert islamisiert wurden, wie in Indonesien und Teilen Afrikas, wo die Sufis die Religion bekannt machten.Die intolerantesten Versionen finden sich im Iran der schiitischen Mullahs und in den Golfstaaten, wo Ölscheichs die Verbreitung des Wahhabismus bis nach Europa förderten.“—- “Der friedliche Islam” ist eine contradictio in adiecto, da der Islam auch als Tötungs- und Todeskult betrachtet werden kann. Mohammed selbst war ein erfolgreicher Raub- und Massenmörder. Das kann man in uralten islamischen Schriften nachlesen. Der nette Hamed ist, soweit ich das in Erinnerung habe, noch immer bekennender Mohammedaner, was vielllicht auch eine Art Gegentaqiyya ist. - Dass im Text das propagandistisch proislamische Wort “islamistisch” auftaucht, ist das Tüpfelchen auf dem i. Weil ich Nahrungsmittel, auf denen “Halal” steht, aktiv vermeide, würde ich auch kein Buch von einem Mohammedaner kaufen. Billige gebrauchte Bücher von Mohammedanern (Tibi, abdel-Samad et al.) habe ich allerdings gekauft, aber das ist schon Jahre her. Ich werde auch keine Lebensmittel mit EU-zertifiziertem Ungezieferpulver kaufen. —- BREAK: Wenn sich alles so weiterentwickelt wie bisher, dann hat der Islam das Potenzial, ein relativer Hort der Freiheit zu werden, während der sog. “freie Westen” immer deutlicher und immer schneller zu einem unerträglichen Hort der stakeholderbasierten Unfreiheit à la 1984 2.0 Forte umgebaut wird.

martin schumann / 05.03.2023

“Der Islam ist keine Religion. Er ist eine Ideologie, so gefährlich wie der Faschismus und der Kommunismus.” (Bertrand Russel)

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