Jesko Matthes / 15.11.2023 / 16:00 / Foto: Ninara / 7 / Seite ausdrucken

Auf zu den Sternen! – Der Kosmonaut Igor Wolk

Heute vor 35 Jahren startete zum ersten und letzten Mal „Buran“, das sowjetische Space Shuttle. Was dem Kosmonauten und Testpiloten Igor Wolk widerfuhr, hat bleibende Bedeutung, und noch mehr das, was er leistete. Ihn plagte „der kindische Gedanke, dass man uns etwas vormache“.

Als Rimantas Stankevicius und Igor Petrowitsch Wolk zur Landung ansetzten, hatten sie nicht viel zu tun, viel weniger, als ihnen lieb sein mochte. Umso mehr verfolgten sie konzentriert Höhenmesser, Geschwindigkeitsanzeige und künstlichen Horizont, Flugrichtung, Windrichtung und die Kontrollleuchte für das Ausfahren des Fahrwerks; denn alles geschah völlig automatisch. Nur wenig redeten und funkten sie, sahen kurz aus dem Fenster nach dem Kampfflugzeug, jener MIG, die sie bis zur Landung begleitete. Sanft nachfedernd wie ein Moskwitsch setzte die Fähre auf, die Triebwerke schalteten sich ab, und die Fähre rollte aus, kam schließlich zum Stehen in der prallen Wintersonne, mitten auf der eigens mit diamantenen Fräsen für die Landung plangeschliffenen Landebahn. Jubileiny, das Jubiläum, hieß sie, viereinhalb Kilometer in der grenzenlosen Steppe von Tyuratam, besser bekannt unter dem Tarnnamen „Baikonur“, kasachische autonome Sowjetrepublik. Es war der zehnte Dezember 1986. Es war nicht die Raumfähre, sein Flugzeug für den Kosmos, das Wolk schon kannte, „Spiral“, die MIG-105, von ihren Piloten zärtlich-ironisch „Lapot“ genannt, der Bastschuh, sondern das neue Modell. „Buran“ sollte es heißen, der Schneesturm. Aber auch diese Fähre war es nicht, vorerst nur ein in der Form und Aerodynamik baugleiches Modell namens OK-GLI – ausgestattet mit den vier Hecktriebwerken eines Flugzeugs für die atmosphärischen Tests und die Landemanöver, vor allem aber für den Clou der sowjetischen Fähre: den vollautomatischen Flug.

Das Bodenkollektiv begrüßte sie lachend, die Arbeiter in Overalls über dicken Pullovern, die Wissenschaftler und Funktionäre in Mänteln und Tschapkas aus Pelz, denn es war empfindlich kalt. Händeschütteln, Worte des Dankes und der Zufriedenheit, Lachen, Hoch-Rufe, sogar verhaltener Jubel. Die automatischen Steuer- und Regelbefehle hatten einwandfrei funktioniert. Der kleine Stankevicius und der aufragende, knorrige Wolk waren zufrieden. Sie waren ein Litauer und ein Ukrainer; ihre Lebenswege hatten sie erst in der Piloten-, dann in der Kosmonautenausbildung zusammengeführt. Sie waren Soldaten, Testpiloten, aber auch Techniker, Ingenieure, Kosmonauten. Bereits zwei Jahre zuvor, 1984, war Wolk als Forscher mit Saljut-7 im All gewesen. Stankevicius war diese Ehre noch nicht widerfahren, aber sie waren es, die den ersten bemannten Flug mit der neuen Fähre durchführen sollten. Wieder Händeschütteln. Sie mochten einander, konnten sich aufeinander verlassen. Und nicht wissen, dass keiner von ihnen je den Orbit sehen sollte, in den sie sich mit ihrem kosmischen Flugzeug sehnten. Wolk war der Frechere von ihnen. Durch konsequente Diät vor dem Start hatte er es geschafft, die relative Nutzlast von Saljut-7 in zwei Wochen um zwei Kilogramm zu erhöhen, um in seinem Raumanzug eine Flasche armenischen Cognac und ein Glas saure Gurken in den Orbit zu schmuggeln, auf die er nicht gern verzichtet hätte. Ansonsten saß er seit 1987 im Stadtrat seiner Heimatgemeinde, kümmerte sich ernsthaft um Umweltschutz und spielte erschreckend gut Tennis.

