Johannes Eisleben / 12.07.2020 / 16:00 / Foto: DonkeyHotey / 13 / Seite ausdrucken

Zwischen Herrschaftswillen und Anbiederung

Der Fundamentalbegriff unserer Staatsordnung ist der Autonomiebegriff des Individuums, wie er in der Aufklärung definiert wurde. Auf ihm beruht das Prinzip der Menschenwürde, die Menschenrechte und das Modell der Partizipation in der repräsentativen Demokratie.

Dass dieses Modell schnell an seine Grenzen stößt, hat schon Alexis de Tocqueville erkannt, der in seinem 1835/1840 erschienenen Klassiker „De la démocracie en Amérique“ bereits erkannte, dass die repräsentative Demokratie das Potenzial der Entmündigung der Bürger in sich trägt.

Dabei schwanken Demokratien zwischen Herrschaftswillen und Anbiederung an die Massen: Einerseits setzen demokratisch gewählte Amtsträger oftmals Sonderinteressen gegen die Interessen der Mehrheit durch, wenn die Strukturen es ihnen erlauben, dies ohne Abfall der Legitimität ihrer Herrschaft zu tun. Wichtige Beispiele dafür aus den letzten 15 Jahren sind die sogenannte „Energiewende“ und die „Eurorettung“. Andererseits besteht ein großes Bedürfnis, den niederen Motiven der Massen nachzugeben, um Legitimität zu schaffen.

Beide Ansätze richten großen gesellschaftlichen Schaden an. Der erste Ansatz, der usurpatorische Politikansatz, führt zu einer dichotomen Gesellschaft, bei der einige Wenige (weniger als 1 Prozent der Bevölkerung) fast das gesamte Privateigentum besitzen, während 10 bis 15 Prozent ihnen als weitgehend eigentumslose, aber privilegierte Trägerschicht dienen. Der Rest der Bevölkerung lebt in vollkommener Abhängigkeit sehr bescheiden oder in Armut.

Der zweite Ansatz, der ochlokratische Politikansatz, richtet Schaden an, wenn die durch Anbiederung an die Emotionen der Massen getriebene Politik Kernelemente der Vergesellschaftung zerstört. Ein wichtiges Beispiel dafür ist der voreilige Atomausstieg 2011, den Angela Merkel damals wegen der Angst der Bevölkerung angesichts des Kernreaktorunfalls in Fukushima vorgenommen hat; der wirtschaftliche Schaden dadurch dürfte sich auf einen dreistelligen Milliardenbetrag belaufen. Ein ähnliches Phänomen, doch mit ökonomisch weitaus größeren Folgen, beobachten wir gerade.

Den jungen schwer Kranken können wir in jedem Fall helfen

Wegen einer schweren Grippeepidemie, die aber im Wesentlichen den anderen durch Virusneumutationen ausgelösten schweren viralen Grippen der letzten 50 Jahre gleicht, hat sich – befeuert durch medizinisch vollkommen unqualifizierte Berichte der Massenmedien und auch durch die Social Media – eine panische Angst in der Bevölkerung ausgebreitet. Die Politik hat reagiert, indem sie sich Berater genommen hat, die bereit sind, die Panik der Massen weiter zu schüren und eine Fehlpolitik zu empfehlen, die den niederen Panikinstinkten durch ein scheinbar humanistisches Vorgehen gerecht werden: Lebensrettung durch Verlangsamung der Epidemie. Das Ziel, dadurch Menschenleben zu retten, ist jedoch kaum erreichbar.

Denn wie jedes andere durch Tröpfcheninfektion übertragene Virus wird SARS-CoV-2 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung infizieren, bis es sich wegen der Herdenimmunität nicht mehr ausbreiten kann. Das wärmere Wetter hilft dagegen nicht; der Grund, warum die Wintergrippe normalerweise im April aufhört, ist die Durchseuchung, die bis dahin stattgefunden hat; diese halten wir aber gerade zurück. Daher wird das Virus sich bald wieder stärker ausbreiten.

Die Durchseuchungsquote ist aufgrund der Vernetzungsstruktur der Gesellschaft auch in allen ihren Strata gleich hoch. Dabei werden nach heutiger Kenntnis etwa 0,1 Prozent der Infizierten sterben – wogegen wir so gut wie nichts unternehmen können. 99 Prozent dieser Toten sind sehr alte, bereits schwer kranke Menschen am Ende ihres Lebens. Daran können wir nichts ändern, das zu glauben, ist Machbarkeitswahn. Den jungen schwer Kranken können wir in jedem Fall helfen – durch Intensivmedizin, selbst wenn wir nicht wissen, wie deren therapeutische Wirksamkeit bei COVID-19 ist.

