Die Bilanzsumme des Eurosytems (Aktiva der EZB und der Nationalbanken) betrug 2019 4.671 Milliarden EUR, Ende 2020 waren es 6.979 Milliarden EUR. Das ist ein Anstieg um 50 Prozent auf 61 Prozent des Bruttosozialprodukts der Eurozone. Die Aktiva des Geldsystems umfassen neben Währungsreserven und Krediten an den Staat vor allem gekaufte Staatsanleihen und andere Schuldverbriefungen, deren Ausfallwahrscheinlichkeit hoch ist, aber auch vergleichsweise sichere Unternehmensanleihen, die der Staat in marktverzerrender Weise gekauft hat. Gleichzeitig beträgt die staatliche Gesamtverschuldung in der Eurozone 10,8 Billionen, das sind 96 Prozent des Bruttosozialprodukts der Staaten der Eurozone.
Die Staatsschulden, die nicht vom Zentralbankensystem gehalten werden, halten private Akteure. Der starke Anstieg der Verschuldung im letzten Jahr ist auf die Reaktion der Staaten auf die SARS-CoV-2-Endemie zurückzuführen: Die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns wurden mit der Geldpresse abgefangen. Die relative Geldvermehrung lag im letzten Jahr netto bei über 20 Prozent, da sie sich aus M3-Geldmengenwachstum minus Wirtschaftswachstum, das im letzten Jahr negativ war und also zur relativen Geldmenge beitrug, ergibt. Wie in dem verlinkten Artikel erläutert wird, wirkt diese Geldmengensteigerung noch nicht inflationär auf den Warenkorb.
Derweil laufen weitere Anstrengungen der EU, um die Geldproduktion weiter zu erleichtern. Mit dem vom Bundesverfassungsgericht zunächst gestoppten EU-Corona-Fonds soll erstmals die EU wie ein Staat am Kapitalmarkt Schulden machen können. Bisher hatten sich immer die Mitgliedstaaten (die Repräsentanten der souveränen Völker Europas) verschuldet, wenn auch ein wachsender Teil der Schulden über die EZB vergemeinschaftet wird.
Doch nun bekommt die EU ein eigenes Finanzierungsinstrument; die Tilgung der EU-Schulden soll aus dem EU-Haushalt erfolgen, was bedeutet, dass dieser mit Sicherheit auf Kosten der Nationalstaaten erhöht werden wird. Zwar soll jedes Land nur anteilig für die Schulden haften, doch wäre dies eine neue Form der Schuldenvergemeinschaftung, die über die Euro-Gruppe, der ja nicht alle EU-Länder angehören, hinausgeht. Die EU-Kommission soll dann über die Mittelverwendung bestimmen. Doch die ist kein repräsentatives Gremium, das der Souverän wählt, sondern eine transnationale Koordinationsstelle, die ein nicht gewähltes Politikerkollektiv leitet. Ein wesentliches Prinzip der Glorius Revolution von 1688 (“No taxation without representation!”) wäre damit endgültig aufgehoben, die EU erhielte einen supranationalen Finanzminister, der die EU-Bürger durch Schuldenaufnahme über die Haftung der Mitgliedstaaten indirekt zwangsbesteuern könnte. Daraus ergeben sich auch die Bedenken der Verfassungsrichter.
Doch diese Art der Geld- und Schuldenproduktion stößt irgendwann an ihre Grenzen.
Die beiden Hauptgefahren
Denn zwei Hauptgefahren bedrohen derzeit die Volkswirtschaft: Erstens eine mögliche Überbewertungsblase in den Bereichen, die bereits inflationär sind – vor allem Unternehmens- und Immobilienbewertungen. Das Platzen solcher Blasen erfolgt, wenn diejenigen, die diese hohen Bewertungen durch Kredite oder Eigenkapitaleinsatz ermöglicht haben, Angst bekommen, dass die Kredite nicht zurückgezahlt werden können oder die eigenkapitalrelevanten Bewertungen fallen. Wann so eine Situation eintreten könnte, wissen wir nicht, die letzte große globale Überbewertungsblase (bei Immobilien) platzte 2008.
