Eugen Sorg, Gastautor / 23.02.2018 / 16:25 / Foto: Raimond Spekking / 9 / Seite ausdrucken

68er: Der Muff von 50 Jahren Mao

Heuer dürfen die Verbliebenen der revolutionären 68er-Aktivdienstgeneration selbstzufrieden ihr 50-Jähriges feiern. Es hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass der damalige Aufstand trotz gelegentlichem Überborden eine insgesamt heilsame und befreiende Reaktion auf erstickende Machtverhältnisse in Familien und Schulen war, auf eine verklemmte Sexualmoral, auf einen ungerechten Krieg im fernen Vietnam. Doch dies ist die veredelte, sich selbst schmeichelnde Geschichtsversion der Sieger, die nach ein paar wilden Jugendjahren die meinungsbildenden Positionen in Kultur, Medien, Geisteswissenschaften übernehmen sollten.

Sie blendet andere, verstörende Aspekte aus, wie zum Beispiel die Verherrlichung vieler 68er von Gewalt als legitimem politischem Mittel und die Faszination für die übelsten totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts. Besonders das maoistische China genoss die Sympathien rebellierender Nachwuchsakademiker. Porträts von Mao wurden an Demonstrationen stolz mitgetragen, sein Konterfei hing in vielen Wohngemeinschaften, und es formierten sich überall in Europa sektenartige Parteien, in denen man im Dienste der Weltrevolution die Schriften des „großen Steuermanns“ studierte, und in denen die geforderte Unterwerfung und Linientreue rigoroser war als in jeder der kapitalistischen Einrichtungen, die von den 68ern als autoritär kritisiert worden waren.

Der Große Sprung

Zur gleichen Zeit herrschte im realen China das Chaos. Zehn Jahre zuvor hatte Mao seinem Reich das Entwicklungsprogramm „Der Große Sprung nach vorn“ verordnet. Millionen Bauern wurden enteignet und in Volkskommunen zusammengefasst, und eine rasche Industrialisierung wurde forciert. Das Experiment endete in einem historischen Desaster. Mindestens 42 Millionen Chinesen verhungerten.

Die Katastrophe hatte sich früh angekündigt und hätte verhindert werden können. Aber Mao weigerte sich, seinen Kurs zu ändern. Er fürchtete, damit sein Prestige zu verlieren. Trotzdem war seit dieser Zeit seine Position als roter Kaiser geschwächt. Um seine Gegner zu vernichten, lancierte er Ende der Sechzigerjahre die „Große proletarische Kulturrevolution“. Er rief die Jugend auf, die „Agenten der Bourgeoisie“, die sich „überall eingeschlichen“ hätten, zu eliminieren. „Zerschlagt die Vier Alten“, hieß eine der Parolen. Damit waren traditionelle Denkweisen, Bräuche, Kultur und Sitten gemeint. Gleichzeitig initiierte Mao einen gigantischen Personenkult.

Millionen von Jugendlichen, die „Roten Garden“, machten sich auf und marodierten für ihren „großen Führer“ durch die Lande. Sie verbrannten Bücher, zerhackten Instrumente, zerschnitten Gemälde, schlugen Buddha-Statuen den Kopf ab. Sie erniedrigten, quälten, töteten in aller Öffentlichkeit „Ratten“ – so nannten sie Lehrer, Künstler, Wohlhabende, die „Klassenfeinde“. „Wir müssen brutal sein“, gelobten sie. „Denn Feinfühligkeit gegenüber dem Feind bedeutet Brutalität gegenüber der Revolution.“

Zwei Millionen Tote

Die Terrorkampagne forderte bis zu zwei Millionen Tote und vernichtete unersetzbares Kulturgut. Aber sie hatte Maos Macht gerettet. Seine Gegenspieler waren ausgeschaltet, er konnte den zertrümmerten Parteiapparat unangefochten übernehmen. Als sich die verwilderten Rotgardisten weigerten, zurück in die Schulen zu gehen, schickte Mao die Armee los, und viele der Jugendlichen wurden hingerichtet. Sie waren für den eiskalten Machtmenschen nutzlos geworden.