Shutdown wird mehr Menschenleben kosten

Doch nicht für die vermeintliche Rettung von Leben, sondern aus irrationaler Angst um das eigene, zu 99,99 Prozent gar nicht gefährdete Leben sind die Menschen rasch und ohne Widerstand dazu bereit, auf Menschenrechte und Partizipation zu verzichten. Die drängen die Politiker sogar zu drastischen Maßnahmen. Die Politiker reagieren ochlokratisch, sie folgen dem Ochlos, der Masse, anstatt das zu tun, was Max Weber in seiner berühmten Vorlesung „Politik als Beruf“ als ihre Pflicht beschrieben hat: verantwortungsethisch zu handeln.

Denn sie fürchten um ihre Legitimität, die jederzeit wegfallen kann, wenn klar wird, welchen Schaden das andere Motiv ihres Handelns, ihre usurpatorische Politik, nach sich zieht. Daher überkompensieren sie den Mangel an Legitimität, der durch das usurpatorische Handeln entsteht (Eurorettung, Energiewende, Grenzöffnung), durch ochlokratisches Handeln. Angesicht der Stimmung der Massen traut sich keiner, eine maßvolle, verantwortliche Politik zu betreiben. Mit jeder Woche, die wir den Shutdown, der rechtlich äußerst fragwürdig ist, weitertreiben, entsteht in Deutschland ein volkswirtschaftlicher Schaden von mindestens 35 bis 40 Milliarden Euro. Wahrscheinlich wird der Shutdown deutlich mehr Menschenleben kosten, als wir durch ihn retten können.

Wenn die Folgen der Krise, die das Virus allerdings lediglich ausgelöst hat, für alle Bürger verständlich werden durch Massenarbeitslosigkeit, Firmenpleiten, Inflation, Entwertung der Ersparnisse, Millionen von Privatinsolvenzen, Verlust des Eigenheims und echte Versorgungsengpässe für die Unterschicht, wird den Ochlos eine neue Angst ergreifen, die die Politiker nicht so leicht bedienen können wie beim Virus. Dann wird nämlich klar werden, dass die Krise die Folge ihrer jahrzehntelangen Fehlpolitik mit Fiktivwährung ohne Wertbindung, zunehmender Staatsverschuldung und fiskalpolitischer Enteignung der Bevölkerung ist – ob die Medien das dann entsprechend berichten oder nicht, wird immer unwichtiger, wenn seit 70 Jahren nicht mehr gesehene Entbehrungen kommen.

Die Menschen werden einfach wütend auf die Politik, auch wenn sie die Zusammenhänge nicht richtig verstehen können. Dann wird auch die staatlich alimentierte Massenversorgung unproduktiver Migranten nicht mehr funktionieren, die Folgen kann man sich schon heute in den Pariser Banlieues oder in Marseille, wo das Phänomen den Kern der Stadt betrifft, ansehen. Mit anderen Worten: Die usurpatorische Politik der letzten Jahrzehnte wird auffliegen.

Wie geht es mit der Demokratie weiter?

Wie soll es dann mit der Demokratie und dem Rechtsstaat weitergehen? Man darf nicht vergessen, dass usurpatorisches und ochlokratisches Handeln, die beiden Pole des destruktiven politischen Handelns, die wir hier diskutieren, nicht das gesamte staatliche Handeln bestimmen. Ein Großteil ist die routinierte Anwendung geltenden Rechts in Verwaltungsakten und der Rechtsprechung; dies gilt sogar für offen usurpatorische Staaten wie die Staaten Napoleons oder Hitlers. Diese Art moderaten staatlichen Handelns ist der „basso continuo“ moderner Vergesellschaftung in der hochkomplexen Industriegesellschaft, die eines regulierenden Staates bedarf. Diese maßvolle Basisfunktion des Staates ist das Rückgrat seiner Legitimität.

