Von Hans Peter Dietz.
In Australien ist ein Referendum, das die Bildung einer nicht gewählten Nebenregierung aus Ureinwohnern ("Indigenous Voice to Government") vorsah, an einer großen Mehrheit der Bürger gescheitert. Die machten damit gleichzeitig ihrer Verärgerung über immer „wokere" und undemokratische Bevormundung Luft.
In den letzten Monaten war das zentrale innenpolitische Thema in Australien ein Referendum, welches eine Verfassungsänderung zur Etablierung einer "Indigenous Voice to Government" vorsah. Dieses Referendum ist nun für unsere sozialdemokratische Regierung spektakulär verlorengegangen. Alle sechs Bundesstaaten und 61 Prozent der Wähler haben dagegen gestimmt, obwohl unser Premierminister Albanese noch ein paar Tage vorher unter Tränen um Zustimmung gebettelt hatte. Manche Kommentatoren nennen es unseren „Brexit-Moment“ und eine „Revolte“. Die Auswirkungen sind unabsehbar. Was ist da passiert?
Die "Voice" ist eine Idee von Aborigine-Aktivisten, die als "Uluru Statement" in 2017 formuliert worden war und von der damaligen konservativen Regierung zurückgewiesen wurde, da sie eine substanzielle Änderung der Verfassung notwendig machen würde. In 2019 hat dann eine "Senior advisory Group" von Aborigine-Aktivisten und Akademikern (Tom Calma, Marcia Langton) die Substanz der angestrebten Verfassungsänderung formal definiert und bei der Labour Party, damals in der Opposition, dafür geworben.
Das Dokument bezeichnete die "Voice", ein nicht gewähltes, in der Verfassung verankertes Gremium von Aborigines, als ersten Schritt zu "Treaty2“, "Reparations", "Sovereignty". Manche der verantwortlichen Aktivisten wollen einen eigenen Staat im Staat, finanziert von Australien, mehrere sind bekennende Marxisten. Es wurde nie klar, wieviel Macht diese "Voice", ein ungewählter Aboriginal-„Bürgerrat“, ausüben würde. Wenn man wissen will, wie weit manche dieser Aktivisten zu gehen bereit sind, sollte man die Senatorin Lidia Thorpe googeln, die selbst den Grünen zu radikal war.
Unmittelbar nach der letzten Wahl im Mai 2022 hatte unser neuer Premierminister Albanese vom linken Flügel der Labor Party (Sozialdemokraten) ein Referendum zur Etablierung der "Voice" angekündigt, und bis Mitte des Jahres sah es für ihn auch ganz gut aus. Einerseits waren die Umfragen sehr positiv mit 60 Prozent Ja-Stimmen. Andererseits waren selbst prominente Konservative wie die frühere Außenministerin Julie Bishop und der frühere Regierungschef Malcolm Turnbull dafür. Und in Australien kann die Verfassung leichter geändert werden als anderswo: Man braucht eine einfache Mehrheit in 4/6 Bundesländern und die einfache Mehrheit in ganz Australien. In Deutschland ist so etwas um einiges schwieriger.
Eine zunehmend aggressiv geführte Diskussion
Albanese machte diese Verfassungsänderung zur wichtigsten Aufgabe seiner Legislaturperiode. Er sagte, sobald sie beschlossen sei, werde seine Regierung mit Hilfe der Grünen einschlägige Gesetze verabschieden. Er hat allerdings nie erklärt, wie solche Gesetze aussehen würden.
In den letzten Wochen gab es eine zunehmend aggressiv geführte Diskussion. Ich selbst bin im Wahlkampf für die No-Kampagne viele Male als Rassist beschimpft worden. Die "Yes"-Kampagne wurde mit vielen Millionen Spendengeldern unterstützt, von fast allen Mainstream-Medien, den meisten Universitäten und professionellen Vereinigungen wie Ärzten und Anwälten, und durch 14 von 20 der größten australischen Unternehmen. Die Pro-Argumente waren ausschließlich emotionaler Natur: Es sei moralisch geboten, Ausgleich für Verbrechen der Vergangenheit zu liefern, es sei die Zukunft, die "Voice" werde die Lebensbedingungen von Aborigines verbessern. Die Slogans waren: "Vote with the heart", "It’s the right thing to do", "Listen to the better angels of your nature", "Do the right thing". Um ehrlich zu sein, fand ich es erstaunlich, wie viele Menschen auf solch banale Propaganda hereinfielen, doch während Covid war’s ja auch nicht anders.
