Georg Etscheit / 21.05.2023 / 11:00 / Foto: Unbekannter Fotograf / 17 / Seite ausdrucken

Zum Tod der Geigerin Edith Peinemann

Obwohl in ihrer Glanzzeit eine Violinistin von Weltrang, geriet die in Mainz geborene Edith Peinemann in Vergessenheit. Von ihrem Tod nahm das deutsche Feuilleton nicht einmal Notiz.

Am 25. Februar starb die große deutsche Geigerin Edith Peinemann. Doch keiner nahm Notiz von ihrem Tod. Nirgendwo in den sonst so gesprächigen Feuilletons findet sich eine nachträgliche Würdigung ihrer Kunst; auch die allwissenden Suchmaschinen vermelden keine Treffer. Selbst bei Wikipedia ist die Musikerin immer noch wohlauf: „Edith Peinemann (geb. 3. März 1937 in Mainz) ist eine deutsche Violinistin und Musikpädagogin.“

Woher eine solche Missachtung? Eigentlich wäre die Personalie doch ein gefundenes Fressen für zeitgeistige Feuilletonisten gewesen, hatte sie doch in einer Zeit als Geigerin international Karriere gemacht, als das für Frauen noch keineswegs selbstverständlich war. Außerdem setzte sie sich für Repertoire abseits des Mainstreams ein, etwa Bela Bartoks zweites Violinkonzert, Max Regers „Concerto“, Alban Bergs Violinkonzert „Zum Andenken eines Engels“ sowie das Violinkonzert von Hans Pfitzner, das Peinemann mit Hans Rosbaud einspielte. Eine Aufnahme, die bis heute Referenzcharakter hat.

„Der Dirigent, avantgardegestählt, legt hier in seiner allerletzten Aufnahme vor seinem Tod am 29. Dezember 1962 dem romantischen Feuergeist Pfitzner die Zügel an, was dem fantastisch-ausschweifenden Stück guttut“, schreibt der österreichische Musikkritiker Wilhelm Sinkovicz zu einer 2019 vom SWR herausgebrachten Neuedition von Studioproduktionen der Geigerin. „Dazu der klare, immer bombensicher intonierende Ton Peinemanns, die freilich auch weiche, erzählmächtige melodische Bögen zu spannen weiß – wir hören die Ehrenrettung eines sträflich unterschätzten, originellen Beitrags zum Thema Violinkonzert aus dem 20. Jahrhundert.“ 

„Veritable Kultfigur“ für heutige Violinisten

Peinemann gelte „vielen heutigen Violinisten und Violinistinnen als veritable Kultfigur und ist zeitlos ein Vorbild geblieben“, heißt es im Werbetext zur der Box mit Einspielungen, die sie seit ihrer Jugendzeit, genauer ab dem Alter von 15 Jahren tätigte, zunächst noch mit ihrem Vater Robert Peinemann in Mainz. Sie spielt dabei auf unterschiedlichen Instrumenten, ab 1965 ausschließlich auf einer Guarneri del Gesù von 1732. Kein Geringerer als der große Dirigent George Szell soll ihr zu dem wertvollen Instrument verholfen haben, zunächst als Leihgabe – später erwarb sie die Meistergeige.

Geboren wurde Peinemann am 3. März 1937 in Mainz am Rhein. Die Domstadt ist zwar nicht als Musikzentrum bekannt, verfügt jedoch über ein respektables Stadttheater, in dessen Orchester Peinemanns Vater als Konzertmeister beschäftigt war. Sie studierte unter anderem bei Max Rostal an der Londoner Guildhall Scholl of Music and Drama, aus dessen Schule unter anderem auch Ulf Hoelscher und Thomas Zehetmair hervorgingen. Bereits mit 19 Jahren gewann sie den ersten Preis im Internationalen ARD-Musikwettbewerb (1956), woraufhin ihr Yehudi Menuhin eine „brillante und erfolgreiche Karriere“ voraussagte. 

Unter den Juroren des Musikwettbewerbs befand sich der einflussreiche Dirigent William Steinberg, der sie in die USA einlud. Dort absolvierte sie 1962 mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra unter Leitung von Max Rudolf ihr Amerikadebüt. Wenig später interpretierte sie mit dem Cleveland Orchestra Antonin Dvoraks a-moll Violinkonzert, das zu einem ihrer Paradestücke avancierte. 1965 trat sie erstmals in der New Yorker Carnegie Hall auf.