Wenn wir mitten in der Wirtschaftskrise sein werden, brauchen wir Politiker, die das verstehen. Sie müssen das usurpatorisch-utopistische Handeln mit „Klimarettung“, „Eurorettung“, „Dekarbonisierung“, Massenmigration, Identitätspolitik, Sprachverboten und Befeuerung der Political Correctness beenden und wieder eine besonnene, im besten Sinne elitäre Politik machen wie einst Bismarck im Großen oder Helmut Schmidt im Kleinen. Im guten Sinne elitäre Politik bedeutet, den gesellschaftlichen Interessensausgleich zu befördern, allen Bürgern gerecht zu werden, aber sich nicht vom Ochlos treiben zu lassen, sondern auch kurzfristig unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen.

Es bedeutet, den Staat dort zurückzufahren, wo er nichts zu suchen hat, und ihn auf seine maßvolle Basisfunktion zu reduzieren. Wenn der Staat diese ausführt, dann verdient er die Legitimität, die sich alle – Bürger und Politiker – wünschen, damit sie ohne Angst leben können. Wenn wir allerdings die dekadenten Schönwetterpolitiker behalten, die uns derzeit regieren, ist ein weiterer Verfall der Legitimität der partizipativen Demokratie zu erwarten, bis hin zur schweren Staatskrise. Hoffen wir, dass mit der Krise die momentane Politikergeneration abgelöst wird, eine verborgene Elite im echten Sinne, die sie ersetzen kann, haben wir immer noch.

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Leserpost

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Gerd Heinzelmann / 12.07.2020

Shinzō Abe ist in Japan geblieben. Weder größenwahnsinnig noch unterwürfig. Bekommen Sie keine Beklemmung bei so markigen Worten?

Hans-Peter Dollhopf / 12.07.2020

Herr Probst, Frau Özoguz sagte einmal: “Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht zu identifizieren.” Und Sie geben ihr vollständig Recht: “Mein Gott, ochlokratischer Politikansatz. Kaum jemand weiss, was das heisst. Warum benutzen Sie solche Fremdwörter, haben Sie das nötig? Schreiben Sie doch so, dass die Leute Sie verstehen!” nix kultur

Immo Sennewald / 12.07.2020

Mehr als die hier angedeutete schmerzliche, aber heilsame “Rosskur”, in der die Politbürokratie zum Gesundschrumpfen gezwungen wird, ist nicht zu hoffen, Schlimmeres hingegen durchaus wahrscheinlich.

Sabine Schönfelder / 12.07.2020

Meines Erachtens sind Parteien als wählbare Ansprechparner in einem demokratischen Gefüge gleichzeitig auch deren Untergang. Sie sind wie ein großes Bermudadreieck, das jede Menge unqualifizierte, dumme, schlecht ausgebildete Menschen in sich verbirgt, die teilweise nie mit dem normalen Alltagsleben in Berührung kamen. Nicht Kompetenz sondern Ideologie, „Parteilinie“ bestimmen Karrieren und die Machtpositionen einzelner Parteimitglieder. Unfähige Politiksimulanten schaffen sich bewußt ein völlig untaugliches Heer von abhängigen Staatssubventionierten, zum Ausbau von Macht und Einfluß. Vor allem die MACHT DER MEDIEN MUß völlig neu definiert werden, deren Unabhängigkeit mittels extrem harter Maßstäbe einer unabhängigen Kontrolle unterliegen. Sonst endet jede Regierungsform früher oder später in einer Despotie. Nicht Parteien, sondern KOMPETENZTEAMS sollten für die Bürger wählbar sein. Das bedeutet, daß es wie in der Privatwirtschaft auch keine Anführer ohne besondere Kenntnisse für einen speziellen Aufgabenbereich GEBEN KANN. Presse wird von Legislative, Judikative und per ständiger Volksabstimmung über ein betrugssicheres System (blockchain) permanent auf einem hohen, sachlichen Niveau etabliert, als bedingungslose Voraussetzung zur Meinungsbildung der Bürger. Wir kennen alle menschlichen Schwächen. Demokratie, Meinungsfreiheit und Pluralismus müssen gegen unsere dunkle Seite andauernd verteidigt werden. Zur Zeit herrscht höchster Bedarf!

Jürgen Probst / 12.07.2020

Mein Gott, ochlokratischer Politikansatz. Kaum jemand weiss, was das heisst. Warum benutzen Sie solche Fremdwörter, haben Sie das nötig? Schreiben Sie doch so, dass die Leute Sie verstehen! Für die 98%, die nicht wissen was Ochlokratie bedeutet: Ochlokratie bedeutet grob gesagt Pöbelherrschaft.

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