Unvermindert gingen die Arbeiten an der Fähre weiter, der echten, die in ihren Einzelteilen auf Flusskähnen und gigantischen Transportflugzeugen aus Moskau geliefert wurde, noch während Stankevicius und Wolk mitsamt ihrer Ersatzmannschaft ihre Trainingsflüge absolvierten. Der riesige Turm und die zuletzt gebaute, gigantische Halle in dem weiten Areal Baikonur-112/112A, auf dem schon die mehrfach spektakulär gescheiterte Mondrakete N1 gebaut, gewartet und mit allen Gasen und Flüssigkeiten betankt worden war, eigneten sich ideal für das sowjetische Shuttle. Es passte mitsamt seiner Trägerrakete „Energija“ und der aufrichtbaren Startlafette, die von vier Dieselloks zur Rampe gezogen werden musste, fast zweimal hintereinander in die MZK-80 Halle am Standort 112A. In den Kellern verliefen die kilometerlangen Rohre, standen die unzähligen Aggregate und Schaltschränke, und zu beiden Seiten lagen die langen Gänge mit den technischen Büros, den Zeichentischen, auch den Steuergeräten, Schaltkonsolen, Computern, Sektion für Sektion, alles an einem Ort, kurze Wege, soweit sie in einem über einhundert Meter langen, siebzig Meter breiten und achtzig Meter hohen Gebäude möglich waren.

Den Amis immer dichter auf den Fersen

Die Stimmung war gut, zupackend, zuweilen launig, hemdsärmelig. Man war den Amis immer dichter auf den Fersen. Tatsächlich stammten die Grundkonstruktionspläne für „Buran“ aus den USA. Alle Forschungen zum Shuttle waren in den ersten Jahren öffentlich zugänglich; ein etwas rätselhaftes Verhalten, dachte Wolk. Er machte sich wenig unnötige Gedanken, konzentrierte sich auf seine Aufgaben wie alle, aber je höher die Führungsebene, desto nervöser war man, das wusste er. Die ältesten Überlegungen zu einem Raumflugzeug waren rein militärischer Natur. Eugen Sänger hatte für die Nazis so etwas ausgearbeitet, Bomben auf New York, aus dem Weltraum. Er selbst, Wolk, war ausgebildeter Kampf- und Testpilot, hatte mehrfach in seiner MIG-105, dem „Bastschuh“ gesessen, der ein ganz ähnliches Ziel verfolgte. Und nun regierte in den USA der smarte, frech-elegante Ronald Reagan, Schauspieler hin oder her, ein lässiger Typ, dachte Wolk, einer, der auch noch Humor hat, und Breschnew, Andropow, Tschernenko aussehen ließ wie senile Großväterchen, und redete vom Krieg der Sterne, SDI.

Im Kreml wurde man immer angespannter, denn das US-Space Shuttle flog bereits seit Jahren in den Orbit. Sauereien konnte man machen mit dem Ding und seiner großen Ladebucht, zum Beispiel einen sowjetischen Satelliten einfangen oder manipulieren, mit hochauflösenden Kameras bis in den Infrarotbereich spionieren, vielleicht sogar eine Atomwaffe aus dem Weltraum ballistisch abwerfen, oder sogar gelenkt, direkt über der Sowjetunion. Das verkürzte die Frühwarnzeit auf die Hälfte oder weniger, bestenfalls fünfzehn Minuten, eine Reaktion war kaum zeitgerecht möglich. So eine Fähre hat noch andere Vorteile, wusste Wolk, schnell ins All, Kosmonauten zu einer Raumstation bringen, versorgen, von dort abholen, sogar im Notfall, zum Beispiel. Oder die Fähre selbst als temporäre Raumstation nutzen, für Forschung und Entwicklung, biologische Experimente. Die Möglichkeiten schienen so vielfältig, dass ihm ständig neue einfielen, wenn er nicht gerade im Cockpit des Übungsmodells saß. Dass der neue Mann im Kreml, Gorbatschow, endlich einmal ebenso drahtig wirkte wie ein US-Präsident, war in Baikonur kein Vorteil, denn, so hieß es, er interessiere sich nicht sehr für Raumfahrt. Wolk verfolgte achtsam den Transport der Übungsfähre, rief einem Arbeiter ein paar Worte der Vorsicht zu, und er drehte sich langsam, genau beobachtend, mit dem Weg der Fähre.

Die Sonne ging unter. Das Übungsmodell wurde in den Hangar gezogen, auf einer langen Lafette, vor sie gespannt eine schwere Zugmaschine der Firma „Faun“. Manche Sachen mussten einfach noch aus dem Westen eingekauft werden. Das hier war das teuerste, aber auch das vielseitigste und prestigeträchtigste Raumfahrtprojekt der Sowjetunion. Auch in der riesigen Halle verloschen allmählich die Lichter, die Mannschaften und die Techniker, darunter auch einige Frauen, setzten ihre weißen Kochmützen ab und gingen nach Hause oder in ihre Wohnquartiere auf dem Gelände. Es wurde finster ohne das künstliche Licht. Nur am Horizont sah man die Lichter vor den Startrampen für Sojus, neben den Parabolantennen für die Telemetrie, und auf der anderen Seite jene, die zu „Gagarins Start“ gehörten, jener Rampe zu Ehren des ersten Menschen im All. Wolk lehnte vor der Nase des Übungsmodells mit ihrem Staurohr, am turmhohen Torpfosten des Hangars und hob die Stirn zu den Sternen. Sie funkelten ruhig, ein fernes Glitzern in eisiger Kälte. Wolk lächelte, sah seinen Atem verwehen wie eine weiße Wolke technischer Gase an ihrer Trägerrakete. 

Sie und seine Leute würden nicht die Fehler der Amerikaner machen, nicht mit Wasserstoff und Feststoff starten. Denen war am 28. Januar desselben Jahres die Fähre Challenger bei ähnlicher Kälte schon nach gut siebzig Sekunden Flug explodiert, alle Astronauten und eine Zivilistin, die Lehrerin Christa McAuliffe, waren tot. Wolk hatte sofort Tränen in den Augen bei der Nachricht. So etwas tut weh, wenn man Kosmonaut ist, selbst beim Tode der Konkurrenz. Er hätte sie gern kennengelernt, diese Konkurrenz; so dachten viele hier, auch wenn es offiziell der Feind war. Sie waren alle Wissenschaftler, Techniker, Piloten, Experten. Sie wussten um die Gefahren der Raumfahrt. Die Amerikaner konnten nicht mehr starten, vielleicht auf Jahre, das war die Chance für ihn, Wolk, aufholen zu helfen, und das war also der Preis. Den kannte er. Da links, weit hinten, stand der Gedenkstein für die Toten des Eifers von Nedelin, vor nun 26 Jahren. Er, Igor Petrowitsch, und sein Kamerad Rimantas, sie würden mit modifiziertem Kerosin fliegen, eigentlich Flugbenzin, einer Substanz, die schwächer sein mochte und technisch anspruchsvoller als Wasserstoff und Feststoffe, und der dennoch viel eher zu vertrauen war als diesem Rodeo auf Knallgas und Feuerwerkskörpern, dachte Wolk. Seine Lippen waren trocken. Er befeuchtete sie mit der Zunge, spuckte aus. Die Tore des Hangars schlossen sich langsam, erst dann ging auch er.

„Nun muss unser Baby da allein durch“

Von da an waren es noch knapp zwei Jahre. Hunderte von Kilometern an Kabeln mussten verlegt werden in der Fähre, die Brennstoffzellen für den Bordstrom eingebaut, Sensoren und Instrumente kalibriert und getestet, zehntausende von Hitzeschutzkacheln hergestellt, geprüft und aufgeklebt, jede an ihrem Platz und mit praktisch nicht vorhandenen Toleranzen, damit sie sich ausdehnen konnten in der enormen Hitze des Wiedereintritts, ohne zu platzen, weit über tausend Grad. Die Informatiker spielten derweil das automatische Landesystem auf die Bordcomputer. Mehrfach traten Wolk und Stankevicius an, um beim Abgleich ihrer Testflüge dabei zu sein, auch am Simulator. Endlich wurde die fertige Fähre, gut 36 Meter lang, etwa 80 Tonnen schwer, mit ihrem Namen „Buran“, dem Schriftzug „CCCP“ und der roten Fahne mit Hammer und Sichel verziert, auf die mehr als doppelt so hohe Trägerrakete mit den vier Boostern gehievt, über der massiven, nahezu unüberschaubaren Lafette, alles liegend in der weiten Halle. Versorgungsarme schwenkten hin und her, die Arbeiter schlossen die Schläuche an. Es war die Arbeit von Ameisen an einem Titanen, Ameisen mit Checklisten.

Selbst Wolk bekam Respekt vor dieser Maschine, und er ertappte sich mit gemischten Gefühlen. Er musste nicht einsteigen. Zu Rimantas sagte er, sie dürften nicht einsteigen, und ob er es getan hätte, fragte er ihn, gäbe es das vollautomatische Landesystem nicht. Verdammt, ja, sagte der. Ich auch, grinste Wolk. Bei dem Rodeo sind wir dabei, sagte sein Vorgesetzter, der diesen Dialog in der Kantine gehört hatte. Wolk nickte wortlos. Er dachte immer noch an die Challenger. Die Amerikaner waren erst nach über zwei Jahren wieder gestartet, am 26. September, mit der Discovery, und ihnen war die Klimaanlage ausgefallen; in einer Blechdose mit gemütlichen dreißig Grad im Orbit, das konnte kein reiner Spaß gewesen sein. Man musste sachlich bleiben, auf die verbleibenden Probleme konzentriert. Und die hatten schon seinen „Bastschuh“ scheitern lassen. Angst? Nein, auch die war ein schlechter Kommandant. Er wäre so gern geflogen!

Der Countdown endete. Pünktlich bei der Null sah man ein Leuchten, sofort auch Rauch, dem folgte ein Grollen, dass die Erde erzitterte. Nun schien die gesamte Startrampe in einen Feuerball gehüllt, und der Qualm schoss sogar noch höher und versperrte die Sicht auf die beiden seitlichen Masten mit den Flutlichtern, die ein Nichts waren im Vergleich zu den gleißenden Flammen. Trotz der mehreren Kilometer Abstand spürte Wolk die Hitze auf seiner Stirn. Einen Moment lang sah er nichts als die pure rote Glut und den dichten schwarzen Qualm, so dass er schon unruhig wurde. Doch dann erhob sich aus ihnen donnernd und eine lange, fauchend züngelnde Flamme hinter sich lassend die riesige Maschine, kaum merklich versetzt gegen die steile Gerade zog sie empor – und verschwand sofort in der dichten, tiefliegenden Wolkendecke, die sogar den Höllenlärm merklich dämpfte, nur kurz einen glutroten Ring hinterlassend als Widerschein. Wolk ließ den Feldstecher sinken. Nun muss unser Baby da allein durch, sagte er zu Rimantas. Es war der 15. November 1988.