Mit allen konzertiert, die seinerzeit Rang und Namen hatten

Ihr Auftritt in Cleveland machte wiederum George Szell auf sie aufmerksam, der der jungen Künstlerin zu Engagements bei den Berliner und New Yorker Philharmonikern verhalf und zu ihrem wohl wichtigsten Förderer wurde. Unter den Fittichen von „Uncle George“ nahm ihre internationale Karriere nun richtig Fahrt auf. Eines der Länder, in denen sie am häufigsten spielte, war Südafrika, wo sie von 1964 bis 1978 insgesamt fünf Tourneen absolvierte. Außerdem gastierte sie weiter in den USA, in Südamerika, Japan und Australien sowie bei den Festspielen in Salzburg und Luzern. Seit 1978 leitete sie eine Meisterklasse an der Frankfurter Musikhochschule.  

In ihrer Glanzzeit galt Peinemann weltweit als eine der besten Violinistinnen ihrer Generation. Sie konzertierte mit vielen, die zu ihrer Zeit Rang und Namen hatten, darunter Eugen Jochum, Wolfgang Sawallisch, George Szell, Georg Solti, Joseph Keilberth und Günter Wand, und wurde mit der Plaquette Eugène Isaye ausgezeichnet, die vor ihr nur David Oistrach, Leonid Kogan und Arthur Grumiaux erhalten hatten. Gerühmt wurde ihre absolute Hingabe ans Werk und die daraus resultierende „Tiefe und Strenge ihres Tones“. Seit 1960 bildete sie zusammen mit dem Pianisten Jörg Demus, Schüler von Walter Gieseking, ein Kammermusikduo. Nur eines ging dieser so bedeutenden wie ernsthaften Musikerin wohl ab: Glamour. Zumindest nach den Maßstäben heutiger Eventkultur.

Rätselhaft, wie man eine Künstlerin dieses Kalibers so vollständig vergessen kann, dass man nicht einmal ihren Tod wahrnimmt. Aber es wirft vielleicht ein Schlaglicht auf den Zustand deutscher Feuilletons, die es längst aufgegeben haben, kenntnisreiche Chronisten des Kulturlebens zu sein, und sich stattdessen in von ihnen selbst angezettelten Krawalldebatten verlieren.

Edith Peinemann wurde 85 Jahre alt.

Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung.

Foto: Unbekannter Fotograf via Wikimedia Commons

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Wilfried Düring / 21.05.2023

Vorsicht! Offenbar liest der Feind auf der Achse tatsächlich mit - BolscheWikipedia hat den Artikel zu Frau Peinemann heute um 11:58 Uhr entsprechend aktualisiert. Dann ist mir der Name Pfitzner aufgefallen. Pfitzner? Pfitzner! Richtig Pfitzner, der war zwar kein Nazi - aber lt. BolscheWikipedia ein ‘antisemitischen Chauvinist’. Ein durch seine ‘starrsinnige Unbelehrbarkeit’  ‘Verstrickter’. Einen wie diesen Pfitzner sollte man deshalb vergessen (damnatio memoriae) - und nicht seine Werke spielen! Frau Peinemann hätte sich von ihm ‘distanzieren’ sollen. Aber dafür war sie halt zu anständig.

Andy Malinski / 21.05.2023

Der vorletzte Satz beschreibt das Problem treffend! Den guten Fach-Journalisten kann/will sich kaum noch ein (Print-) Medium leisten, dann muss noch die Haltung stimmen ... Probleme zuhauf.

Martin Ruehle / 21.05.2023

Danke für die Erinnerung an Edith Peinemann ! Ihre Einspielung von Alban Bergs Violinkonzert “Dem Andenken eines Engels” mit dem BBC Symphony Orchestra unter Leitung von Rudolf Kempe ( London, February 1976) ist einfach wunderbar und die Aufnahme u.a. auf YT zu hören. In einer Zeit zunehmender geistiger Verwahrlosung und Kulturlosigkeit ist das Bewahren vor dem Vergessen heute notwendiger denn je ... .

