Rainer Bonhorst / 18.07.2020 / 14:00 / Foto: Sharon Pruitt / 23 / Seite ausdrucken

Wird „woke“ das „new normal“?

Hier ein ganz persönliches Eingeständnis. Ich fürchte, ich bin nicht woke. Jawohl, nicht woke. Ich hätte auch keine Chance, denn der alte weiße Mann ist der Erzfeind der Woke-Gemeinde. Woke, die kämpferische politische Überkorrektheit, hat die angelsächsische Welt längst erfasst. Deutschland eigentlich auch schon. Nur wissen hier viele noch nicht so recht, dass die überkorrekten Kampfhennen und -hähne woke sind. Aber das kommt schon noch. 

Es dauert immer ein bisschen, bis die coolen Begriffe aus Amerika zu uns herüberschwappen. Cool war ja auch so einer. Und Bro, eine Kurzform von Brother, die ursprünglich nur Afroamerikaner untereinander benutzten. Deutsche Rapper (auch so ein Begriff) haben aus dem Bro einen Bra gemacht. Passt schon, wenn man davon absieht, dass Bra auf englisch ein Büstenhalter ist.

Nun gut, zurück zu woke. Das Wort ist amerikanischer Slang für aufgewacht, erwacht. Wer woke ist, ist erwacht. Sollte das den einen oder anderen Leser an das „Erwachet“ der Zeugen Jehovas erinnern, so ist das durchaus angebracht. Ob fromme Sekte oder linke Kulturkampf-Truppe: Das ist in Stil und Methode nicht von Belang. Auch die Woke-Sekte, die allerdings dabei ist, eine größere Religionsgemeinschaft zu werden, hat vom Berg Sinai oder sonst woher eine Reihe eherner Gebote auf uns Erdenbürger hernieder gebracht. 

Das erste Gebot: Du sollst nicht weiß sein. Weiße stehen unter Rassismus-Generalverdacht und müssen Buße tun, indem sie jede gedankliche Differenzierung in Rassen- und Kolonialfragen vermeiden und bei jeder Gelegenheit als Mantra bekennen: Ich bin kein Rassist. Wer, wie neulich Barack Obama, sagt, die Welt sei nicht nur schwarz oder weiß, ist nicht woke. Obamas Ausrutscher in die Vernunft – sein Schwarzsein wurde ja schon immer infage gestellt – wurde sofort geahndet: Mit dem Verweis, dass er nunmehr in das Lager der alten, in seinem Fall halbweißen Männer übergewechselt sei.

Aus dem Avantgarde-Kader ausgestoßen

Zweites Gebot: Du kannst nicht einfach eine Frau sein. Frauen verlieren ihre Zugehörigkeit zum woken Frausein, wenn sie die Gebote der neuen Emanzen-Diktatur missachten. Dazu gehört auch das Gebot, dass nicht nur Frauen Frauen sind, sondern auch Männer, die Frauen sein wollen, mal operativ, mal auch nur psychologisch. Wer sagt, es gebe einen (kleinen?) Unterschied (z.B. Kinder gebären) zwischen Bio-Frauen und Trans-Frauen, wird entwoked. So ist die einst hochverehrte Frauenrechtlerin Germaine Greer, Autorin des „weiblichen Eunuchen“, als Gender-Renegatin aus dem Avantgarde-Kader der Woke-Genderinnen ausgestoßen und mit Redeverboten belegt worden. Dass ich in diesem Zusammenhang die altkommunistischen Begriffe „Renagat“ und „Avantgarde-Kader“ benutze, ist kein Zufall, sondern als Richtungsbeschreibung der Woke-Gemeinde beabsichtigt. 

Die britische Journalistin Julia Hartley-Brewer, auch eine aus dem engen Zirkel der ultrakorrekten Feministinnen Ausgestoßene, schildert ein besonders aufschlussreiches amerikanisches Beispiel von woke: Dort stand eine Transfrau, die natürlich in ein Frauengefängnis eingeliefert wurde und dort ihr Unwesen trieb, vor Gericht. Warum? Weil sie, so die offizielle Formulierung, „mit ihrem Penis“ eine Mitgefangene sexuell genötigt haben soll. Mit „ihrem Penis“. Das ist woke, wie es woker kaum sein kann. Wer behauptet, da hat sich ein Mann in das Frauengefängnis hineingeklagt und dort echte Frauen vergewaltigt, gehört in die Hölle des Unwokeseins.

Drittes Gebot: Schwulsein allein reicht nicht, um woke zu sein. Man muss auf eine ideologisch korrekte Weise schwul sein. Die Zugehörigkeit zu einer lange verfolgten und benachteiligten Minderheit schützt nicht vor Entfernung aus dem Lager der unter Opferschutz Stehenden. Wer nicht den strikten Glaubensbekenntnissen der Erwachten folgt, fliegt raus. 

