Der junge österreichische Dramaturg Moritz Wurmitzer hält in seinem Stück „Veredelung der Herzen“ den gesellschaftlichen Eliten den Spiegel vor, ohne gleichzeitig politisch zu ideologisieren. Es ist weder ein plump-plattes Eindreschen auf angeblich rückschrittlich, konservativ-liberale Ansichten à la Jan Böhmermann. Ebenso wenig ist es ein von Ressentiments getriebenes Links-Grünen-Bashing.
Vielleicht bezieht sich der Dramaturg, Moritz Wurmitzer, ironisch auf Johann Wolfgang von Goethes Ode „Das Göttliche“?: „Edel sei der Mensch, /Hülfreich und gut!/ Denn das allein/ Unterscheidet ihn/ von allen Wesen, /Die wir kennen.“ Möglich wäre es. Denn in „Veredelung der Herzen“, seinem jüngsten Theaterstück, nimmt der junge Österreicher eben das auf’s Korn, was in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen als „ach-so-fortschrittlich“ gilt: eine ins Exzessive getriebene Selbstoptimierung. Um ein – in diesem Sinne – „guter“ Mensch zu werden.
Dabei schafft Wurmitzer das, was heutzutage selten zu finden ist: er hält den gesellschaftlichen Eliten den Spiegel vor, ohne gleichzeitig politisch zu ideologisieren. Es ist weder ein plump-plattes Eindreschen auf angeblich rückschrittlich, konservativ-liberale Ansichten à la Jan Böhmermann. Ebenso wenig ist es ein von Ressentiments getriebenes Links-Grünen-Bashing. „Veredelung der Herzen“ ist einfach das, was es sein soll: ein unterhaltsames und gleichzeitig lehrreiches Theaterstück. Das Politische steht im Hintergrund. Ebenso die moralische Belehrung. Hervorragend. Oder wie der Österreicher sagen würde: „buz varruckt“ und „buz gschied“.
Es beginnt bereits bei der sparsamen Besetzung. Lediglich drei Figuren treten auf: Anna, Christoph und Max. Trotzdem sprüht das Stück nur so vor Leben – formal wie inhaltlich: kurze schnelle Szenen wechseln sich ab, gefüllt mit flotten Dialogen und Sprüchen. Doch worum geht es? Zwar „liebt“ Anna ihren Freund, Christoph – doch anders, besser, das könnte er schon werden. Womöglich auch ganz anders, ganz nach ihren Wünschen. Daher macht sich Anna auf dem Weg ins Institut „Wege zum Glück“, wo sich die Leute von einer KI „veredeln“ lassen können.
„Fels der Vernunft inmitten eines Meeres aus Irrsinn“
Anna verkörpert hierbei den Fortschritt in personam. Ist es Zufall, dass Wurmitzer hier eine junge Frau den Fortschritt personifizieren lässt? Jedenfalls: Anna ist Programmiererin, Predigerin des Progressiven und „liebt“ ihren Freund ... den sie aber ändern möchte. Seine Hektik, „das geht (ihr) unfassbar auf die Nerven“. Sie ist sogar bereit, diese gesamte „Veredelung“ gegen seinen Willen und hinter seinem Rücken zu machen. Der Preis verhindert das. Doch schließlich schafft sie, es Christoph zu überzeugen. Gleichzeitig ist es der Anfang vom Ende. Und immer noch wird sie sich selbst als „Fels der Vernunft inmitten eines Meeres aus Irrsinn“ betrachten. Obwohl die Geschehnisse eine andere Sprache sprechen.
Christoph, Annas Freund hingegen, ist ein typischer Mitläufer. Obwohl er skeptisch gegenüber jeglichen Selbstoptimierungsversuchen ist, schwimmt er mit dem Strom mit. Doch seine Transformation hat es in sich. Vorher ein eher zurückhaltender, hektischer und chaotischer Mensch mit wenig Ehrgeiz und Technikskepsis, ist er nach seiner „Generalüberholung“ ein selbstbewusster und voller Tatendrang strotzender aufstrebender Mann. Das, was die Gesellschaft braucht. Just gründet Christoph eine Partei, die „Bewegung der Pioniere der Veredelung“ (BDPDV), um die „bedingungslose Veredelung“ in die Gesellschaft zu tragen. „Wir werden die Gesellschaft revolutionieren.“ Danach möchte er einen Thinktank gründen. „Wir dienen einer höheren Sache.“
Instrumentelles, opportunistisches Denken sind zu seiner zweiten Natur geworden. Auch in der Beziehung zu Anna: „Christoph: Und wann kommst du zu mir zurück und sagst dass es dir leid tut? Anna: Vielleicht nie. Christoph: Aber ... ich brauche Planungssicherheit ... du kannst doch jetzt nicht einfach gehen. Anna, bleib hier.“ Aus dem hässlichen Entlein ist ein „wunderschöner“ Schwan geworden. Vermeintlich. Denn die Katastrophe hat sich längst ihren Weg gebahnt. Wer ist mittendrin dabei und zugleich opportunistisch, ziellos, gewieft? Max, ein Mitarbeiter vom Institut „Wege zum Glück“. Oder doch eher „Wege zum Unglück“?
Alles in allem: Unideologisch, geistreich und wortwitzig legt der österreichische Dramaturg den Finger in die gesellschaftliche Wunde. Egal ob moderne Beziehungen, das „immer-gute-Laune-Lächeln“ oder die Transformation eines Toasters in einen Menschen, Wurmitzer trifft den Nagel auf den Kopf. Das ist bewundernswert, weil es doch eine Seltenheit in der deutschsprachigen Kulturlandschaft darstellt. Die Lektüre von „Veredelung der Herzen“ lohnt sich daher allemal.
Ob und inwiefern dabei die dramaturgische Umsetzung geglückt oder missglückt ist, das kann jeder selbst bewerten. Und zwar am kommenden Donnerstag, den 13. und Samstag, den 15. Juli dieses Jahres im Theater Heilbronn (mehr Informationen hier). Zugleich ist es auch eine Möglichkeit in die, im wahrsten Sinne des Wortes, Fußstapfen Goethes zu treten. Seine dritte „Schweizer Reise“ brachte ihn 1797 nach Heilbronn. Aber auch „veredelt“ wieder zurück?
Wurmitzer, Moritz. „Die Veredelung der Herzen“. Wien: Thomas Sessler Verlag. Hier bestellbar.