Stefan Frank / 19.02.2022 / 16:00 / Foto: Pixabay / 5 / Seite ausdrucken

Wie Israel arabische LGBT-Jugendliche schützt

LGBT-Jugendliche im arabischen Sektor werden oft angefeindet und bedroht. Ein neues Projekt in Haifa will speziell ihnen einen Schutzraum bieten.

Der Staat Israel wird demnächst seine erste Unterkunft für arabisch-israelische LGBT-Jugendliche eröffnen. Das hat das Ministerium für Wohlfahrts- und soziale Angelegenheiten in Jerusalem angekündigt, berichtet die auf den Nahen Osten spezialisierte englischsprachige Nachrichtenwebsite The Media Line.

Das Projekt geht auf die Initiative von Knesset-Abgeordneten zurück, die es als „historisch“ werten. Zudem sollen in der nordisraelischen Hafenstadt Haifa zwei weitere Wohnanlagen für arabische LGBT-Erwachsene entstehen. Hintergrund der Maßnahme sei, dass arabisch-israelische LGBT-Jugendliche sich bislang nur an Einrichtungen wenden konnten, die von jüdischen Israelis betrieben werden, es dort aber häufig keine Sozialarbeiter gibt, die Arabisch sprechen.

Sie habe mit Angehörigen der arabischen LGBT-Gemeinschaft gesprochen und gefragt, was ihr dringendster Bedarf sei, sagt die israelisch-arabische Filmemacherin und Knesset-Abgeordnete Ibtisam Mara’ana, die seit Beginn dieser Legislaturperiode für die derzeit an der Regierung beteiligte Arbeitspartei im Parlament sitzt und sich sehr für diese Unterkunft eingesetzt hat. „Die einhellige Antwort, die ich erhielt, war, dass ein Rahmenwerk von Notunterkünften fehlt, ebenso wie provisorische Wohnungen für LGBT-Jugendliche aus dem arabischen Sektor.“

Die Unterkunft werde in einem Gebiet mit großer arabischer Bevölkerung entstehen, der genaue Ort stehe aber noch nicht fest, sagte sie. In der Einrichtung werde Arabisch gesprochen, zudem werde auf die besonderen soziokulturellen Bedingungen Rücksicht genommen. „Ich hoffe, dass die Einrichtung dieses Zentrums ein jahrelanges Tabu in der arabischen Gesellschaft in Bezug auf die LGBT-Gemeinschaft bricht, die richtige Antwort für junge Frauen und Männer in Not bietet und auch der arabischen LGBT-Gemeinschaft hilft, die Anerkennung und Legitimität zu erlangen, die sie verdient hat.“

Ein Sprecher des Ministeriums für Wohlfahrt und Soziales sagte gegenüber The Media Line, dass das Zentrum in etwa sechs Monaten eröffnet werde. Ziel sei es, sicherzustellen, dass arabisch-israelische Jugendliche „sich wohl fühlen, da die Jugendbetreuer ihre Sprache sprechen“.

16-Jähriger in Lebensgefahr

Die Idee, speziell auf den arabischen Sektor ausgerichtete Unterkünfte zu eröffnen, entstand im Jahr 2019, berichtet Or Keshet, der Direktor für Regierungsbeziehungen bei Aguda, Israels größter Organisation für LGBT-Rechte mit Sitz in Tel Aviv. Damals wurde ein 16-jähriger arabischer Israeli vor einer LGBT-Unterkunft in Tel Aviv von zwei seiner Brüder und einem von deren Freunden überfallen. Laut der Anklageschrift hatte einer der Brüder herausgefunden, dass der 16-Jährige eine Beziehung zu einem anderen Mann hatte. Daraufhin begann für den Jugendlichen eine Leidensgeschichte, die beinahe mit seiner Ermordung geendet hätte.

Zuerst hielt einer seiner Brüder ihm vor dem anderen Bruder und der Mutter ein Messer an die Kehle und sagte: „So, wie ich andere Leute getötet habe, habe ich kein Problem damit, dich zu töten. Ich werde dich erschießen und niemand wird wissen, dass ich es war.“ Dann ohrfeigte, boxte und trat er ihn bis zur Bewusstlosigkeit. Nachdem der 16-Jährige Anzeige bei der Polizei erstattet hatte, sperrte die Familie ihn zu Hause ein. Dennoch gelang ihm die Flucht zu Beit Dror, einer LGBT-Unterkunft in Tel Aviv. Am Tag des Überfalls erkannte der Freund der beiden Brüder den 16-Jährigen vor dem Gebäude von Beit Dror.

Als der Jugendliche an die Tür hämmerte, um sich ins Innere zu retten, fuhr einer der beiden Brüder ihn mit dem Auto an. Der andere Bruder sprang aus dem Wagen und stach mit einem Messer auf ihn ein. Als er um Hilfe rief und sich Passanten versammelten, flohen die Täter. Das Opfer wurde in kritischem Zustand mit drei lebensbedrohlichen Wunden an Hals, Brust und Magen ins Krankenhaus gebracht. Bei einer Notoperation mussten die Gallenblase und ein Teil des linken Lungenflügels entfernt werden.