Im Zusammenhang mit dem 50er-Jubiläum hob im Online-Magazin Infosperber eine Kunstdozentin „eine der großen Errungenschaften von 1968“ hervor, nämlich „die Anwendung der kritischen Theorie der Frankfurter Schule, die uns im Fortgang mit der Foucaultschen Diskursanalyse gelehrt hat, den doppelbödigen Diskurs der Macht zu lesen und zu enttarnen“.

Als ein guter Teil der 68er-Rebellen mit Plakaten von Mao durch die Straßen rannte, waren die Ereignisse in China weltweit bekannt. Es brauchte kein Studium der „Foucaultschen Diskursanalyse“, um bei Figuren wie dem „großen Vorsitzenden“ den „doppelbödigen Diskurs der Macht“ zu bemerken. Es wäre spannend, von den damaligen Jungakademikern selber zu erfahren, warum sie trotzdem einem der größten Menschheitsverbrecher huldigten. Aber bis jetzt haben die sonst so Geschwätzigen geschwiegen. 

Zuerst erschienen in der Basler Zeitung

Foto: Raimond Spekking CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Werner Arning / 23.02.2018

Eine Affinität zur Gewalt scheint für die Linke wesentlich zu sein. Die Gewalt richtet sich stets gegen einen imaginierten Feind der Arbeiterklasse, oder des „einfachen Mannes“. In ihrer Brutalität steht sie faschistischen Aktivisten in Nichts nach. Der Eine tötet, weil er sich dazu berechtigt fühlt aufgrund eines theoretischen Kampfes für die Gerechtigkeit. Der Andere tötet, weil er sich dazu berechtigt fühlt aufgrund einer eingebildeten rassischen Überlegenheit, die ihm eine eingebildete Macht über die Unterlegenen verleit. Beide Fälle können als der krankhafte Versuch gewertet werden, eine als überwältigend erlebte Lebenswirklichkeit „in den Griff“ zu bekommen. Der Unterschied zwischen beiden mag darin bestehen, dass der Linksrevolutionär sich einbildet für etwas Gutes zu töten, während der Faschist nicht an das Gute glaubt, sondern weiß, dass er böse ist. Mit dem Linksrevolutionär sind im China Maos, die von ihm missbrauchten Studenten gemeint. Mao selber ist eher den Faschisten zuzuordnen, die wissen, dass sie böse sind. Ebenso Stalin, Pol Pot usw.  Hitler wusste auch, dass er böse ist. Die jeweils dahinter stehende Ideologie ist auch gar nicht entscheidend. Es ist die Bereitschaft Gewalt anzuwenden, die Bereitschaft zu vernichten. Da sind sich Andreas Baader, Adolf Hitler, Stalin, Pol Pot und wie sie alle heißen völlig gleich. Ach ja, und Mao. Aber dass die Linke eine gewalttätig autoritär geprägt ist, beweist uns ja die Antifa. Liebe Antifanten, viel Spaß dann noch beim Schreien, Spucken, Steine werfen, Zuschlagen, Anzünden, Zerstechen, Beschmieren, und vielleicht bald schon beim Töten? Auf,  ihr Gerechten, es gibt eine Menge Feinde.

Karla Kuhn / 23.02.2018

“Als ein guter Teil der 68er-Rebellen mit Plakaten von Mao durch die Straßen rannte, waren die Ereignisse in China weltweit bekannt. Es brauchte kein Studium der „Foucaultschen Diskursanalyse“, um bei Figuren wie dem „großen Vorsitzenden“ den „doppelbödigen Diskurs der Macht“ zu bemerken. Es wäre spannend, von den damaligen Jungakademikern selber zu erfahren, warum sie trotzdem einem der größten Menschheitsverbrecher huldigten. Aber bis jetzt haben die sonst so Geschwätzigen geschwiegen. “ Die größten Massenmörder des zwanzigsten Jahrhunderts waren Mao, Hitler und Stalin. Wie viele von den “Jungakademikern” haben einen Abschluß geschafft ?  Und wie viele hetzen heute gegen die AfD ??

