War am Sonnabend der 42. Woche die Windstromerzeugung noch so hoch, dass inklusive der weiterlaufenden konventionellen Stromerzeugung Strom ins benachbarte Ausland exportiert wurde, drehte sich in der Nacht zum Sonntag das Bild. Der Wind flaute ab, die Windstromerzeugung erreichte gegen 13:00 Uhr ihren Tiefpunkt der Woche. Nicht mal 3 GWh (der Bedarf lag bei über 56 GWh) Windstrom wurden erzeugt. Glücklicherweise gleich Sonnenstrom (13,47 GWh) die Windflaute tagsüber etwas aus. Und glücklicherweise war es Wochenende mit entsprechend geringerem Bedarf. Bis Donnerstag blieb die Windstromerzeugung äußerst schwach. Die Sonne brachte herbstliche 11 bis 13 GWh.
Es kam im Verlauf der Woche zu den üblichen Versorgungslücken, die mit Preisen von 50.000 bis 60.000 Euro pro GWh geschlossen werden mussten. Auf der anderen Seite ging der Exportstrompreis am Samstag, als der Wind wieder stark auffrischte, einmal sogar Richtung Null Euro pro GWh. Am Ende konnten dann doch noch 1.370 Euro pro GWh erzielt werden. Für knapp 12,5 GWh am Samstag, den 26.10.2019 um 13:00 Uhr. Wenn man das Verhältnis erneuerbare zu konventioneller Stromerzeugung betrachtet, dann, ja dann kann einem schon mal angst und bange werden eingedenk der Ausstiegs- und Abschaltphantasien der Welt- und Klimaretter.
Halt, es sind nicht nur Phantasien. 11 TWh CO2-freier Strom aus dem Kernkraftwerk Philippsburg fallen zum 1.1.2020 weg. 11 TWh von 76 TWh bis Ende 2022. Da werden die Importe aus der Schweiz und Frankreich wohl steigen. Stromimporte aus Kernkraftwerken. Zusätzlich wurden bereits die Vorkehrungen getroffen, um zum Beispiel auch Braunkohlestrom aus dem Rheinischen Revier in Baden-Württemberg einzuspeisen. Neben vielem anderem wurde eine entsprechende Konverter-Station gebaut. In Philippsburg. Mit Millionenaufwand. Irgendwie muss es ja weitergehen mit der Stromversorgung (Abbildung: Bitte unbedingt anklicken, Sie öffnen alle weiteren Abbildungen). Auch im verhältnismäßig windarmen Ländle. Wo dann doch die Höhen des Schwarzwalds zum Teil mit Windkraftanlagen bestückt werden. Die Detailzahlen der Energy-charts finden Sie wie immer in der Tabelle und dem daraus generierten Chart.
Die Tagesanalysen
Sonntag, 20.10.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 35,04 Prozent
Der bedarfsarme Sonntag „fängt“ die sinkende Windstromerzeugung praktisch auf. Nicht einmal 60 GWh werden benötigt. Es reichen die auf Warmreserve stehenden thermischen Kraftwerke. Erdgas und Pumpspeicher sorgen in den Spitzen für genügend Strom. Es ist ein ruhiger Sonntag auf niedrigem Niveau in Sachen Strom aus Windkraftwerken. Hier noch der Im-/Export-Chart.
Montag, 21.10.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 29,58 Prozent
Der Bedarf steigt um 0,26 TWh gegenüber dem Vortag. Die Stromerzeugung durch Wind und Sonne verharrt auf niedrigem Niveau. Nur dank erhöhter Pumpspeicherstromerzeugung und Verbrennung sogenannter "anderer" Energieträger (zum Beispiel Mineralöl) kann der Bedarf zumindest zum Teil in der Spitze gedeckt werden. Gleichzeitig musste zusätzlich die Steinkohleverstromung massiv hochgefahren werden. Offensichtlich lohnt sich die Warmreserve für die Kohlekraftwerksbetreiber. Über Tag wurden immer weit über 40.000 Euro pro GWh erzielt. In der Versorgungslücke von 16:30 bis 19:30 Uhr wurden sogar bis zu 66.510 Euro pro GWh erzielt. Ein Preis, der allerdings auch – wie kaum anders zu erwarten – vor allem an die Schweiz und nach Frankreich gezahlt werden musste. Für zugegeben nicht mal 5 GWh gesamt.
Dienstag, 22.10.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 28,57 Prozent
Heute ergibt sich ein ähnliches Bild wie am Montag. Auch heute reichen Pumpspeicherstrom und "Andere" nicht aus, um die Lücke zum Sonnenuntergang zu schließen. Da geht die Sonne doch unter, obwohl der Stromkunde noch das Abendbrot zubereitet. Na sowas. Auch wenn nur recht wenig Strom importiert werden muss: Es kostet wieder über 65.000 Euro pro GWh in der Spitze. Manchmal denke ich, dass dahinter eine schlichte spekulative Absicht steckt. Denn die deutschen Stromerzeuger erhalten selbstverständlich auch den Preis für den von ihnen erzeugten Strom. Werden die Preise so künstlich hochgetrieben? Wird der Stromkunde systematisch über den Tisch gezogen? Denn er bezahlt den Strom. Niemand sonst. Irgendwann müssten die Stromerzeuger doch wissen, dass es ab etwa 17:00 bis 20:00 Uhr sehr oft eine Stromlücke in der eigenen Erzeugung wegen des in dieser Zeit steigenden Bedarfs gibt.