Man musste schnell sein, bevor die Gelder ausgingen

Die Bilder aus dem Orbit waren einwandfrei, der Kurs exakt, doch die Temperaturdaten aus dem Cockpit beim Wiedereintritt stiegen und stiegen, dreißig Grad, sechsunddreißig, vierzig. Die Instrumente konnten das vertragen, ein Pilot im Raumanzug nur sehr kurz. Liter an Schweiß stehen schon nach zwanzig Minuten im Anzug eines Feuerwehrmanns bei einem Löschangriff unter Vollschutz. Da gab es also noch Arbeit bei der Isolierung, dachte Wolk, während die Fähre zum Entsetzen der Anwesenden, auch jener im Hörsaal für die Prominenz, eine Runde um Jubileiny drehte. Die Sorge wich rasch der Erleichterung, sogar verhaltenem Jubel, denn es war doch nur die Automatik, die beschlossen hatte, die Landung gegen den Wind zu vollziehen wie jeder erfahrene Pilot. Geradezu majestätisch ruhig und sanft stieß die Fähre durch die Wolken, setzten die Heckräder auf, dann das Bugrad, lösten sich die drei kreuzförmigen Bremsfallschirme und wurden nach getaner Arbeit abgeworfen. „Buran“ rollte aus und stand still. Es war zum Heulen schön. Applaus brandete auf im Kontrollraum und im Hörsaal, langanhaltend. Doch er war nicht frenetisch. Er wurde nicht rhythmisch, und nur eine Handvoll Leute erhob sich. Irgendetwas scheint nicht zu stimmen, dachte Wolk.

Und so war es auch. Die Weltpresse meldete die Sensation rasch, die Sowjetunion hatte ein Shuttle, und fünf wollte sie bauen. Die zweite Fähre, noch ohne Namen, mal „Burya“, mal zärtlich „Ptitschka“ genannt, das Vögelchen, war schon im Bau, und es folgten drei Fähren der zweiten Generation, leichter, verbessert vor allem am Cockpit. Doch schon der erste Rundgang um „Buran“ war ernüchternd. Zwar hatten die Hitzekacheln ihre Arbeit getan, und ihre Qualität war höher als die bei den Amerikanern, hieß es, doch Hunderte von ihnen waren beschädigt, verkratzt, abgeplatzt, oberhalb der linken hinteren Flügelkante fehlten einige wenige ganz. Doch der schlimmste Schaden fand sich unter der linken Tragfläche. Hier fehlten annähernd sechs Kacheln nebeneinander komplett, und die metallenen Träger darunter war verformt, angeschmolzen. Der Rest war über weite Strecken schmutziggrau bis bräunlich verfärbt. Allein die Kontrolle der Kacheln würde Wochen dauern, ihr Ersatz Monate.

Es war dasselbe Spiel, das die Amerikaner schon kannten, dachte Wolk. Bis zu seinem Flug würde es also noch dauern. Auch das Gerücht, nach dem Michail Gorbatschow bei diesen Nachrichten im Kreml explodiert sei wie Nedelins Rakete auf der Startrampe, sprach sich schnell herum. Der hat andere Sorgen als wir, sagte irgendjemand, und nur umso konzentrierter machten sich die Techniker und die Ingenieure an die Wartung der Fähre, ihres Kinds. Man musste schnell sein, bevor die Gelder ausgingen. Improvisieren, vereinfachen. Darin sind wir doch Meister, dachte Wolk auf dem Nachhauseflug. Vorerst war seine Arbeit getan. Man würde ihn rufen, in zwei oder drei Jahren, vielleicht. Für 1991 oder 1992 war sein Flug terminiert. Er freute sich darauf, aber sicher war er nicht. Niemand war damals sicher über irgendetwas, nirgendwo, Ende 1988, noch nicht einmal der rote Zar im Kreml.