Schutz vor Gewalt

„Aufgrund dieses Vorfalls haben wir und andere LGBT-Organisationen einen Prozess mit dem Ministerium für Wohlfahrt und Soziales eingeleitet, um herauszufinden, wie das Ministerium die Bedürfnisse der Gemeinschaft im arabischen Sektor besser erfüllen kann“, sagte Keshet gegenüber The Media Line. Viele arabische Israelis fühlten sich aufgrund „kultureller und sprachlicher Barrieren“ in regulären Unterkünften fehl am Platz. Die meisten queeren arabischen Israelis würden von ihren Gemeinschaften gemieden, und manche litten unter häuslicher Gewalt, wenn ihre sexuelle Orientierung ans Licht komme, so Keshet. „Einige sind in ihren Häusern eingesperrt und gefesselt.“ Obwohl Tel Aviv als eine der LGBT-freundlichsten Städte der Welt bekannt sei, werde eine abweichende sexuelle Orientierung in vielen Teilen der arabisch-israelischen Gesellschaft als behandlungsbedürftige Störung angesehen.

Und auch die Helfer haben es nicht leicht, denn diejenigen, die arabischen LGBT-Jugendlichen Anlaufstellen bieten wollen, geraten schnell selbst ins Kreuzfeuer. Wie etwa die arabisch-israelische Christin Julia Zaher, der das Unternehmen Al Arz gehört. Al Arz mit Sitz in Nazareth ist einer der größten israelischen Hersteller von Tahini (Sesampaste). Es wurde zum Ziel einer arabischen Boykottkampagne, nachdem die Firma in Zusammenarbeit mit Aguda Pläne zur Finanzierung einer Krisenhotline für LGBT-Jugendliche angekündigt hatte. Dem Unternehmen wurde vorgeworfen, „Abweichungen in der palästinensischen Gesellschaft“ zu fördern. In den sozialen Medien waren Videos zu sehen, die zeigten, wie arabische Lebensmittelhändler das Tahini von Al Arz aus ihren Regalen entfernten – was nur einmal mehr bewies, wie notwendig solche Hilfsangebote sind.

Auch die Knesset-Abgeordnete Mara’ana ist wegen des von ihr auf den Weg gebrachten Projekts nun unter Beschuss. Der Abgeordnete Walid Taha von der islamischen Ra’am-Partei schwor, dass er die Eröffnung einer solchen Unterkunft nicht zulassen werde. „Als arabische Frau in Ihrer Partei, Ibtisam, würden Sie besser daran tun, sich mit den brennenden Problemen der arabischen Gesellschaft auseinanderzusetzen“, sagte Taha. „Menschen in der arabischen Gesellschaft, Frau Ibtisam, halten an ihrer Religion und ihren Werten fest und stimmen nicht zu, dass ein Mann einen anderen Mann heiratet und eine Frau mit einer anderen Frau zusammen ist.“

Taha habe nicht verstanden, worum es geht, sagt Keshet. Mit gleichgeschlechtlicher Ehe habe das Projekt nichts zu tun. „Letztlich sprechen wir über etwas, das Leben retten kann. Der Zweck dieser Unterkünfte ist es, Menschen von der Straße zu holen und zu verhindern, dass sie in Prostitution, Armut oder Drogenabhängigkeit geraten. Das sind Menschen, die aus ihren Häusern vertrieben wurden und von ihren Familien sexuell, körperlich und verbal missbraucht wurden. Das Ziel ist es, ihnen einen warmen Ort, ein Bett, Essen und eine grundlegende menschliche Versorgung zu bieten.“

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

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Leserpost

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b. stein / 19.02.2022

LGBTQ Unterkünfte in einem Gebiet mit großer arabischer Bevölkerung…Eine hochgefährliche Aktion. Wer checkt die Schutzbedürftigen?Das kann sowas von nach hinten losgehen. Es wird einen enormen Schutzaufwand echter Betroffener geben. Ich setze dieses Unterfangen gleich mit “Vergewaltiger kommt ins Gefängnis, fühlt sich ab sofort als Frau und wird, damit er in seinem neuen Rollenbild nicht in Gefahr gerät, in einem Frauengefängnis untergebracht”. Nun gut, kann auch sein, dass eine Chance besteht, dass das mit den Unterkünften in Gebieten mit großer arabischer Bevölkerung gut geht, dann hoffe ich, dass die Betreuer grundehrlich und gegen Angreifer und Einschleicher in allen Kampftechniken ausgebildet sind.

Hans-Peter Dollhopf / 19.02.2022

Was für eine Sensation.

S. Marek / 19.02.2022

Israelische Örtliche und Staatliche Behörden und Administration sollten aufhören westliche Unsitten zu kopieren und in eigenem Land einzuführen, nur um den dem Untergang geweihten “Demokratien” zu gefallen.  Das wird sowieso nicht den im Westen erstarkten Antisemitismus aufhalten, da dessen Ursachen in den verfehlten inneren und äußeren Politik dieser Länder liegt.

Peter Petronius / 19.02.2022

Unterstütze heute so genannte LGBT-Personen dort, wo sie nicht gleichberechtigt sind, und Du wirst morgen ebenda, wenn die so genannten LGBT-Personen Einfluss und Macht gewonnen haben, zu den Ersten gehören, die ihren Job verlieren, weil sie z.B. behaupten, daß es Mann und Frau gibt.

finn waidjuk / 19.02.2022

Die mit Abstand gefährlichste behandlungsbedürftige Störung weltweit ist der Islam.

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