Die Kontra-Argumente waren da schon um einiges rationaler. Zum ersten war da die Tatsache, dass Aborigines schon viel mehr politische Macht haben, als man für 3,8 Prozent der Bevölkerung erwarten würde. Über fünf Prozent aller Abgeordneten im Bundesparlament sind Aborigines, es gibt tausende von Aborigine-Körperschaften, und im Jahr werden über 35 Milliarden Dollar exklusiv für Aborigine-Programme ausgegeben. Es gibt über 100 verschiedene Stipendien nur für Aborigines, und im Zuge von "Affirmative action" wie in den USA sind Aborigines zum Beispiel an Universitäten schon lange im Vorteil. Was die deutlich kürzere Lebenserwartung angeht, eines der offensichtlichen Hauptprobleme, sind zum Teil abgelegene Wohnorte verantwortlich, zum Teil Drogen und Alkohol, aber auch genetische Faktoren und das, was man als ‘Lebensstil’ bezeichnet. Eine Assistenzärztin hatte dies bei einer anderen Kollegin schon vor zehn Jahren in einem privaten Gespräch im Krankenhaus angesprochen und damit fast ihre Karriere beendet.
Ein fundamental rassistisches Konzept
Das wichtigste Argument war aber, dass die "Voice" nicht ein demokratisches, sondern ein fundamental rassistisches Konzept ist. Wir wissen nicht, wie ein solches Gremium besetzt würde, nur, dass es rassenbasiert ist. Es würde die Gewaltenteilung zerstören, weil die "Voice" über Legislative, Exekutive und Judikative steht. Wir hatten eine Vorschau auf Konsequenzen mit dem West Australia Aboriginal Heritage Act Anfang Juli dieses Jahres. Ab 1.100 Quadratmeter Grundstücksgröße mussten einen Monat lang Aborigine-Elders konsultiert werden, wenn der Besitzer Bäume pflanzen oder einen Zaun ziehen wollte. Das Gesetz wurde nach nur einem Monat von der dortigen Labour Regierung kassiert, da es zu viel Munition für die No-Kampagne lieferte. West Australia hat nun mit über 63 Prozent Nein gestimmt. Übrigens waren die Haupt-Wahlkämpfer für die No-Kampagne zwei national bekannte Aborigines: Jacinta Nampijinpa Price und Warren Mundine, die sich in den letzten Wochen die übelsten Beleidigungen anhören mussten.
Dieses Ergebnis von 60,6 Prozent No ist noch etwas schlechter als die letzten Umfragen, doch es war seit Monaten absehbar, dass das Referendum scheitern würde. Ich glaubte, Albanese würde vor Ankündigung des Datums das Ganze Ende August absagen, mit dem Argument, dass die bösen Rassisten sonst die Reputation und das soziale Klima im ganzen Land beschädigen würden. Es hätte eine krachende Niederlage vermieden und dem Land 450 Millionen Dollar gespart. Warum ist Albanese ein derartiges Risiko eingegangen?
Abschaffung des Grundprinzips „one man, one vote“
Die erste Erklärung: Canberra ist der winzige grüne (Ja) Fleck in einem Meer von Orange (Nein) Die Hauptstadt scheint komplett vom Rest des Landes abgekoppelt. Aber Deutsche sind so etwas ja gewöhnt. Die zweite Erklärung lässt sich in der "woken" Verrücktheit des Antirassismus und der "De-Kolonialisierung" finden. Leute in den reichsten Wahlbezirken, an den Universitäten und in der Staatsbürokratie wissen es einfach besser. Sie unterstützen Anti-Rassismus (das heißt anti-weißen Rassismus), Vergeltung oder Sühne für Kolonisation, wie in Kanada und Neuseeland – wo am selben Tag übrigens die Konservativen einen Erdrutschsieg errungen haben.
In dieser Parallelwelt wird die Realität so lange ausgeblendet, wie es nur möglich ist. Die Eliten wissen, dass der Pöbel bigott und rassistisch ist. Am besten, man ignoriert die gemeinen Leute einfach. Wenn das nicht mehr geht, muss man sie umerziehen (siehe das "formal reprogramming" von Hillary Clinton) oder man muss sie entmachten. Das letztere ist offensichtlich der Zweck von "Bürgerräten". Die "Voice" war da schon die richtige Idee: ein antirassistischer Bürgerrat. Leider haben die bösen Konservativen alles kaputtgemacht und die Nation gespalten.
Die beste Analyse kam gestern von einem alten weißen Mann, David Kemp, ein ehemaliger Minister der Konservativen: Die Haupt-Nutznießer der liberalen Demokratie seien schon immer die kleinen Leute gewesen. Die hätten intuitiv begriffen, dass eine Abschaffung des Grundprinzips "one man, one vote" für sie ein Desaster wäre. In der Ablehnung der "Voice" haben nun viele Australier ihre Stimme wiedergefunden. Mir wurde im Wahlkampf oft gesagt, man sage nicht nur „Nein" zur "Voice", sondern auch zu vielen anderen Zumutungen der letzten Jahre.
Die reichsten Wahlbezirke, deren Einwohner schon vor 200 Jahren die Geschicke des Landes dominierten, waren denn auch unter den Wenigen, die mehrheitlich mit „Ja" gestimmt haben. Wie in England, Sachsen oder Virginia sind es die kleinen Leute, die unsere Demokratie retten. Ist das nicht großartig? Oder, wie man hier sagt: Bonza mate! It’s a ripper.
Hans Peter Dietz lebt in Australien.