Karim Dabbouz / 03.07.2018 / 06:25 / Foto: achgut.com / 74 / Seite ausdrucken

Wie ich mich bei zweierlei Maß ertappte

Ich bin ja kein klassischer AfD-Wähler. Das hält mich aber nicht davon ab, sie zu verteidigen, wenn ich es für nötig halte. Meine Position war immer, dass das Schweigen über offensichtliche Probleme – selbst wenn sie nur gefühlt offensichtlich sind und deshalb Richtigstellung bedürfen – den rechten Rand stärkt, statt ihn zu schmälern. Ich trauere Edmund Stoiber nach, bei dem konservativ noch konservativ war. Er orientierte sich an dem Grundsatz, dass es rechts der CSU keine andere legitime Partei geben dürfe. Das hieß auch, dass es in der Union kein Themenvakuum geben durfte, das Platz lässt für eine Partei rechts der CSU.

Auch begründete ich meine Unterstützung für die AfD oft damit, viele Angriffe gegen sie seien kontraproduktiv, weil sie auf moralischer Überlegenheit und gerne auch auf Doppelstandards beruhen. Das fiel mir immer schwerer, je kleiner das bürgerliche Lager und je schwerer und häufiger die Auswürfe des rechten Flügels der AfD wurden.

Und dann passierte am Abend der Parlamentswahl in der Türkei etwas, mit dem ich nicht gerechnet hätte. Nachdem ich mir den Autokorso in Dortmund-Nord angesehen hatte, las ich ein paar 140-Zeichen-Kommentare zur Türkeiwahl bei Twitter. Cem Özdemir twitterte: „Seien wir ehrlich zu uns: Die feiernden deutsch-türkischen #Erdogan Anhänger feiern nicht nur ihren Alleinherrscher, sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. Wie die AfD eben. Muss uns beschäftigen.“ Dem hatte ich nichts hinzuzufügen, das fand ich okay. Dafür meldete sich Daniel Bax, ehemals taz, heute Lobbyist beim Mediendienst-Integration. Und er sprach, wie ich lange sprach: „Das Wahlergebnis gefällt mit nicht. Ich hätte der Türkei einen Wandel gewünscht. Ich fürchte aber, genau solche Belehrungen verstärken nur den Trotz, der sich in der demonstrativen Zustimmung zu Erdogan ausdrückt.“

Alle Schuld auf die Gesellschaft

Mit Daniel Bax habe ich ungefähr so viel gemein wie mit Björn Höcke. In dieser einen Lesart aber ticken wir ähnlich. Wir versuchen, denjenigen zu Hilfe zu eilen, die einen ganz offensichtlichen Fehler begangen haben, und unsere rettende Hand ist die Suche nach Gründen in äußeren Umständen. Denn es ist ein offensichtlicher Fehler, den Landsleuten in der Zweitheimat einen Despoten an den Hals zu wählen, während man selbst die Vorzüge im freien, demokratischen Deutschland genießt. Und es ist ein Fehler, die AfD auch dann noch für eine konstruktive Alternative zu halten, obwohl die sich noch immer nicht ihrer Höckes, Poggenburgs und Gedeons entledigt hat. Was ist das also für ein Argument, das Bax und ich da nutzen?

„Die wissen es doch nicht besser“ und „die Gesellschaft ist schuld, weil sie Menschen das Gefühl der Ausgrenzung gibt“ sind furchtbar abgegriffene Argumente. In der Migrationsdebatte hören wir sie ständig. Man muss sich, finde ich, eines vor Augen führen: Hinter diesem Argument steckt ein postmoderner Zeitgeist, der alles zu einer Frage der Sichtweise erklärt. Wer Erdogan wählt, zeigt demnach nicht eine antidemokratische Einstellung, sondern ein Symptom des Leidens unter „der“ Gesellschaft, die ausgrenzt und diskriminiert. Man müsse die Entscheidung aus Sicht der Betroffenen verstehen und im Zweifel auch tolerieren. Wer AfD wählt und riskiert, Freiheiten zugunsten von einfachen Lösungen und polemischem Gepolter aufzugeben, der tut dies nur, weil „wir“ ihm Chancen verweigern oder weil wir ihn und seine Positionen ausgrenzen.

In seiner Extremversion ginge das Argument so weit, dass niemand mehr für irgendetwas selbst verantwortlich ist, schließlich lastet auf uns allen der Druck „der“ Gesellschaft, und wir alle haben natürlich auch subjektive Beweggründe. Wir fühlen uns ausgegrenzt, wir fühlen uns unsicher, missverstanden oder beleidigt. Und wir haben diese Gefühle nicht, sondern sind ihnen schutzlos ausgesetzt. In seiner Konsequenz spricht das Argument erwachsenen Menschen die Fähigkeit rationalen Denkens ab.

Das funktioniert natürlich umso besser, je stärker wir daran arbeiten, eine Gruppe als Opfer zu inszenieren statt als mündige Menschen mit freiem Willen, freiem Zugang zu Bildung und Information. Was Einwanderer angeht, wurde hier ganze Arbeit geleistet. Salopp gesagt: Ein Migrant, der einen Fehler begeht, tut dies nur, weil wir ihn dazu zwingen und wir ihm Ressourcen verweigern. Ein „Biodeutscher“, der einen Fehler begeht, ist selbst schuld. So war das lange Zeit.

Ostdeutsche AfD-Wähler als die neuen Migranten?

Vor einigen Wochen drang die Umkehrfunktion dieses Arguments auch ins linke Lager vor. In einem Interview mit der taz zog Naika Foroutan (wie Bax ebenfalls dem Kulturrelativismus zugeneigt) Parallelen zwischen ausgegrenzten Migranten und Ostdeutschen, die rechts wählen. Beide fühlten sich heimatlos und ausgegrenzt, argumentierte sie. In den darauffolgenden Tagen wurde das Thema noch von einigen anderen Medien aufgegriffen, und ich ärgerte mich ein wenig, dass ich diese Lesart außerhalb meiner Blase nicht selbst an den Mann bringen konnte. Sie war bis dahin ja doch weitgehend ungehört. Plötzlich aber galt der alte Grundsatz nicht mehr, nach dem Migranten nichts für ihre Fehler können, rechts-wählende „Biodeutsche“ aber voll verantwortlich für jegliche Dummheiten sind. Plötzlich waren auch Björn Höcke und seine Anhänger irgendwie Opfer der Umstände.

Ausgerechnet Daniel Bax hat mein politisches Koordinatensystem also gehörig durcheinandergebracht. Unbewusst spiegelte er ein Argument, mit dem ich die AfD gerne verteidigte. Jetzt fragte ich mich: War das alles falsch? Oder ist doch etwas dran, an der Erzählung der Gesellschaft, die sich ihre politischen Outlaws selbst schafft, weil sie sie und ihre Positionen ausgrenzt?

Abschließend weiß ich es nicht. Ich weiß aber, dass Demokratie auch bedeutet, selbst grobe Dummheiten am runden Tisch vortragen zu dürfen. Das gilt für Erdoganwähler genau wie für Höckefans. Was wir den einen zugestehen, darf den anderen nicht verwehrt bleiben. Das heißt aber nicht, dass konkrete Entscheidungen losgelöst sind von persönlicher Verantwortung. Es gibt keine Schuldübertragung auf „die Gesellschaft“. Und um unliebsame Themen auf die Agenda zu setzen, gibt es zum Glück ja noch andere Wege als das Kreuz für eine Partei, die sich auf dem Weg zu einer echten Alternative verlaufen hat.

Foto: achgut.com

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Nico Schmidt / 03.07.2018

Sehr geehrter Herr Karim Dabbouz, vielen Dank. Gut getroffen und gut geschrieben. Darum lese ich die Achse so gerne! MfG Nico Schmidt

Markus Freuler / 03.07.2018

Was für ein Geschwätz. Welche “Freiheiten” genau möchte denn die AfD “zu Gunsten einfacher Lösungen” abschaffen? Geht es da vielleicht etwas genauer? Natürlich könnte Dabbouz dafür tausend Beispiele nennen, wenn er nur eins wüsste. Die Gleichsetzung von AfD Wählern mit Erdogan-Wählern mag im Oezdemirschen juste milieu der Oberburner sein. dumm wie Brot ist sie trotzdem. Es fehlt die Substanz. Die Sehnsucht des Herrn Dabbouz, endlich nicht mehr zu den Bösen zu gehören, trieft nur so aus dem Artikel. Zwei schmierige Nummern, die Geistesriesin Foroutan und den kleinen Antisemiten Bax als Zeugen zu benennen ist da nur noch das Sahnehäubchen auf der Kirsche.