Zerlegt, verschrottet, geplündert

Der rote Zar im Kreml sollte der letzte sein. 1991 versuchte das Militär den Putsch, löste Jelzin Gorbatschow ab. 1993 wurde das „Buran“-Programm mangels Geld eingestellt. 1995 wurden die letzten Fähren in Baikonur in ihren riesigen Hallen eingelagert. Seit 1999 regiert Putin. 2002 stürzte das Dach über der originalen „Buran“ und ihrer Trägerrakete ein und riss einige Arbeiter mit in den Tod, die das Dach sichern wollten. Die Reste der Fähre wurden verschrottet, die übrigen, unfertigen Fähren auf Museen in Russland verteilt. Igor Petrowitsch Wolks Übungsmodell namens OK-GLI aber wurde zerlegt und kam auf dem Seeweg nach Deutschland. Es ist in Speyer zu besichtigen. „Burya/Ptischtka“ und ein weiteres Übungsmodell sind nach dem Festrosten der gigantischen Tore in der Halle MZK-80 am Standort 112A in Baikonur gefangen und verrotten, nur regelmäßig illegal besucht von Fans, Fotografen,

Abenteurern – und Vandalen, die ihre Kacheln und die wild durcheinander liegenden Baupläne stehlen und im Internet versteigern. Sprayer haben auf den Fähren ihre „Tags“ hinterlassen, und die Strafe für das Eindringen dort beträgt im Schnitt eine Nacht in Haft und fünfzig Dollar. 

Die Sowjetunion ist untergegangen, und ihr Phönix Russland erhebt sich nur mühsam aus ihrer Asche, wieder, ohne dass irgendjemand sicher wüsste, ob er ein majestätischer doppelter Adler ist oder ein gefährlicher, einfacher Geier. Jenes riesenhafte Transportflugzeug vom Typ „Antonow", das noch die Andockpunkte für „Buran“ trug unter zwei eher unscheinbaren Buckeln, ist bei einem russischen Angriff auf die Ukraine zerstört worden

Russland setzte Wolk, dem Ukrainer, ein Denkmal

Igor Wolk aber war einer der ersten sowjetischen Piloten, der mit US-Piloten eine Friedensformation geflogen ist, einer der ersten Bürgerrechtler, die sich für den Umweltschutz in seiner weiten, alten Heimat einsetzten. Er arbeitete auch nach dem Ruhestand im Jahre 2002 weiter als Berater für die Flugzeugindustrie, und in den Jahren 2008, 2009 und 2014 besuchte er Speyer, hielt Vorträge und Autogrammstunden, auch gemeinsam mit dem deutschen Astronauten Thomas Reiter, und er setzte sich ein für den Frieden. 

2017 ist Igor Wolk im Urlaub in Bulgarien nach schwerer Krankheit verstorben. Russland setzte ihm, dem Ukrainer, ein Denkmal. Ich wünsche mir für ihn, er sei in seinem Orbit, und er verfolge die Entwicklung Europas, auch Russlands und seines Heimatlandes, der Ukraine, aus sicherer Entfernung. Auf zu den Sternen! Denn ohne Verstand gibt es Gefährlicheres als die Raumfahrt. 

„Nachdem wir die Erde einige Tage lang betrachtet hatten, kam uns der kindische Gedanke, dass man uns etwas vormache. ,Wenn wir wirklich die Ersten im Kosmos sind, wer hatte da den Globus so perfekt konstruieren können?‘ An die Stelle dieses Gedankens trat dann der Stolz auf die Fähigkeit des Menschen, mit dem Auge des Verstandes zu sehen.“  (Igor Petrowitsch Wolk)

 

Jesko Matthes, Alumnus der Studienstiftung des Deutschen Volkes, immunologische Promotion über Tumornekrosefaktor- und Lymphotoxin-Messung, auch in virustransfizierten Zelllinien maligner Lymphome. Notarzt mit LNA-Qualifikation. Er ist Arzt und lebt in Deutsch-Evern.

