Kolja Zydatiss / 10.04.2019 / 06:00 / Foto: Torsten Edelmann / 41 / Seite ausdrucken

Wo der Fortschritt lebt

Am Donnerstagabend soll die israelische Raumsonde „Beresheet“ auf der Mondoberfläche aufsetzen. Das Projekt ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Eine Landung auf dem Mond ist bisher nur den Schwergewichten USA, Russland und China gelungen. Im Gegensatz zu den Missionen dieser Länder steht hinter Beresheet keine riesige staatliche Raumfahrtagentur, sondern die gemeinnützige Organisation SpaceIL. Das Projekt wird zwar von der israelischen Raumfahrtbehörde ISA unterstützt, ein Großteil der Kosten wird jedoch von privaten Spendern getragen. SpaceIL wurde 2011 gegründet, um am „Google LunarX Prize“ teilzunehmen. Der Wettbewerb endete 2018 ohne Gewinner, da keinem Team vor der gesetzten Deadline ein Start gelang. SpaceIL machte trotzdem weiter. Inzwischen ist die Mission für Israel zum nationalen Projekt geworden.

Die waschmaschinengroße Sonde Beresheet heißt wie das erste Wort der Bibel „Am Anfang“/„Neubeginn“. Sie wurde am 22. Februar 2019 von einer Falcon-9-Rakete des privaten amerikanischen Unternehmens SpaceX in die Erdumlaufbahn gebracht und schraubt sich seitdem in vielen Schleifen immer näher an den Mond heran. An Bord trägt Beresheet unter anderem eine digitale Version der hebräischen Bibel, eine Kopie der israelischen Unabhängigkeitserklärung und die Erinnerungen eines Holocaustüberlebenden. Die wissenschaftliche Nutzlast besteht im Wesentlichen aus einem Magnetometer, mit dem das Magnetfeld des Mondes untersucht werden soll, und einem Laserreflektor, der genaue Messungen der Entfernung zwischen Erde und Mond ermöglicht.

Die kleine Mission wird wohl keine bahnbrechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse bringen, aber darum geht es auch gar nicht. Die Initiatoren erhoffen sich nach eigenen Angaben einen „Apollo Effekt“. Junge Menschen in Israel und der ganzen Welt sollen durch das Projekt inspiriert werden, die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu studieren und auf diesen Feldern etwas zu leisten.

Ein Fortschrittsoptimismus, wie ihn die Beresheet-Mission verkörpert, ist uns in Westeuropa fremd geworden. Hier orientieren sich die gesellschaftlichen Eliten zunehmend an den vermeintlichen Imperativen einer „Weltrisikogesellschaft“. Der Begriff geht auf den verstorbenen, aber nach wie vor einflussreichen deutschen Soziologen Ulrich Beck zurück, der bereits 1986 schrieb: „Es geht nicht mehr um die Nutzbarmachung der Natur, um die Herauslösung des Menschen aus traditionalen Zwängen, sondern […] wesentlich um Folgeprobleme der technisch-ökonomischen Entwicklung selbst. Der Modernisierungsprozess wird ‚reflexiv‘, sich selbst zum Thema und Problem.“(1)

Fatalistische, fortschrittsfeindliche Haltung in Deutschland

Die Globalisierung und der technologische Fortschritt haben nach Ansicht tonangebender Kreise eine Welt unkalkulierbarer Risiken geschaffen, in der große Würfe nicht mehr wünschenswert oder möglich sind. Letztlich scheint es unseren Entscheidungsträgern nur noch darum zu gehen, die bisherigen gesellschaftlichen Errungenschaften angesichts „entfesselter“ Finanzmärkte, „bedrohlicher“ Klimaveränderungen und „unabwendbarer“ Migrationsprozesse wenigstens halbwegs halten zu können. In Deutschland wollen viele sogar den Rückwärtsgang einlegen und im Rahmen einer Energie-, Verkehrs- oder Agrarwende aus effizienten Technologien aussteigen, die angeblich die ökologische Stabilität bedrohen.