Zweitens könnte die private Überschuldung zu einer Welle von Unternehmenspleiten führen. Seit 2008 ist der Anteil von Zombieunternehmen in der Eurozone immer weiter angestiegen. Es handelt sich dabei um Unternehmen, die verschuldet sind und ihre Schulden nicht mehr aus Erträgen tilgen können, sondern auf perpetuelle Kreditverlängerung angewiesen sind. Dies hat viele Gründe; der wichtigste Grund ist, dass der Staat sie durch eine Reihe von Maßnahmen, seit letztem Jahr sogar durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, am Leben erhält. Des Weiteren ist es für knapp kapitalisierte Geschäftsbanken in dem Niedrigzinsumfeld rational, die Kredite solcher Unternehmen nicht abzuschreiben, da dies Eigenkapital verzehrt. Doch wenn diese Unternehmen illiquide werden, helfen auch alle Maßnahmen nichts, dann gehen sie pleite.
Da durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die Lieferanten solcher Firmen oftmals nicht wissen, dass ihre Kunden insolvent sind, geraten sie in Gefahr, als Kreditoren dieser Unternehmen auf ihren Forderungen sitzenzubleiben. So können gesunde von kranken Unternehmen angesteckt werden. Wenn auf diese Weise viele Unternehmen gleichzeitig pleitegehen, kommt es zu einer Insolvenzwelle. Der Staat kann dann nicht viel tun, weil er nicht in der Lage ist, an hunderttausende von Unternehmen rechtzeitig und vor allem auf wirtschaftlich rationale Weise Hilfen auszuzahlen, was das Debakel der Corona-Soforthilfen illustriert.
Wenn sich eine der Hauptgefahren realisiert, ist das Geschäftsbankensystem in Gefahr, weil sowohl das Platzen einer Bewertungsblase als auch Pleitewellen bei Unternehmen das Eigenkapital der Geschäftsbanken aufzehren. Geschäftsbanken drohen dann insolvent und zahlungsunfähig zu werden, der Interbankenmarkt friert ein, der allgemeine Zahlungsverkehr droht zu erliegen wie 2008. Doch davon sind wir derzeit weit entfernt. Seit 2015 ist der Euribor, der die Zinszätze, zu denen sich Geschäftsbanken untereinander Geld leihen, anzeigt, negativ. Selbst beim ersten Lockdown blieb er negativ, er stieg ganz leicht an, doch ist er seit 2016 bei etwa minus 0,5 Prozent stabil. Die Geschäftsbanken zahlen also Geld dafür, anderen Geld leihen zu dürfen.
Krise und Vollgeld
Was könnte der Staat tun, falls eine der Gefahren sich materialisieren würde? Der klassische Ablauf besteht darin, dass Geschäftsbanken, deren Eigenkapital wegschmilzt, versuchen, Aktiva zu verkaufen, um ihr Eigenkapital aufzustocken. Den Geschäftsbanken fallen Immobilien, Land oder Maschinen von Firmen, die pleitegegangen sind, zu, aber auch Immobilien der arbeitslos gewordenen Mitarbeiter dieser Firmen, die nun ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Wenn die Geschäftsbanken diese auf den Markt werfen, sinken die Preise, was Kreditoren sehr weh tut, da die Nominalbeträge, die sie schulden, unverändert bleiben: Das Geld, das sie schulden, wird mehr wert, die Bedienung der Kredite wird erschwert. Parallel dazu stagniert der Zahlungsverkehr, wenn Geschäftsbanken illiquide werden und nicht mehr als Intermediär bei einfachen Geldgeschäften wie Überweisungen auftreten können. In solchen Situationen kommt es oft zu “bank runs”, es bilden sich Schlangen vor den Geschäftsbanken, weil die Menschen um ihre Ersparnisse fürchten und diese abheben wollen. Dies haben wir zuletzt bei der Finanzkrise 2008 in England und dann auch bei der Verschuldungskrise in Griechenland erlebt. In der Vergangenheit reagierte der Staat mit der Schließung von Geschäftsbanken, Gelddrucken, Geschäftsbankenverstaatlichung, Kapitalverkehrskontrollen und anderen Zwangsmaßnahmen, um das Finanzsystem aufrechtzuerhalten. Doch eine viel wirksamere Möglichkeit, eine Währungskrise zu meistern, die bisher im Westen nicht genutzt wurde, ist die rasche Einführung von ungedecktem staatlichen Vollgeld.