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Ben Elkin / 15.11.2023

Es gibt einen russischer Ausdruck für derartige Geschichten, ungefähr mit “schattenspendende Moosbeere” übersetzt (die Moosbeere wächst eben nicht höher als der Moos drumherum). Das ganze ist von jemand geschrieben, der wohl weder von der Raumfahrttechnik Ahnung hat, noch von den Realitäten des Wirtschaftslebens und überhaupt des Lebens in der späten Sowjetunion, noch der russischer Sprache mächtig ist. Übrigens (Pelz-)Mütze heißt Schapka, nicht Tschapka, und Kasachstan war keine autonome Sowjetrepublik. Ich will da nicht in die Details eingehen - das ganze wirkt eben sehr unglaubwürdig. Vor allem - woher wollen wir wissen, was da Wolk alles gefühlt und erlebt hat? Vielleich könnte der Autor noch die Quellen nennen? Ansonsten - ich habe über das Buran-Programm relativ viel gelesen. Es war schon eine technische Meisterleistung, vor allem die autonome Landung. Die Ziele des Programms waren natürlich vorwiegend militärischer Art, wobei ein Propagandaerfolg hätte man daraus machen können, ginge die Sowjetunion gerade nicht zugrunde. Ich arbeitete zufällig kurze Zeit mit einem der führenden Entwickler der autonomen Steuerung des Burans, aber da ging es schon um ganz andere Sachen (genau gesagt - ums Geld). Was ich wirklich befremdlich fand: “ihr Phönix Russland erhebt sich nur mühsam aus ihrer Asche”. Nach einer kurzer Zeit relativer Demokratie hat sich nun Russland in einen durchweg faschistischen Staat entwickelt. Nennt man das hier “Phönix erhebt sich aus der Asche”?

Karsten Dörre / 15.11.2023

“kasachische autonome Sowjetrepublik” - Das ist nicht korrekt. In der Sowjetunion gab es die Kassachische Sozialistische Sowjetrepublik, kurz Kasachische SSR. Die Sowjetrepubliken (Unionsrepubliken) wurden nicht autonom genannt. Autonome Sozialistische Sowjetrepubliken (ASSR) waren untergeordnete Gebietskörperschaften innerhalb einer SSR.

Sam Lowry / 15.11.2023

Sorry, ich glaube nicht, dass die Challenger-Crew tot ist… kann aber jeder gerne selbst auf YT oder sonstwo suchen… seltsamerweise hatten ja einige Astronauten eineiige Zwillinge. Wir werden eh nur belogen, ich glaube gar nichts mehr.

Uwe Manzke / 15.11.2023

Veieln Dank für diese super interessante Geschichte ergänzend zum allgemin bekannten.

Hans Kloss / 15.11.2023

Interessant. Der Mann und das ganze Projekt nicht wirklich bekannt. Schon damals wusste man nicht viel über Buran. Ein guter Artikel.  Schade, dass davon nicht viel übrig blieb. Nun wie es scheint, war die Idee doch nicht so gut. Kann man ja auch in USA nachschauen - mehrmals benutzte Raketen geht auch anders und ohne solche horrende Kosten. Selbst aber wenn der Schritt war nicht in die richtige Richtung, dieses Erkenntnis kann man nur gewinnen, wenn man ihn macht.

Tina Kaps / 15.11.2023

Sehr geehrter, lieber Herr Dr. Matthes, gestern ein Artikel der leisen Annäherung an die AfD, heute ein Artikel der schleichenden Annäherung an… ja, was? Oder wen? Gar an russische Landsleute? Wie auch immer: Ich mag Ihre Artikel, hab sie immer gemocht und werde sie immer mögen. Danke Ihnen - und der Achse für die Veröffentlichung.

gerhard giesemann / 15.11.2023

Tja, sic pereat gloria mundi.

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