Einer der profiliertesten Kritiker der Erwoketen, der bekennende Homosexuelle Douglas Murray, hat seinen Status als offiziell anerkannter Schwuler verloren, weil er in zwei Büchern die Woke-Community kritisch beleuchtet. Der Engländer sieht in der Bewegung eine Bedrohung für die freiheitlichen Traditionen unserer westlichen Demokratien. 

Als eine dieser Bedrohungen betrachtet er auch die grenzenlose Einwanderung vor allem aus Ländern des Islam nach Europa. Hier sind wir beim vierten Woke-Gebot angelangt: Du sollst deinen moslemischen Nachbarn, auch den fundamentalistischen, so lieben wie dich selbst. Murray gilt in der Woke-Community als Rassist und islamophob. Dass dieser Vorwurf jeden und jede treffen kann, zeigt das Kölner Beispiel: Als auf der Domplatte jugendliche Horden nahöstlicher Herkunft systematisch Frauen und Mädchen belästigten, wagte die Emma-Gründerin Alice Schwarzer den Hinweis, man solle nicht Fremdenliebe über Frauenliebe stellen. Das hat der Erzfeministin in der als solche noch nicht firmierenden, aber bereits aktiven Woke-Community keine Freundinnen gemacht.

Sie fühlen sich nicht frei, ihre Meinung zu äußern

Douglas Murray hat mit seinen zwei Büchern den Finger in all diese Wunden gelegt. Er nennt sich neokonservativ, was in einer Demokratie erlaubt sein sollte, auch wenn es nicht woke ist. Angela Merkels totale Grenzöffnung für eine runde Million moslemischer Migranten sieht er als eine Folge des deutschen Schuldkomplexes. Wie die meisten Brexit-Briten hält er allzu weit geöffnete Grenzen für fatal.

In seinem Buch „Der Selbstmord Europas“ hat Murray für ganz Europa vorhergesagt, was Thilo Sarrazin zum Entsetzen der SPD in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ geschrieben hat. Auch in seinem Buch „Wahnsinn der Massen. Wie Meinungsmache und Hysterie unsere Gesellschaft vergiften“, beschreibt Murray die Gefahr, die er von der antitoleranten Woke-Bewegung ausgehen sieht.

Dass er sich dabei nicht in einem luftleeren Raum bewegt, lässt eine aktuelle Umfrage der Knight Foundation unter amerikanischen Studenten erkennen. Darin sagten fast die Hälfte (46 Prozent), in der universitären Debatte sei die sprachliche Inklusion von Minderheiten, ob Rasse oder sexuelle Orientierung, wichtiger als das in der Verfassung verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung. Mehr als die Hälfte sagten, sie fühlen sich nicht frei, ihre Meinung zu äußern. Das kann nicht als Überraschung kommen. Woke hatte seinen Ursprung an den Universitäten, ehe in Politik und etlichen Medien das Prinzip woke seinen Eingang fand. Redeverbote an Universitäten gehören heute zum Alltag. Die große Mehrheit ist zwar nicht woke, wird aber immer mehr mit dem Woke-Unwesen konfrontiert.

Sie fühlen sich nicht frei, ihre Meinung zu äußern. Als alter weißer Mann kann ich mich darüber amüsieren. Ich stehe ja nicht mittendrin in dem Theater. Und die Erfahrung lehrt, dass jede Zeit ihren ganz speziellen Unfug hervorbringt, der dann von der nächsten Generation als solcher entlarvt wird. Mal sehen, was die Generation sagt, die der Woke-Generation folgt. Wenn es den Woke-Kämpfern von heute eines Tages so geht, wie den früheren Hippies mit ihrem BWL studierenden und Anzug tragenden Nachwuchs, kann es noch lustig werden. 

Foto: Sharon Pruitt Flickr CC BY 2.0 via Wikimedia

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Leserpost

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H. Heinz / 18.07.2020

“Als alter weißer Mann kann ich mich darüber amüsieren. ” Tatsächlich? Ich halte Ihre Aussage für bestenfalls zynisch werter Autor, um nicht zu sagen “voll daneben”. Würde mich interessieren ob Sie sich auch dann noch amüsieren wenn Antifa und Co. demnächst vielleicht ihr Auto abfackeln oder Schlimmeres, Sie vielleicht nicht mehr die Bücher kaufen können, die Sie lesen wollen. Denken Sie sich weitere Einschränkungen aus.

Lars Schweitzer / 18.07.2020

Wokeness bekommt sicherlich bald eine ICD-Nummer.

