Obwohl in ihrer Glanzzeit eine Violinistin von Weltrang, geriet die in Mainz geborene Edith Peinemann in Vergessenheit. Von ihrem Tod nahm das deutsche Feuilleton nicht einmal Notiz.
Am 25. Februar starb die große deutsche Geigerin Edith Peinemann. Doch keiner nahm Notiz von ihrem Tod. Nirgendwo in den sonst so gesprächigen Feuilletons findet sich eine nachträgliche Würdigung ihrer Kunst; auch die allwissenden Suchmaschinen vermelden keine Treffer. Selbst bei Wikipedia ist die Musikerin immer noch wohlauf: „Edith Peinemann (geb. 3. März 1937 in Mainz) ist eine deutsche Violinistin und Musikpädagogin.“
Woher eine solche Missachtung? Eigentlich wäre die Personalie doch ein gefundenes Fressen für zeitgeistige Feuilletonisten gewesen, hatte sie doch in einer Zeit als Geigerin international Karriere gemacht, als das für Frauen noch keineswegs selbstverständlich war. Außerdem setzte sie sich für Repertoire abseits des Mainstreams ein, etwa Bela Bartoks zweites Violinkonzert, Max Regers „Concerto“, Alban Bergs Violinkonzert „Zum Andenken eines Engels“ sowie das Violinkonzert von Hans Pfitzner, das Peinemann mit Hans Rosbaud einspielte. Eine Aufnahme, die bis heute Referenzcharakter hat.
„Der Dirigent, avantgardegestählt, legt hier in seiner allerletzten Aufnahme vor seinem Tod am 29. Dezember 1962 dem romantischen Feuergeist Pfitzner die Zügel an, was dem fantastisch-ausschweifenden Stück guttut“, schreibt der österreichische Musikkritiker Wilhelm Sinkovicz zu einer 2019 vom SWR herausgebrachten Neuedition von Studioproduktionen der Geigerin. „Dazu der klare, immer bombensicher intonierende Ton Peinemanns, die freilich auch weiche, erzählmächtige melodische Bögen zu spannen weiß – wir hören die Ehrenrettung eines sträflich unterschätzten, originellen Beitrags zum Thema Violinkonzert aus dem 20. Jahrhundert.“
„Veritable Kultfigur“ für heutige Violinisten
Peinemann gelte „vielen heutigen Violinisten und Violinistinnen als veritable Kultfigur und ist zeitlos ein Vorbild geblieben“, heißt es im Werbetext zur der Box mit Einspielungen, die sie seit ihrer Jugendzeit, genauer ab dem Alter von 15 Jahren tätigte, zunächst noch mit ihrem Vater Robert Peinemann in Mainz. Sie spielt dabei auf unterschiedlichen Instrumenten, ab 1965 ausschließlich auf einer Guarneri del Gesù von 1732. Kein Geringerer als der große Dirigent George Szell soll ihr zu dem wertvollen Instrument verholfen haben, zunächst als Leihgabe – später erwarb sie die Meistergeige.
Geboren wurde Peinemann am 3. März 1937 in Mainz am Rhein. Die Domstadt ist zwar nicht als Musikzentrum bekannt, verfügt jedoch über ein respektables Stadttheater, in dessen Orchester Peinemanns Vater als Konzertmeister beschäftigt war. Sie studierte unter anderem bei Max Rostal an der Londoner Guildhall Scholl of Music and Drama, aus dessen Schule unter anderem auch Ulf Hoelscher und Thomas Zehetmair hervorgingen. Bereits mit 19 Jahren gewann sie den ersten Preis im Internationalen ARD-Musikwettbewerb (1956), woraufhin ihr Yehudi Menuhin eine „brillante und erfolgreiche Karriere“ voraussagte.
Unter den Juroren des Musikwettbewerbs befand sich der einflussreiche Dirigent William Steinberg, der sie in die USA einlud. Dort absolvierte sie 1962 mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra unter Leitung von Max Rudolf ihr Amerikadebüt. Wenig später interpretierte sie mit dem Cleveland Orchestra Antonin Dvoraks a-moll Violinkonzert, das zu einem ihrer Paradestücke avancierte. 1965 trat sie erstmals in der New Yorker Carnegie Hall auf.
Mit allen konzertiert, die seinerzeit Rang und Namen hatten
Ihr Auftritt in Cleveland machte wiederum George Szell auf sie aufmerksam, der der jungen Künstlerin zu Engagements bei den Berliner und New Yorker Philharmonikern verhalf und zu ihrem wohl wichtigsten Förderer wurde. Unter den Fittichen von „Uncle George“ nahm ihre internationale Karriere nun richtig Fahrt auf. Eines der Länder, in denen sie am häufigsten spielte, war Südafrika, wo sie von 1964 bis 1978 insgesamt fünf Tourneen absolvierte. Außerdem gastierte sie weiter in den USA, in Südamerika, Japan und Australien sowie bei den Festspielen in Salzburg und Luzern. Seit 1978 leitete sie eine Meisterklasse an der Frankfurter Musikhochschule.
In ihrer Glanzzeit galt Peinemann weltweit als eine der besten Violinistinnen ihrer Generation. Sie konzertierte mit vielen, die zu ihrer Zeit Rang und Namen hatten, darunter Eugen Jochum, Wolfgang Sawallisch, George Szell, Georg Solti, Joseph Keilberth und Günter Wand, und wurde mit der Plaquette Eugène Isaye ausgezeichnet, die vor ihr nur David Oistrach, Leonid Kogan und Arthur Grumiaux erhalten hatten. Gerühmt wurde ihre absolute Hingabe ans Werk und die daraus resultierende „Tiefe und Strenge ihres Tones“. Seit 1960 bildete sie zusammen mit dem Pianisten Jörg Demus, Schüler von Walter Gieseking, ein Kammermusikduo. Nur eines ging dieser so bedeutenden wie ernsthaften Musikerin wohl ab: Glamour. Zumindest nach den Maßstäben heutiger Eventkultur.
Rätselhaft, wie man eine Künstlerin dieses Kalibers so vollständig vergessen kann, dass man nicht einmal ihren Tod wahrnimmt. Aber es wirft vielleicht ein Schlaglicht auf den Zustand deutscher Feuilletons, die es längst aufgegeben haben, kenntnisreiche Chronisten des Kulturlebens zu sein, und sich stattdessen in von ihnen selbst angezettelten Krawalldebatten verlieren.
Edith Peinemann wurde 85 Jahre alt.
Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung.