Ein erfolgreiches und beim Publikum beliebtes Musikfestival in Hannover musste etwas "progressivem" und "inklusivem" weichen, doch kein Mensch wollte Tickets dafür kaufen. Jetzt gibts den zweiten Versuch unter besonderer Berücksichtigung nicht binärer "Flintas" –dem wohl letzten Sargnagel für das Publiklumsinteresse.
Die Presseinformationen zum Festival existieren noch. Und sie klangen folgendermaßen: „Frauen* sowie sich als weiblich identifizierende und nicht-binäre Personen sind in der Musikbranche noch immer unterrepräsentiert.“ So beginnt man allerdings keine Einladung zu einem Musikevent mit Kartenverkauf, sondern eine Rechtfertigung für einen Hausarrest, eine Umerziehung oder eine Tracht Prügel. Motto: Was jetzt kommt, tut mir mehr weh als dir. Im Text folgte viel „Zeichen setzen“ für „…mehr Geschlechtergerechtigkeit in allen Bereichen der Musikbranche.“ Ein voller Erfolg sollte es werden, das LineUp-Festival für Genderequality in der Musikbranche, dafür war auch eine angeschlossene Konferenz vorgesehen, auf der man lernen konnte, warum man das alles für gut, wichtig und alternativlos halten muss. Interaktiv, international, inspirierend! Die Alliteration saß perfekt, das Motto war progressiv und inklusiv, alles war vorbereitet für September 2022, doch dann blieben völlig überraschend die Zuschauer aus. Das als Großveranstaltung geplante und angekündigte Fest der Genderfreunde, Sichtbarmacher und Männliche-Privilegien-Checker wurde still und leise verschoben.
Was war nur schiefgegangen? Warum nur verkauften sich die benötigten 6.000 Tickets nicht wie gegendertes Brot? Solche Fragen werden sich die Macher(innen) wohl auch gestellt haben. Schließlich kamen sie offenbar zu dem Ergebnis, dass der Name „LineUp“ irgendwie nicht fordernd genug und die Botschaft zu zahm gewesen sei, gingen in Klausur und besserten nach. Das Festival soll nun am 1. und 2. September 2023 stattfinden und wird „Take *Space“ heißen. Raum einnehmen wollen die Veranstalter also. Wenn nicht gar besetzen, die Übersetzung ist da ja fließend. So viel Raum, dass man für die Besucher nicht mehr so viel einplanen will wie im letzten Jahr: Man rechnet nur noch mit 500. Viel wichtiger ist doch sowieso die Botschaft! Und bei der hat man auch etwas nachgeschärft:
„Die Musikbranche ist noch immer von patriarchalen Strukturen geprägt.“
Nimm das, Patriarchat! Wer unsichtbare Feinde hat, für den bekommt der Tag Struktur.
„Das Take *Space Festival mit Summit am 01. & 02. September 2023 setzt sich dafür ein, Alternativen und Lösungsansätze aufzuzeigen und FLINTA*-Personen in der Musikbranche sichtbar zu machen. Es eröffnet Chancen und ist ein Wegbegleiter für Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche.“
Erst mal das Problem für die Lösung finden
Lösungsansätze in der Musik also. Musik und Volkserziehung – da bekommt man direkt Lust, eine Karte zu kaufen! Wenn man nur wüsste, wo das dazu passende Problem ist. Zu wenige weiblich gelesene Hilfskräfte, die Boxen und Kabel schleppen? Eine zu männlich gelesene „harte Tür“ beim Einlass? Verkaufen Taylor Swift, Beyoncé und Helene Fischer zu wenige Karten, weil sie an die gläserne Decke stoßen? Blockieren die Wildecker Herzbuben das Mädchenklo oder war gar wieder mal Rammstein im Spiel? Denk‘ nicht so misogyne Dinge, du Strolch von einem Autor, und lausche der Darlegung des Problems!
„Die Musikbranche mag nach außen hin bunt und offen wirken, aber die Realität sieht anders aus.“
Nach außen also. Das ist das, was wir hören und sehen. Doch traue nicht Auge noch Ohr, erkenne die Barrieren in den Karrieren!
„Es gibt immer noch Barrieren, die es FLINTA*-Personen schwer machen, in der Musikindustrie Fuß zu fassen und erfolgreich zu sein.“
Flintas, also irgendwie Frauen und Lesben und noch irgendwas. Das „und“ wirkt hier lustig deplatziert, weil Lesben ja nach der herkömmlichen Definition auch Frauen sind und der Begriff „Frauen“ eigentlich keiner Beigesellungen bedarf, um als „Gruppe“ hinreichend groß, stark und unverzichtbar zu sein. Gibt es also zu wenige singende Frauen? Werden deren Tickets mit Abschlag verkauft? Gibt es unverschämte Männerquoten in Frauenbands? Man weiß es nicht so genau, aber die Barrieren müssen schrecklich sein! Welche genau? Das erfährt, wer ein Ticket für schlappe 45 Euro zum Festival mit dem Addendum „Summit“ erwirbt. Inklusive zwangsweise 50 Cent für ein Drittel eines Baumes, der irgendwo in Deutschland gepflanzt wird. Immerhin das! Einen Hinweis auf das schreckliche Unrecht gibt es immerhin.