Thomas Möckel / 03.07.2018

Ja dieser AfD-Wähler! Er muss sich doch kategorisieren lassen, verflixt noch eins! Er ist abgehängt und dumm, Pöbel eben, sogar der Nagervergleich wie einst im “Stürmer” scheint hier angebracht. Aber halt, bei näherer Betrachtung hielt dies nicht stand. Zu viele Akademiker und diplomierte liessen sich “verführen”. Auch die “Rechte” Gesinnung will sich nur schwer anheften lassen, haben doch viel zu viele “Normalbürger” die AfD gewählt. Was könnt es dann nur sein? Nun soll es der Druck der Gesellschaft sein, dem der Wähler nicht standhalten kann, die ihn ausgrenzt. Das es eine Politik ist, die direkt am Menschen vorbei handelt, ihn bevormundet und als verachtenswert bezeichnet, das kann es doch auch nicht sein? Tja, dann such mal weiter, Karim!

Herwig Mankovsky / 03.07.2018

Na, was jetzt ? Also doch nicht AfD, weil? Oder irgendwie doch, weil?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Karim Dabbouz / 15.03.2022 / 14:00 / 18

Unser Mediensystem: Urteilen statt Debattieren (2)

Die Komplexität unseres modernen Mediensystems verführt Journalisten und Leser mehr und mehr dazu, in einfache Gut-Böse-Schemata zu verfallen – statt wirklich zu argumentieren. Auch Faktenchecks…/ mehr

Karim Dabbouz / 14.03.2022 / 12:00 / 15

Unser Mediensystem: Filterblase aus Selbstschutz (1)

Ständig heißt es, unsere Filterblase würde unseren Meinungshorizont verengen. Dabei ist unsere Medienlandschaft heute so komplex wie noch nie – wo mehr Auswahl herrscht, muss…/ mehr

Karim Dabbouz / 08.06.2020 / 06:05 / 197

I can’t breathe

In einem Land zu leben, in dem Versammlungen auch in Ausnahmezeiten nicht pauschal untersagt werden dürfen, ist ein großes Privileg. Attila Hildmann weiß das. Im…/ mehr

Karim Dabbouz / 20.03.2020 / 09:00 / 48

Fake-News hin oder her – in der Krise zeigen neue Medien ihre Stärke

Am 08.01.2020 identifizierten chinesische Wissenschaftler SARS-CoV-19 erstmalig als neues Virus. Zwei Wochen später, am 24.01.2020, zählte China bereits über 1.000 Fälle und setzte die chinesische…/ mehr

Karim Dabbouz / 28.07.2018 / 06:11 / 63

Wenn von der Islamkritik nur noch Rassismus übrig bleibt

Wenn wir in den vergangenen Jahren eines gelernt haben, dann dies: Das einzig Alternativlose in Zeiten der Alternativlosigkeit ist die Alternative. Sie kommt auf jeden…/ mehr

Karim Dabbouz / 21.04.2018 / 12:50 / 8

Augsteins Opfer

Wie kommt es, dass Jakob Augstein nach der Attacke auf zwei Männer mit Kippa in Berlin nichts Besseres einfällt, als die Tatsache zu betonen, die…/ mehr

Karim Dabbouz / 03.03.2018 / 12:00 / 14

Für eine freie Presse braucht es die Öffentlich-Rechtlichen nicht

Nie war die Medienlandschaft so vielfältig wie heute. Jeder kann heute „Nachrichten“ produzieren oder diese kommentieren. Daher auch die Debatte um „Fake News“. Gleichzeitig gibt…/ mehr

Karim Dabbouz / 06.01.2018 / 17:42 / 12

Das Zensurgesetz frisst seine Kinder

Es fällt mir schwer, meine Schadenfreude zu unterdrücken, aber ich tue es trotzdem, denn das NetzDG ist Mist, da gibt es für mich keinen Zweifel.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com