Mittwoch, 23.10.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 28,97 Prozent
Heute gibt es keine Stromlücke am späten Nachmittag. Die Windstromerzeugung zieht ab 17:00 Uhr an. Dafür tut sich von 2:00 bis 10:00 Uhr eine Unterversorgung auf. Liegt der Preis bis 6:00 Uhr noch bei 40.000 € pro GWh, steigt er ab 7:00 Uhr auf annähernd 60.000 €. Um 10:00 Uhr decken sich Stromerzeugung und Bedarf annähernd. Da wird praktisch nur noch Netzausregelungsreserve im- und wieder exportiert.
Donnerstag, 24.10.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 35,42 Prozent
Heute gibt es vor und nach der Mittagsspitze zwei – bezogen auf den Gesamtbedarf – minimale Unterdeckungen, die unproblematisch durch Importe ausgeglichen werden konnten. Preis: Morgens über 50.000 €, Nachmittags 43.000 Euro pro GWh. Ab 18:00 Uhr kommt es zu einem erheblichen Anstieg der Windstromerzeugung, ein nachhaltiger Anstieg, der die Strompreise in weiten Teilen wieder unter 40.000 Euro pro GWh drückt. Am Freitag.
Freitag, 25.10.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 51,30 Prozent
Eine kleine Winddelle gibt es zwischen 17:00 und 19:00 Uhr. Ansonsten ist die Windstromerzeugung befriedigend. Bis auf den genannten Zeitraum reicht die Stromversorgung Deutschlands aus, um den Bedarf zu decken. Hier noch die Im- und Exportdaten.
Samstag, 26.10.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 64,49 Prozent
Der Bedarf sinkt. Es ist Samstag. Und selbstverständlich kann die konventionelle Stromversorgung nicht einfach mal so um 10% heruntergefahren werden. Wer weiß, wie lange der Wind so weht, wie er heute weht. Doch halt. Die Stromüberproduktion stammt vor allem aus flexiblen Gaskraftwerken. Die Steinkohlestromerzeugung hingegen tendiert gegen 0. Es ist ein Rätsel. Oder liegt es an der „geahnten Spätnachmittagslücke“? Wie auch immer. Die Strompreise liegen fast den ganzen Tag unter 30.000 € pro GWh. Was die Windmüller nicht weiter berührt. Die bekommen den festgelegten Garantiepreis.
Übrigens: Ich freue mich, wenn fundamental-kritische Stimmen sichtbar werden. Das bedeutet zum einen, dass sich auch – wie bei meinem Thema – Energiewende-Befürworter mit meinen Artikeln beschäftigen, zum anderen werden Argumente formuliert, die kritisch gewürdigt werden können. Bis hin zu dem Fall, dass dem Pro-Energiewende-Kommentator recht gegeben wird. In jedem Fall findet eine Diskussion statt, die weiterführend ist. Aktuell bemängelt ein Leser (Abbildung 1) dass meine Einstellung zur Energiewende generell zu kritisch sei. Die Zahlen seien doch mit 14 Prozent Energiebereitstellung aus erneuerbaren Energieträgern seit 1990 schon mal was.
Das kann man so sehen. Das Problem ist jedoch ein anderes: Unsinnige und falsche Politiker-Aussagen zur Energiewende haben in Deutschland eine lange Tradition. Politiker machten große Versprechungen zur Energiewende, von denen keines gehalten wurde. Würden die Medien in Deutschland ihrer Aufgabe, nämlich der kritischen Begleitung der Regierungspolitik, nachkommen, dann könnte man des Öfteren schmallippige Reaktionen von führenden Politikern sehen, die mit dem Unfug konfrontiert werden, mit dem sie ihre Wähler hinter die Fichte führen wollten, meint Manfred Haferburg (Quelle: Abbildung 2).