Vollgeld bedeutet, dass das gesamte im Umlauf befindliche Geld von der Zentralbank geschöpft und im Umlauf gebracht wird. Die Geschäftsbanken würden ihre Fähigkeit zur Geldschöpfung und der darauf beruhenden freien Kreditvergabe verlieren. Wie funktioniert das?
Sehen wir zunächst davon ab, wie man Vollgeld einführen würde und betrachten seine Funktionsweise. Heute ist das Buchgeld (Giralgeld), das auf unseren Girokonten liegt, kein vollwertiges Zahlungsmittel, sondern nur ein Anspruch darauf. Beim Vollgeld könnten die Geschäftsbanken nur noch Buchgeld bereitstellen, das ihnen zuvor von der Zentralbank zur Verfügung gestellt wurde, die Zentralbank würde die gesamte Geldmenge direkt bestimmen, auf den Girokonten läge dann echtes Zahlungsmittel der Zentralbank. Die Geschäftsbanken würden mit dem Zentralbankgeld nicht nur Kredite vergeben, sondern auch Wertpapiere kaufen und verkaufen oder Kapitalbeteiligungen vermitteln. Sie würden auch weiterhin den Zahlungsverkehr durchführen.
Doch Kredite, die eine Geschäftsbank an Kunden vergäbe, würden in ihrer Bilanz nicht mehr als Aktiva auftauchen, da die Geschäftsbank nur noch als Mittler zwischen der Zentralbank und dem Schuldner agierte. Das Zentralbankgeld würde von den Geschäftsbanken nur noch außerhalb der Bilanz treuhänderisch verwaltet und trüge zum Ergebnis nicht mehr über Zinsen bei, sondern nur noch über Verwaltungsgebühren. Denn es gäbe eben keine Teilreserve für ausgegebene Kredite mehr, sondern diese würden voll durch Zentralbankgeld abgebildet. Die Geschäftsbanken würden zu reinen Intermediären. Bevor wir überlegen, welche Effekte das für die Geschäftsbanken und das Finanzsystem hätte, kommen wir kurz zur Umstellung.
Umstellung
Einen plausiblen Mechanismus zur Umstellung beschreibt Paul Schreyer. Das Buchgeld der Geschäftsbanken, die Verbindlichkeit gegenüber ihren Kunden, würde an einem Stichtag per Gesetz durch Verbindlichkeiten der Zentralbank gegenüber den Geschäftsbankkunden ersetzt. Die entsprechenden Konten würden von den Geschäftsbanken nur noch im Auftrag der Zentralbank geführt. Wenn Schuldner der Geschäftsbank “alte” Kredite, die vor der Einführung des Vollgelds entstanden sind, zurückzahlten, würden diese Tilgungen an die Zentralbank weitergeleitet. Die dadurch erfolgende Geldmengeminderung könnte beispielsweise genutzt werden, um Überschussliquidität aufzusaugen oder der so entstehende Spielraum könnte genutzt werden, um Staaten auf Kosten der Allgemeinheit zu entschulden.
Effekte
Die Degradierung der Geschäftsbanken zu Intermediären der Zentralbank und reinen Zahlungsverkehrsdienstleistern würde die Gewinnmargen der Branche, die stark vom Teilreservesystem und der Kreditverzinsung abhängt, auf die relative Marge eines einfachen Dienstleisters drücken. Die absolute Marge würde auch sinken, da die Umsätze und die Bilanzsumme deutlich kleiner wäre. Die Geschäftsbanken würden zu privatwirtschaftlich betriebenen Behörden der Zentralbank.
Volkswirtschaftlich brächte das Vollgeld theoretisch eine Reduktion der Amplituden der Wirtschaftszyklen, da diese stark von der Geldschöpfung der Geschäftsbanken abhängen. Doch weil wir bereits heute eine massive Geldmengensteuerung durch die Zentralbank haben – über die Setzung der Zinssätze und die monetäre Staats- und Unternehmensfinanzierung –, erleben wir schon jetzt eine Konjunkturschwankungsglättung.
