Jesko Matthes / 20.08.2017 / 18:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 3 / Seite ausdrucken

Die Welt überfallen, die Welt retten

Von Jesko Matthes.

Erinnern wir uns. Die EU ist Trägerin des Friedensnobelpreises.  Ein Wunder schien geschehen, der Kontinent zweier Weltkriege schien zum Vorbild des Weltfriedens mutiert zu sein. Nobelpreisträger sind ein kleiner, feiner Zirkel. Die Wissenschaftler unter ihnen treffen sich jährlich in Lindau am Bodensee. Wo aber treffen sich die Nobelpreisträger des Friedens, zum Beispiel: die EU und Barack Obama? Gewiss doch: Sie drehen das große historische Rad. Nun, wie sieht es aus, das „große historische Rad“? - Offensichtlich trifft man sich immer zweimal. Immer wieder denke ich an Michael Stürmer: Die Dämonen haben einen leichten Schlaf.

Hier kommen die Nachrichten des Tages. Die Mit-Friedensnobelpreisträger aus Polen teilen uns ebenso indirekt wie ultimativ mit, was sie von dem deutschen Weg zur Einheit Europas halten. Sie fordern Reparationen. Die Sache ist zumindest unangenehm, zählt es doch zur Staatsdoktrin der Deutschen, man habe aus dem Zweiten Weltkrieg, gar aus dem Holocaust, „gelernt“. Und so entdeckt nach dem Mit-Friedensnobelpreisträger Griechenland als Opfer deutscher Kriegsverbrechen nun auch Polen, wie sich Geschichte in Tagespolitik verwandeln lässt.

Eine Geschichte, der man - bei aller gefühlten Instrumentalisierung - als Deutscher allerdings nicht mit leichter Hand und per Lippenbekenntnis ausweichen kann, wo doch gerade schon Milliarden für Griechenland qua „Rettung des Euro“, Milliarden auch für Zuwanderer, offenbar aus der Portokasse zu bezahlen sind und bezahlt werden, gerade so, als würde damit eine alte Schuld beglichen werden können, die gegenüber den Opfern deutschen Terrors im Zweiten Weltkrieg selbst nie abgetragen worden ist. Warschau war eine Trümmerwüste wie Coventry oder Dresden, als Deutsche 1944 ein zweites Mal über Polen hergefallen waren.

Polen und Griechenland stoßen uns auf diese Weise mit der Nase in unsere eigene offizielle Staatsneurose. Ich bin gespannt, was uns die professionell Lernfähigen aus der Geschichte nun erklären über deutsche Verantwortung, deutsche Lernfähigkeit – und gemeinsam mit den anderen Friedensnobelpreis-Regierungen über die Friedensfähigkeit der Nobelpreisträgerin EU.

Italien, die NGOs und die Schlepper

Auch in Italien regt sich Interessantes. Ob es „sozial gerecht“ ist, mal von Seiten Deutschlands im Alleingang „offene Grenzen“ zu erklären, mal sich auf „Dublin“ zu berufen und die „Solidarität“ der Europäer einzufordern, ob es angemessen ist, von Seiten Italiens auf einen Partner Druck auszuüben, der par ordre de Merkel die Hauptlast der Flüchtlingskrise 2015 getragen hat - das ist nicht Italiens erstes Thema. Das erste Thema ist, ob deutsche NGOs beim Retten von Flüchtlingen professionelle Kontakte zu kriminellen Schlepperbanden pflegen, die einen Reibach unter Ausbeutung von Flüchtlingen machen. Die italienische Staatsanwaltschaft hat ein deutsches Schiff an die Kette legen lassen und ermittelt auf rechtsstaatliche Weise. Die beiden Fälle haben Parallelen: Die guten Deutschen werden für ihr Reden und Handeln in die Pflicht genommen, genau dort, wo es verdächtig danach aussieht, dass ihr Reden und ihr Handeln nicht übereinstimmen.

Das ist es, was bei deutschen Alleingängen herauskommt: per Panzer und Stuka in einer verführerischen, nationalchauvinistischen Ideologie - oder per Willkommenskultur und Hegemonie in einer verführerischen, materialistisch-idealistischen Diktion à la Herfried Münkler. Die angebliche deutsche Hegemonie über Europa ist so oder so ein Blick in den Abgrund der deutschen Neurose. Diese deutsche Neurose bietet jede Menge Angriffsfläche. Sie mag eine Fata Morgana sein, sie hat dennoch immer wieder das Zeug zum Sargnagel Europas.

Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch Evern

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Friedrich Trischberger / 21.08.2017

Wenn Deutschland der Sargnagel Europas zu werden droht, dann wird es allerhöchste Zeit, daß entweder Deutschland aus der EU austritt oder von den anderen Europäern höflich zum Austritt gedrängt wird: So können beide nur gewinnen: Die EU kann sich ohne das störende Deutschland endlich gesund entwickeln und Deutschland ist die überaus lästige und undankbare Rolle des vermeintlichen Hegemons endlich los und der deutsche Arbeitnehmer und Steuerzahler kann endlich aufatmen, wird sein sauer verdientes Geld doch nicht mehr sinnlos hinausgeworfen für die Schimäre EU.

Rudi Knoth / 21.08.2017

Ja die Deutschen können es Ihnen wohl nicht recht machen. Jetzt gibt es die Willkommenskultur und die NGOs, und dies ist aus Ihrer Sicht auch falsch. Und war denn Europa ohne Deutschland ein eurasisches “Auenland”. Wenn man die Kriege von Napoleon wohl offensichtlich nicht.

Klaus Reichert / 20.08.2017

Nachdem Libyen in Übereinstimmung mit Italien und unter Wiederbelebung eines Abkommens aus den Achtzigern seine Seegrenze kürzlich von 22 km auf rund 100 km erweitert hat und in diesem Gebiet selbst Flüchtlingsboote nach Libyen zurück bringt und NGO - Schiffe verjagt, wurde es in diesen Tagen per diplomatischer Note von der deutschem Regierung gewarnt, dies zu unterlassen und die NGOs nicht in ihrer Tätigkeit zu behindern. Quelle u.a. FAZ. Hier zeigt sich m.E. überdeutlich, dass die massive Förderung der Einwanderung aus Afrika kein irgendwie toleriertes und von Regierungsseite auch kaum zu verhinderndes “Ding” von ein paar ideologisch hochgerüsteten, in puncto gesamtgesellschaftlicher Verantwortung aber unterbelichteten NGOs ist. Nein, sie ist von Berlin -nicht von Rom, nicht von Paris- genau so und nicht anders gewollt.

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