Rolf Mainz / 18.07.2020

“Mal sehen, was die Generation sagt, die der Woke-Generation folgt.” Diese Generation wird sagen “Allah ist mächtig” und wird ihm danken, den “Woke”-Jüngern den Garaus gemacht zu haben, so oder so.

Heribert Glumener / 18.07.2020

Im Beitrag wird auch das Medium Erwachet der Zeugen J. genannt. Ich darf darauf hinweisen, dass die Zeugen J. das 1969 für rund 3 Millionen Dollar erworbene Gelände in Brooklyn (“Weltzentrale”) 2016 für rund 340 Millionen Dollar veräußert haben. Also Segen im Überfluss !  Auf woke kann kein Segen liegen, sondern nur Unheil, Wahn und Zerfall lasten.

Gudrun Meyer / 18.07.2020

Es wäre wichtig, zu erfahren, welche Fächer die befragten, amerikanischen Studenten belegt haben. In D dürften ähnlich vom Woke-sein geprägte Antworten und Statistiken erstellbar sein. Aber nicht bei MINT- und wohl auch nicht bei Wirtschaftsstudenten. Kein angehender Zoologe verwechselt eine sexuelle Identität mit einer Anatomie; dass die erste der zweiten in Einzelfällen widerspricht, bedeutet eben nicht, dass XX und XY “gesellschaftliche Konstrukte” wären, sondern nur, dass es Menschen gibt, die im falschen Körper geboren werden. Kein angehender Physiker oder Mathematiker stimmt gröbsten Verstößen gegen die einfachste Logik zu (etwa: “alle Menschen sind vom Geno- über den Phänotyp bis hin in rein individuelle Merkmale gesellschaftliche Konstrukte, aber Menschen mit der falschen Hautfarbe, dem falschen Alter und dem falschen Geschlecht sind schuld an allen Problemen des Planeten”). Und so weiter. Und auch da, wo sich die Fakultäten in Schwätzabteilungen auflösen, gibt es echte Wissenschaftler, in D. z.B. den Althistoriker Egon Flaig, aber auch die Soziologin Necla Kelek. Das sind wichtige Wissenschaftler, nicht die Schwätzperten. Und die Gender-Ideolog*innen können unmöglich mehr als eine kurzlebige Mode im Rahmen der “Trashkultur” sein. Allerdings besteht die von Ihnen angeschnittene Intoleranz und wird sich vermutlich noch verschlimmern. Neben den “reinen” Schwätzern gibt es die weit gefährlicheren, totalitären Paranoiker und die Gossenexistenzen, die als Antifa, BLM-Aktivisten und ähnliches die Gelegenheit außer zum Plündern auch zum Angriff auf demokratische Rechtsstaaten nutzen.

Ulla Schneider / 18.07.2020

Ist doch nett, Herr Bornhorst, wenn das neue Wort ” woke” statt ” bekloppt” heisst.  Ich kenne nur die Zeitung “en vogue” , was hier soviel bedeutet wie ” Das Neueste, up to date, auch im Sinne von Qualität…..etc”. Nur kann man die Haute Couture nicht mit der Straßen Couture vergleichen. Selbst Geistesblitze haben ihre ” Qualitäten”, nur erkennen sollte man sie. - Nach Ihren Beschreibungen bin ich nicht woke wohl eher EN VOGUE. Diese “aussergewöhnlichen” Menschen sollten sich eine halbhohe chines. Pfanne zulegen, eine Wok. Diese ist ziemlich heiß und weckt so machen Menschen auf, woke eben.

Marcel Seiler / 18.07.2020

Man sollte den Kopf einziehen und warten, bis es vorbei ist. Die französische Revolution kam zum Ende, als die Leute die Nase voll hatten vom Geschwätz und der Schlachterei. Damals übernahm Napoleon. Wird es bei uns der fundamentalistische Islam sein?

Giovanni Brunner / 18.07.2020

...hat die angloamerikanische Welt erfasst. ... glaube ich kein bisschen. Ich bin mir sicher, dass dieser “woke” Schas einen durchschnittlichen Amerikaner null interessiert! Dieser Müll ist etwas für die Bussi Bussi Blasen in gut bekannten Teilen Kaliforniens und der Ostküste, sprich wo sich die Linken, sprich Demokraten tummeln. Wieder wird ein “Nichts” unnötig thematisiert und so getan als wäre diese “Bewegung” relevant. Halt - ich Rudere ein wenig zurück. Für die Generation von eingebildeten oder tatsächlichen verschwulten und sonstwie verkehrten Warmduscher ist mangels Intelligenz und Rückgrat dieses Thema tatsächlich von Relevanz.

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