Viel wichtiger ist, dass mit dem Vollgeld eine der Hauptforderungen des Kommunistischen Manifests von 1848 erfüllt würde: Die Verstaatlichung des Geldsystems. Damit würde der Staat seine Macht massiv ausdehnen und die Privatwirtschaft noch weiter zurückdrängen als heute. Zwar ist ein Vollgeldsystem “unkaputtbar” – es kann zu keiner unkontrollierten Inflation und zu keinem Zusammenbruch des Geschäftsbankensystems mit Darniederliegen des Zahlungsverkehrs und der daraus resultierenden Versorgungskrise mehr kommen. Doch würde in einem solchen System der volkswirtschaftliche Gesamtoutput massiv gedrosselt und es würde zu Problemen bei der Verteilung von Gütern kommen. Warum?
Der Staat würde nicht nur planerisch die Geldmenge bestimmen, sondern auch die Kreditvergabe durch Zuteilung von Zentralbankkontingenten an die Geschäftsbanken steuern. Die Kreditvergabe, die für die reibungslose Produktion und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen durch die Privatwirtschaft essenziell ist, würde ineffizient, da volkswirtschaftliche Planung – wie Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek gezeigt haben – unmöglich ist. Das würde zu einer Reduktion der Produktion und zu Problemen bei der Güterverteilung führen. Wir sehen das bereits heute in der selbstgemachten “Coronakrise” ansatzweise: Die Einschränkungen durch die “Maßnahmen” der Regierung drosseln das Bruttosozialprodukt. Zwar führt die Regierung auch planwirtschaftliche Gegenmaßnahmen durch: Geldproduktion, Hilfen an Unternehmen und Selbstständige, Stützung der Sozialsysteme aus Steuermitteln, Verschiebung von Arbeitslosigkeit in die Zukunft durch Kurzarbeit. Doch führt das lediglich zur Geldmengenvermehrung bei sinkendem volkswirtschaftlichem Output. Gleichzeitig stellen die Maßnahmen einen massiven Eingriff in die Vertragsfreiheit und das Eigentumsrecht dar. So war der Sozialismus schon immer. Im Vollgeld wären diese Effekte noch viel gravierender. Vollgeld ist essenziell sozialistisch. Jeder Mensch, der freiheitlich und rechtsstaatlich denkt, muss es daher ablehnen.
Die Alternative: Freies Realgeld
Was ist die Alternative? Freies Realgeld (auch Warengeld genannt). Dieses Geld besteht aus Edelmetall und wird von privaten Geldproduzenten, die miteinander konkurrieren, emittiert. Die besten Realwährungen setzen sich am freien Markt durch, es bilden sich auf diesen Währungen beruhende Schuldscheine (voll gedecktes Papiergeld). Jeder kann jeden Schuldschein sofort in Realwährung tauschen. Die Geschäftsbanken müssen Vollreserve betreiben und können nur so viele Kredite ausgeben, wie sie reale Passiva haben, für die sie vom Einleger ein Kreditvergaberecht erhalten haben. Ein Einleger, der der Geschäftsbank dieses Recht nicht einräumt, zahlt der Geschäftsbank Gebühren für die Geldaufbewahrung. Wer es der Geschäftsbank einräumt, bekommt Zinsen, die sich am freien Markt ausbilden und je nach Verwendungszweck des Kredits risikogestaffelt sind. Dadurch wird eine gesunde Spekulation ermöglicht, die innovative Projekte der Kreditnehmer ermöglicht. Zentralbanken braucht man nicht mehr, da die Geschäftsbanken nicht pleitegehen können.
Der Staat beschränkt sich darauf, die Qualität des Realgeldes zu überwachen, damit kein Geldproduzent seine Kunden betrügen kann (etwa durch Beimischung unedler Metalle). Außerdem wacht er über die Derivate, die Börsen, Versicherer und andere Institutionen und Marktteilnehmer des Finanzsystems und setzt die Eigentumsordnung rund um das System rechtsstaatlich durch.
Auf diese Weise hätte der Staat weniger Kontrolle über Wirtschaft und Gesellschaft, doch würden beide davon stark profitieren. Es gäbe weniger Konjunkturschwankungen als heute, das Eigentum wäre besser verteilt. Verlierer wären die Superreichen, ihre Angestellten in den Großunternehmen, die sie besitzen, der Staat und die von Reichen und Staat finanzierten NGOs und Medienvertreter. Und deswegen werden wir freies Warengeld wohl nicht so bald bekommen.