Eine solche fatalistische, fortschrittsfeindliche Haltung konnte sich Israel nie leisten. Von Anfang an musste sich das kleine, trockene Land ohne nennenswerte Rohstoffvorkommen nicht nur gegen feindselige Nachbarn behaupten, sondern auch gegen die Widrigkeiten der Natur. Zunächst stellte die Sicherstellung der Wasserversorgung eines der drängendsten Probleme dar. Durch ambitionierte Pipeline-Projekte, innovative Entsalzungsanlagen, die revolutionäre Tröpfchenbewässerung und die Züchtung trockenheitsresistenter Pflanzen brachte man die Wüste zum Blühen. Seit der Staatsgründung im Jahr 1948 hat sich die Bevölkerung Israels mehr als verzehnfacht. Trotzdem verfügt das Land heute über einen Wasserüberschuss, der es ihm sogar erlaubt, den kostbaren Rohstoff an seine Nachbarn zu exportieren.

In wenigen Jahrzenten wandelte sich Israel vom armen Agrarstaat zum High-Tech-Standort. Zu Beginn des neuen Jahrtausends machten Produkte der Hochtechnologie mehr als drei Viertel der israelischen Exporte aus. 2009 nahm das Land bei der Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen pro Kopf weltweit den vierten Platz ein. Im Jahr 2010 war Israel das Land mit dem weltweit höchsten Anteil an Naturwissenschaftlern und Technologen in der Erwerbsbevölkerung. Israel meldete pro Kopf die fünfthöchste Anzahl an Patenten an und gab 4,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus – mehr als jedes andere Land der OECD.

2017 stufte der „Global Competitiveness Report“ des Weltwirtschaftsforums Israel als zweitinnovativstes Land der Welt ein. Der kleine Staat hat heute den höchsten Lebensstandard im Nahen Osten und Wachstumsraten, von denen die meisten westlichen Industrienationen nur träumen können. Von besonderer Bedeutung ist die Startup-Szene, die mittlerweile als die größte der Welt gilt.

Die Probleme unserer Zeit seien nur noch „global“ lösbar, heißt es allenthalben, am besten von supranationalen Expertengremien, die vom demokratischen Alltagsgeschäft abgekoppelt sind. Das Beispiel Israel zeigt jedoch, welche Dynamik der klassische bürgerliche Nationalstaat auch in unserer globalisierten Welt noch entfalten kann. Das winzige, von Feinden umlagerte Land hält nicht nur Demokratie und individuelle Freiheitsrechte hoch. Es hat auch am wissenschaftlichen Fortschrittsglauben festgehalten, und greift nun nach den Sternen. Wenn Beresheet am Donnerstagabend zur Landung auf unserem Erdtrabanten ansetzt, wird die Welt zuschauen. Und hoffentlich inspiriert sein.

Fußnote (1) Ulrich Beck: „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne.“ Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1986.

Foto: Torsten Edelmann CC BY-SA 2.5 via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Norbert Rahm / 10.04.2019