Patriarchale Strukturen sorgen für Benachteiligung
„Studien zeigen, dass weiße cis-Männer immer noch die meisten Führungspositionen in der Branche besetzen, in Lineups bevorzugt werden und auch hinter der Bühne in technischen Bereichen dominieren. Dies ist ein Zeichen dafür, dass es noch viel Arbeit gibt, um die Branche inklusiv und vielfältig zu gestalten.“
Fragen Sie jetzt bloß nicht nach den exakten Studien, liebe Leser! Studien zeigen, das sei Fingerzeig genug! Kaufen Sie lieber ein Ticket, besonders dann, wenn Ihre Hautfarbe irgendwo zwischen Weißbrot und Hefezopf liegt. Und bedenken Sie, wie schlimm es um die Musikbranche bestellt sein muss, dass sich „Flintas“ weinend in den Armen liegen müssen, statt Verstärker zu schleppen und in Führungsposition Events zu veranstalten. Beides dürfen die nämlich gar nicht, dafür sorgen das Musikpatriarchat und Dieter Bohlen. Ja, denken Sie jetzt ruhig auch mal an Vader Abraham und die Schlümpfe! Allesamt männlich geschlumpft und gelesen, nicht eine Schlumpfine dabei! Schon gar keine mit Hut auf! „Sagt mal, wo kommt ihr denn her…?“ Von wegen aus Schlumpfhausen! Aus der Küche und Row Zero natürlich! Ist es nicht so? Aber das wird sich ändern:
„Patriarchale Strukturen in der Gesellschaft und in der Branche selbst tragen dazu bei, dass Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen immer noch benachteiligt sind. Es ist an der Zeit, dass wir uns dieser Tatsache bewusst werden und aktiv etwas dagegen unternehmen.“
Da haben wir’s doch! Dings… na, Sie wissen schon… Personen! Benachteiligt!
Bloß nicht gleich die Flinta ins Korn werfen!
„Wir müssen Strukturen aufbrechen, die FLINTA*-Personen daran hindern, ihr volles Potential auszuschöpfen, und ihnen die gleichen Chancen geben wie ihre männlichen Kollegen. […] Das Take *Space Festival will dafür sorgen, dass die Musikindustrie zu einem Ort wird, an dem sich jede*r willkommen und akzeptiert wird, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder ethnischer Herkunft.“
Jeder ist willkommen, jawoll! Ausgenommen natürlich auf den Veranstaltungen des anschließenden Summit, auf denen nur Flintas zugelassen sind. Aber das versteht sich ja von selbst! Nieder mit Feminismus und Femininismus, es lebe der Flintaismus!
„Lasst uns sicherstellen, dass FLINTA*-Personen in der Branche endlich den Platz einnehmen, der ihnen zusteht, und dass wir alle von ihrer Kreativität und ihrem Talent profitieren können.“
Viele wissen ja gar nicht, dass das Leben ein Kino mit Sitzplatz- und Popcorngarantie ist und dass Erfolg, sei er künstlerisch oder wirtschaftlich, nach Proporz und Geburtsrecht verteilt wird. Man muss nur einen Teil seiner Identität, der nichts mit Musik zu tun hat, als anspruchsberechtigt nach vorne schieben, und schon läuft es mit dem Verkauf von Tickets, dem Streaming, den Klicks und den Grammys. Musik – egal wie gelesen – bekommt man ja überall, für woke Musik muss man schon nach Hannover und zum Take *Space-Festival gehen.
Und falls es auch in diesem Jahr und im zweiten Anlauf nicht klappen sollte mit dem Fest, bloß nicht gleich die Flinta ins Korn werfen! Auf das Publikum kommt es ja gar nicht an, und Sponsoren wie Sennheiser, Rossmann, Sparkasse Hannover und die Einbecker Brauerei werden ihre Gelder schon nicht zurückfordern. Schließlich haben die nicht für Musik, sondern für ein paar schicke ESG-Punkte bezahlt, und 2024 ist ja auch noch ein Jahr, das Patriarchat zu besiegen. Dass dies schlussendlich sowieso – zumindest in Hannover – gelingt, garantiert schon die Kooperation mit dem Pavillon Kulturzentrum. Der eine oder andere Leser wird sich erinnern: Das waren die aufgeweckten „Flintas“ von der Mach-dein-eigenes-Ding-Fraktion, die im letzten Jahr das beliebte, tradierte und erfolgreiche Masala-Festival in Hannover gekillt haben. Dessen Gründer waren ja aber nur Männer und was das für welche sind, wissen wir ja nun…
Roger Letsch, Baujahr 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de, wo auch dieser Beitrag zuerst erschien.