Stromversorgung im Ländle
In diesem Zusammenhang möchte ich noch mal speziell auf die Stromversorgung Baden-Württembergs – faktisch einem der stärksten Industrie- und Gewerbestandorte Deutschlands – und der dort stattfindenden Energiewende zurückkommen. Aktuell sind in Baden-Württemberg 720 (Deutschland gesamt 30.000 Anlagen) Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von 2,08 MW gleich gesamt 1.500 MW in Betrieb. Diese sollen laut offizieller Webseite des Landes (Abbildung 3) insgesamt 2,7 TWh Strom liefern. Das wären 0,585 TWh gleich 21,67 Prozent weniger (Abbildung 4) als im Durchschnitt aller Windkraftanlagen in Deutschland. Was wohl vor allem an der im Artikel zur 42. Woche erläuterten und in Baden-Württemberg geringeren Windhöffigkeit liegt. Dennoch werden auch Teile der Schwarzwaldregion entgegen meiner ursprünglichen Annahme erheblich verschandelt. Trotz massiver Bürgerproteste (Abbildung 5) wurde zum Beispiel in Gersbach/Südschwarzwald das Projekt Windpark Rohrenkopf durchgezogen (Abbildung 6). Ich bin sicher, dass bei der Akquisition durch die Windparkhersteller nur von den maximal möglichen Strommengen gesprochen wurde. Nach dem ersten und zweiten Betriebsjahr sah es dann so aus:
Fünf Windkraftanlagen des Typs Enercon E-115 (Abbildung 7) sollen bis zu 18.750 Haushalte mit klimafreundlicher Energie versorgen [können]. So die Untertitelung des Aufmacherbildes (Abbildung 6) der Webseite. Etwas weiter unten dann die tatsächlichen Fakten: In seinem ersten Betriebsjahr 2017 erzeugte der Windpark Rohrenkopf 31.110 MWh Strom – genug, um 10.500 Haushalte mit Strom zu versorgen und dabei über 14.500 Tonnen CO2 und mehr als 13 Kilogramm Atommüll einzusparen. Im Jahr 2018 wurden auf dem Rohrenkopf rund 32.100 MWh Strom erzeugt, dies entsprach dem durchschnittlichen Jahresverbrauch von rund 10.700 Privathaushalten. Insgesamt konnten dadurch bezogen auf den bundesweiten Durchschnitt rund 10.700 Tonnen CO2 und 9,6 Kilogramm Atommüll vermieden werden (Abbildung 8).
Es wurden und werden also nicht mal annähernd die zunächst in Abbildung 6 genannten Strommengen für über 18.000 Haushalte erzeugt werden. Auch der in Infoblättern versprochene Strom für 15.000 Haushalte wird nicht erzeugt (Abbildung 9). Die Stromerzeugung des Windparks Rohrenkopf liegt ziemlich genau im bundesdeutschen Durchschnitt: Sie liegt in etwa bei einem Viertel der Nennleistung/Installierten Leistung. Aber nun ist er halt mal da, der Windpark. Die Windkraftanlagen, die die Landschaft verschandeln. Von allen anderen Gefahren durch Windkraftanlagen will ich hier gar nicht zu reden. Aber weil sie so schön sind, wurde hinter dem Rohrenkopf gleich noch der Windpark Glaserkopf errichtet (Abbildung 10).
Die korrekte Rechnung
Zum Schluss möchte ich die wirkliche Rechnung aufmachen. Die Rechnung, die zeigt, welchen Beitrag der Windpark Rohrenkopf im Südschwarzwald zur Energiewende beiträgt. Der Strom des Windparks fließt in das allgemeine Stromnetz. Angenommen, der Park würde jedes Jahr 33.000 Megawattstunden (MWh) gleich 33 Gigawattstunden (GWh) gleich 0,033 Terawattstunden (TWh) erzeugen, und legen wir die aktuell bekannten Zahlen des Jahres 2017 zugrunde, dann wären das 0,03 Prozent [0,033 TWh/113 TWh] von den 3,16 Prozent, die die Windkraft mit 113 TWh an der Primärenergie in Deutschland (Abbildung 11) beteiligt ist, dann, ja dann kann ich guten Gewissens behaupten, dass das Ergebnis ernüchternd ist. Um eine Terawattstunde Strom durchschnittlich im Jahr zu erzeugen, wären 152 der auf dem Rohrenkopf verbauten Enercon E-115 Anlagen nötig. Da wären die Höhen des Schwarzwalds wahrscheinlich voll bestückt. Statt 113 TWh Strom aus Windkraft würden dann 114 TWh Strom erzeugt. Das würde eine Steigerung des Anteils der Windkraft an der Primärenergie Deutschlands auf 3,19 anstelle der 3,16 Prozent bedeuten.
Allein um die im Jahr 2018 CO2-freien 11 TWh Strom aus dem Kernkraftwerk Philippsburg 2 (Abbildung 12) ab 1.1.2020 zu ersetzen – das KKW wird zum 1.1.2020 abgeschaltet –, wären sage und schreibe 1.667 Enercon E-115 Windkraftanlagen nötig. Man hätte dann den Strom im Durchschnitt, also zappelnd. Und nicht, wie er gebraucht wird. Das ist jetzt irgendwie auch bei ganz viel gutem Willen nicht prickelnd, oder?
Auf der Webseite des Landes Baden-Württemberg (Abbildung 3) heißt es allerdings: „Die Zahlen zeigen: Die Windkraft ist eine Säule der Energiewende auch in Baden-Württemberg und damit ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz“, sagte Minister Untersteller. Ich behaupte, der Mann weiß nicht, wovon er redet. Schwäbische Hausfrauen können jedenfalls besser rechnen.
Zum interaktiven CO2-Rechner: Hier klicken. Ordnen Sie Deutschlands CO2-Ausstoß in den Weltmaßstab ein. Noch Fragen? Ergänzungen? Fehler entdeckt? Bitte schreiben! Oder direkt an mich persönlich: stromwoher@mediagnose.de .
Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr. Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom? mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.
Rüdiger Stobbe betreibt seit über 3 Jahren den Politikblog www.mediagnose.de.