Ein sehr guter Artikel! Ein Beispiel dafür, wie ein vitales Land sich behauptet. Deutschland hat dagegen eher Bedenken hinsichtlich seines Umgangs mit Menschen, die Israel den Tod wünschen und regelmäßig angreifen. Deutschland ist in der Tat DAS Land der Bedenkenträger und Fortschrittsfeindlichkeit. Auch Windräder sind gefährlich und schlecht, wenn man jeder besorgten Bürgerinitiative zuhört. Prinzipiell sind wir also gegen alles, unsere Energie soll wahrscheinlich aus unserer sorgenerfüllten Selbstherrlichkeit und moralischen Überlegenheit generiert werden. Was ist nur los, wir beschäftigen uns mit der Rettung Afrikas, Afghanistans, der ganzen Welt und am besten macht man heute etwas mit Social Influencer, Klima- oder sonstigen Aktivismus. Den gesuchten Fachkräften im technischen Bereich die angeblich so händeringend gesucht werden bietet man selbstverständlich ein niedrigeres Gehalt, schlechtere Konditionen usw. an. Nie hätte ich es mir gedacht, aber meine Kinder sind in Österreich und Australien besser untergekommen. Zuerst war das Waldsterben und die Geburt der Öko-Bewegung. Dann das Ozonloch. Jetzt darf man den aktuellen Klimawandel nicht anzweifeln, sonst ist man raus. Was die meisten aber doch gar nicht tun, da sie nur die hysterischen Forderungen und Auswüchse der Klimapolitik kritisieren. Man sage nur, Kernkraft wäre sauberer als das Klima mit Braunkohlekraftwerken zu belasten oder unzählige Windräder aufzustellen, dann geht es rund. Freitags die Schule schwänzen und Verbote fordern, vorgeschickte Klimaexpertinnen im Kindesalter scheinen geeignet, um die Masse zu manipulieren. Es ist ein Graus. Eine dem Zeitgeist entsprechende Haltung scheint jeglicher Form von Bildung vorgezogen zu werden.

Johannes Schuster / 10.04.2019

Es muß für Deutschland eine unvorstellbare Qual sein, daß Israel auf den Mond kommt mit einer Technologie, die Deutschland selber hervorgebracht, aber aufgrund seines geisteskranken Größenwahns letztlich verloren hat. Und dieses Nichtverstehen von sich und den Zusammenhängen aus Ursache und Wirkung ist unter Deutschen immer wieder ein guter Antrieb für jede noch so abstruse Verschwörungstheorie, die auch nach höchstens einem Gedanken in blanken Antisemitismus ausartet, ob der nun versteckt daherkommt, oder wenigstens offen.

K.H. Münter / 10.04.2019

Für Deutschland könnte ich mir vorstellen, daß wir eine Feinstaub-Meßstation auf den Mond schießen könnten. Voher müßte allerdings eine entsprechend zusammengesetzte “Experten-Gruppe” festlegen an welcher Stelle auf dem Mond die Meßstation “messen” soll. Ein klarer Zielkonflikt denn wie in Stuttgart sollte ja am Ort mit dem angeblich größten Feinstaub-Aufkommen gemessen werden nur wo auf dem Mond ist das der Fall? Die Experten werden also viel zu bereden haben derweil das “Mond-Feinstaub-Problem” weiter ungelöst bleibt.

Ann-Katrin Singer / 10.04.2019

Stagnation ist der Anfang vom Ende! (Sokrates)

Okko tom Brok / 10.04.2019

Der Kontrast zwischen Israel und Deutschland könnte in der Tat kaum größer sein: lebensbejahender Forscherdrang dort, apokalyptische Hysterie hier. Und man reibt sich die Augen und glaubt es nicht, wie schlecht sich unser Land seit 2005 entwickelt hat. Leider sieht es nicht so aus, als würde sich das alsbald verbessern….

Jochen Brühl / 10.04.2019

In Deutschland wird dafür die neue Form des Marxismus-Leninismus, der multikulturelle Genderismus, studiert. Das braucht zwar niemand, aber ist das nichts? Falls infolge der sich heute schon an allen Ecken und Enden abzeichnenden Mangelwirtschaft und der Reaktionen darauf (z.B. Enteignungen) die Menschen aus dem neuen kommunistischen Paradies abhauen wollen, muss man sich halt etwas einfallen lassen - eine Mauer zum Beispiel.

Marc Stark / 10.04.2019

Masel tov Israel. Aber was ist schon ne Mondlandung zu Europa und insbesondere Deutschland, wo der Großteil bereits hinterm Mond lebt? Ihr könnt auch eure bodenschaftz-arme Wüste zum reinsten Paradies urbanisieren, das verstärkt nur den Hass derjenigen die zwar auf Bodenschätzen sitzen, aber aufgrund Religion, Clanwirtschaft, Korruption und anderen Schludrian, vor allem wegen Bildungsfeindlichkeit, daraus kein Kapital schlagen können. In der fortschrichtsfeindlichen Welt der Hyper-Progressiven, in der nur noch Esoterik und andere Glaube als wissenschaftlich gilt, wirkt ihr, wie von vor-vorgestern. Aber schön, das zumindest bei euch die Uhren noch anders ticken, das bei euch noch Wissenschaft drin ist, wo Wissenschaft drauf steht und das ihr den raktionäeren Zeitgeist der Hyper-Progressiven bei euch ne Abfuhr erteilt. Am Israel chai!