Joe Haeusler / 23.02.2018

Die 68er gilt es heuer ausführlich zu würdigen: Die Bürgersöhnchen und Töchterleins. Diese Blaupausen für alle dummschwätzenden Schmarodeure, die Versorgung und Freibier auf Kosten der anderen einforderten und fordern.

Sabine Schubert / 23.02.2018

Das Schlimmste ist doch aber, dass die Enkel und vor allem die Enkelinnen der 68er noch viel gefährlicher sind als ihre Großväter.

Rolf Menzen / 23.02.2018

Eine Kunstdozentin? Also eine im Prinzip völlig nutzlose Geschwätzwissenschaftlerin, die sich auf Steuerzahlers Kosten nen schlanken Fuß macht. Na dann herzlichen Glückwunsch.

Frank Mora / 23.02.2018

Für die Westler ist das Jahr 68 eine große Verklärung nach dem Motto: “Wie haben wir doch die Welt revolutioniert”. Für die Ostler bedeutet das Jahr 68 eine ganz andere politische Lebenserfahrung. Damals wurden mit den Panzern der Warschauer Paktstaaten die Tschechen und Slowaken niedergewalzt und die Mauer für “alle Ewigkeit” zementiert. Zweiter Teil der Erfahrung: Niemand im Westen hat das gejuckt. Vor allem nicht die “Revolutionäre” mit ihrer Verehrung für die Despoten Ho Chi Minh und Mao und den Massenmörder Ernesto Guevara.

Dirk Jungnickel / 23.02.2018

Ein wichtiger und notwendiger Beitrag. Wir “DDR”  - 68er verbinden mit 1968 die - vergebliche - Hoffnung auf einen menschlichen Sozialismus. Die grölenden pseudointellektuellen 68er Spinner im anderen Teil Deutschland interessierten uns nur am Rande und veranlassten uns allenfalls zu Kopfschütteln.  Den Einmarsch der Warschauer Pakt - Staaten in der CSSR rechtfertigten sie zum Teil mit verquasten Argumenten. Für die meisten 68er leuchtete die sozialistische Hoffnung im Osten “heller als 1000 Sonnen”.  Die Kreml - Despotie war allenfalls ein verzeihlicher Ausrutscher. ( Wie für diese Klientel der heutige Scharlatan im Kreml als Kumpel des Massenmörders Assad auch irgendwie akzeptabel ist.)   Wenn ich damals mit Mao - , Pol – Pot- oder Hồ Chí Minh - Konterfeis durch die Strassen getobt wäre, würde ich mich für alle Zeit in die politische Schamecke verziehen und das Maul halten.  Aber wie der Autor anmerkt, haben die sonst so Geschwätzigen bisher geschwiegen.   Und das Argument, wer in der Jugend nicht Kommunist war, hätte kein Herz gehabt, halte ich für absolut töricht. Auch der bundesdeutsche Jugendliche dieser Zeit hätte seinen Verstand gebrauchen - und sich informieren können !    Übrigens: Auch was die 1989er Revolution betrifft, hat die Jugend keine Rolle gespielt. Die Studenten jedenfalls verkrochen sich leider zumeist auf ihren vom Arbeiter - und Bauern - Staat „geschenkten“ Studienplätzen hinter den Uni - Toren. Dabei gab es Zeiten, in denen die studentische Jugend Deutschlands die gesellschaftlich Avantgarde stellte. Zum Beispiele in den Jahren 1817 und 1848 /1849.

Gregor Reichelt / 23.02.2018

Natürlich sind die 68er als Antirassisten oder Antifaschisten genauso glaubwürdig wie Mao selbst. Aber man muss eben nur anderen Autoritarismus, Vorurteile, Militarismus, Rassismus vorwerfen & schon werden viele Leute sagen - das muss doch ein Heiliger sein? Das ist eben der große Denkfehler: Jemand, der die Gewalt & Intoleranz von anderen kritisiert, muss keineswegs selbst tolerant & friedfertig sein.

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