Kurt Müller / 21.05.2023

Das ist ja eine traurige Geschichte. Ich habe sogleich mal bei Youtube nachgesehen, und höhre zur Stunde eben von dort “BEETHOVEN Violin Concerto E Peinemann, RSO Köln, G Szell live 1964” mit Edith Peinemann von ehedem. Als eingefleischter Liebhaber der klassischen Musik seit meinem dreizehnten Lebensjahr (und durchgehend bis heute) ist mein musikalisches Urteil ... sehr gut. Aber warum ist sie in Vergessenheit geraten? Das ist für die meisten Musiker vorherbestimmt, die sich nicht mit Krach, Krawall und Angeberei in den Vordergrund drängeln, sondern sich einfach nur um die Musikpflege kümmern, und hierbei trotz Meisterschaft bescheiden bleiben. Meine frühere Klavierlehrerin hat auch viele Wartburgkonzerte gespielt (Klavierabende), wie schön und welche umfassende Bildungserfahrung war der klassische Klavierunterricht bei so jemandem! Doch sie ist auch in Vergessenheit geraten ... dazu kommt, daß man heute als Liebhaber klassischer Musik wie ein Dinosaurier wirkt, und angeglotzt wird, als wenn man aus dem Irrenhaus ausgebrochen wäre. Fast alle Erwachsenen im mittleren Alter sind hier völlig ungebildet, es ist empörend. Ich habe in meinem ganzen Leben nur zwei oder drei Leute getroffen, die von dem Thema zumindest ansatzweise was verstehen. Die anderen geben sich mit dem Lärm aus Fernsehen und Radio zufrieden, und halten dies für das Maß aller Dinge. Die Jungend kannst du hier sowieso vergessen - wenn die wüßten, was ihnen von den Massenmedien vorenthalten wird ... die ganze Musikgeschichte von Oswald von Wolkenstein bis Richard Strauß - nichts von den musikalischen Stilmitteln in der Klassik kommt auch nur ansatzweise in der Popmusik vor, darum ist die Popmusik jedenfalls für mich totlangweilig. Und da ist es auch kein Wunder, wenn gute Violinistinnen vergessen werden, obschan das an sich keine gute Entwicklung ist. Vielleicht hilft dieses Kalenderblatt hier auf der Achse, die Erinnerung zu erhalten.

Sabine Heinrich / 21.05.2023

Einem der ganz Großen, der aus einer anderen musikalischen Ecke gekommen ist (Folkmusik) und Welthits geschrieben und gesungen hat - Gordon Lightfoot - wurde anlässlich seines Todes am 1.5. auch nicht eine einzige Zeile in den mir zugänglichen gängigen Medien gewidmet. Vielleicht - werter Herr Etscheid - mögen Sie hier eine Würdigung dieses wunderbaren Sängers nachholen? Oder ein Kollege, der diesen Sänger und seine Musik geschätzt hat?

Thomas Bernhard / 21.05.2023

Vielen Dank für den informativen Nachruf. Im heutigen Land der ehemaligen Dichter und Denker ist es nicht verwunderlich,  dass der “Mainstream” Kompetenz- und Leistungsträger (m,w,d) vergisst oder nicht mehr beachtet. Was soll man auch von denen erwarten, die Menschen ohne Bildung und/oder Lebenserfahrung als ihre Vertreter ins Parlament wählen.

Johannes Schuster / 21.05.2023

Das deutsche “Feuilleton”, - ich kann dieses Wort ohnehin nicht leiden, weil es vor belesener, bildungsbürgerlicher Plattheit nur so transpiriert, - vergisst nicht, es ist einfach WC - Papier von der Rolle, die man sich vom Blatt liest. Da wird alles vergessen, was die Dummheit der Masse auch nicht antizipiert. Und wo keiner Klassik hört, dort herrscht Schelene Hifer oder irgend so ein Berlin - Hartz4 , “ich bin fett und das vom Zucker” - Rapp in der Welt zwischen Billigparfum, ausgewaschenen Leggins und Kindern, die kein Geld haben etwas Sinnvolles zu kaufen, was die Mutter auch nicht kaufen täte, wenn sie Geld hätte. Und wo bitte soll in diesem “Isch bin Doitschland” - Gestank bitte die Kunst sein ? Ich habe schon etliche Gedichte über das Leben eines Stringtangas in den Klüften von Bitterfeld verfasst und die sind auch nicht gedruckt worden, wegen dem Buttersäure - Anteil im Papier und dem Übergewicht des bergmannssprachlichen “Deckengebirges” aus den Überresten von Langeweile, Computerspielen und dem Fraß aus der Angebotsware von Fetto. (Ich bin gespannt, ob die Achse den Mut hat, das zu veröffentlichen, denn auch die gehexelte Wahrwringe ist eine Kunstform). Fragt mal, wer Dinu Lipatti kennt. oder Maria Cebotari oder Paul Morgan oder Claire Waldoff ? Das waren Zeiten, da bestand das Feuilleton noch aus Verrissen mit der Schärfe von Lauschaer Filetierkristall. Heute ist das ein Streichelquast für Babyärsche, was da geschrieben wird.

Ludwig Luhmann / 21.05.2023

Auf YT: BEETHOVEN Violin Concerto E Peinemann, RSO Köln, G Szell live 1964 ... sie schwebt über dem Orchester wie ein Schmetterling über einer Frühlingswiese!

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