Daniel Gildenhorn / 10.04.2019

Nein, alles falsch. Ein böses Land, das ein „zynischer Politiker„ regiert (siehe aktuell „Der Medienprofi und die Macht“ bei ARTE). Wir hingegen werden von einfühlsamen Mitmenschen voller Empathie dominiert, die keinem was Schlimmes antun. Auch wenn es eine Enteignung sein soll, so wird sie sanft und angenehm ablaufen. Und Israel ist keine positive Meldung im ÖRR wert. Das würde das jahrzehntelang aufgebaute Bild zerstören.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Kolja Zydatiss / 04.04.2024 / 16:00 / 30

Israel steht allein da

Die Solidarität mit Israel nach dem schlimmsten Terroranschlag seiner Geschichte hat sich verflüchtigt. Berlin hat für den jüdischen Staat nur noch weltfremde Forderungen und Belehrungen…/ mehr

Kolja Zydatiss / 26.03.2023 / 11:00 / 23

Beklagen wir uns zu viel?

Vielen Menschen auf der Welt geht es schlechter als uns. Warum also klagen? Draußen öffnen sich die Blütenknospen. Es ist wieder Frühling. Berlin wird heute…/ mehr

Kolja Zydatiss / 16.09.2022 / 10:00 / 35

Ausgestoßene der Woche: Ronaldo trifft Peterson

Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir einen Ronaldo-Shitstorm aufgetischt bekommen, der nichts mit dessen Existenz als Sportler zu tun hat. Sondern mit…/ mehr

Kolja Zydatiss / 09.09.2022 / 10:00 / 46

Ausgestoßene der Woche: Konservative Publikationen

Die Versuche, konservative Medien wirtschaftlich zu ruinieren oder ihren Vertrieb zu unterbinden, nehmen zu, jüngste Beispiele sind die „Budapester Zeitung“ in Ungarn und „The European…/ mehr

Kolja Zydatiss / 17.06.2022 / 10:00 / 29

Ausgestoßene der Woche: Der schnelle Mann

Der ungeimpfte Formel 1-Experte Nico Rosberg darf nicht mehr berichten, die Frauenrechtlerin somalischer Herkunft Ayaan Hirsi Ali am besten auch nicht, und eine Redakteurin der Washington Post, die Kollegen…/ mehr

Kolja Zydatiss / 27.05.2022 / 10:00 / 40

Ausgestoßene der Woche: Klima-skeptische Bank-Manager

Die britische Großbank HSBC hat einen ihrer Top-Manager suspendiert, nach einem Vortrag über Klimawandelrisiken, der zuvor intern abgesegnet worden war.  Der Fall ging diese Woche…/ mehr

Kolja Zydatiss / 20.05.2022 / 10:00 / 42

Ausgestoßene der Woche: Der Fischfilet-Frontmann

Jan „Monchi“ Gorkow, Frontman der in linken Kreisen recht beliebten Rostocker Politpunkband Feine Sahne Fischfilet sieht sich plötzlich in der Rolle des Angeklagten, wo seine…/ mehr

Kolja Zydatiss / 06.05.2022 / 06:00 / 69

Ausgestoßene der Woche: 2G-Plus oder Hungern

The Good, the Bad and the Ungeimpften: Die Lebensmitteltafel in Mönchengladbach will die offiziell schon vor Wochen abgeschaffte 2G-Plus-Regel für die Ärmsten unserer Gesellschaft durch die Hintertür…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com