Karim Dabbouz / 20.03.2020 / 09:00 / Foto: achgut.com / 48 / Seite ausdrucken

Fake-News hin oder her – in der Krise zeigen neue Medien ihre Stärke

Am 08.01.2020 identifizierten chinesische Wissenschaftler SARS-CoV-19 erstmalig als neues Virus. Zwei Wochen später, am 24.01.2020, zählte China bereits über 1.000 Fälle und setzte die chinesische Stadt Wuhan unter Quarantäne. Mutmaßlich hatte die chinesische Führung die entstehende Epidemie lange unter Verschluss gehalten. Als klar war, dass sich das Virus in den vergangenen Tagen bereits weit verbreitet haben musste, startete auch hierzulande die intensive Berichterstattung. Ab Ende Januar stiegen die Suchanfragen zu „Corona“ erst langsam und dann, ab dem 22.02.2020, sprunghaft an. An diesem Samstag registrierte Italien erstmals einen starken Anstieg an Infizierten.

Noch bevor das Virus in Europa eine echte Rolle spielte, konnten wir uns aus unterschiedlichsten Quellen über den Verlauf der Epidemie in China sowie über das Virus selbst informieren. Dabei standen uns seit Beginn der Epidemie in Asien nicht nur die Berichte aus klassischen Medien, sondern auch zahlreiche Primärquellen zur Verfügung. Auf einer eigens eingerichteten Seite der Johns Hopkins University werden etwa Daten zur Pandemie zusammengetragen und grafisch für jeden verständlich aufbereitet.

Auf Twitter und in den Kommentarspalten der großen Tageszeitungen verlinken Nutzer medizinische Fachartikel, noch bevor irgendein Journalist Zeit hatte, sich ihrer anzunehmen. Eigens dafür eingerichtete Twitter-Accounts sammeln und kuratieren Informationen zum Virus und zum neuesten Geschehen. Dazu liefern einige der bekanntesten Spezialisten für Viruserkrankungen und Epidemien wertvolle Informationen und Einschätzungen aus erster Hand. Kurz: Die Fülle und Qualität an Informationen zu einer Krise war noch nie so hoch wie heute. Hinzu kommt die Geschwindigkeit: Zeugenberichte, Fallzahlen, Presseberichte von Behörden und Institutionen landen schneller beim Konsumenten als wir „Medienschelte“ sagen können.

In der Krise gibt es keine Zeit für Gatekeeping

In Krisen kommt es darauf an, dass Menschen schnell erfahren, wie die Lage wirklich ist und wie sie sich zu verhalten haben. Innerhalb von zwei Tagen wusste selbst der letzte, wie wichtig gründliches Händewaschen ist, dass alte und kranke Menschen besonderen Schutz benötigen und dass exponentielles Wachstum heißt, dass aus ganz wenigen in kurzer Zeit ganz viele werden. Hashtags wie #FlattenTheCurve, die dazu aufrufen, aktiv an der Eindämmung des Virus mitzuhelfen und so das Gesundheitssystem zu entlasten, sind in Krisenzeiten womöglich wertvoller als jeder Lagebericht eines Italienkorrespondenten.

In Sachen Geschwindigkeit können klassische mit den neuen Medien natürlich nicht mithalten. Zu einem Großteil haben sie ihre Funktion als Gatekeeper deshalb verloren. Ein Symptom dessen ist, dass sich auch Falschmeldungen und irreführende Informationen schnell verbreiten. Die Nutzer müssen lernen (und das tun sie), die Qualität von Informationen kritisch zu bewerten und verschiedene Quellen zu sichten. Hierbei hilft, dass die neue Medienlandschaft eben nicht, wie gerne behauptet, vor allem Falschmeldungen und Unsinn fördert, sondern in weit überwiegender Anzahl richtige und gute Informationen an die Oberfläche spült.

Auch funktionieren die Technologien und Mechanismen für jeden gleich: Wertvolle Informationen lassen sich genauso schnell verbreiten wie dreiste Lügen. Dass klassische Medien ihre Rolle als Gatekeeper einbüßen, ist deshalb nicht grundsätzlich negativ. Gerade in Krisen funktioniert die neue Medienlandschaft sehr gut. Das liegt nicht nur an ihrer hohen Geschwindigkeit, sondern auch daran, dass Informationen eben nicht mehr zwangsläufig durch die Hände klassischer Medien als Gatekeeper gehen müssen. Informationen gibt es direkt von den entsprechenden Experten und Wissenschaftlern. Mit dem schönen Nebeneffekt, dass nicht zuerst diejenigen zu Wort kommen, die über die besten Medienkontakte verfügen, aber viel Substanzloses erzählen, sondern diejenigen, die wirklich etwas beizutragen haben.

Lebensrettender Servicejournalismus

Die Wahrheit ist: Für viele Dinge braucht es den klassischen Journalismus nicht mehr. Bräuchte es ihn, dann ginge es ihm prächtig. Dennoch profitieren auch etablierte Medien von den neuen Möglichkeiten. Auch sie können wertvolle Informationen heute schneller und mit weniger Barrieren beschaffen sowie ansprechender aufbereiten, als dies früher der Fall war. Das gilt vor allem für solche Sachverhalte, die sich quantifizieren und visualisieren lassen. Nicht umsonst beschäftigen Redaktionen weltweit immer größere Data-Teams, die Daten sammeln, aufbereiten und visualisieren. Bevor diese Data-Scientists im Journalismus anheuerten, taten sie ihre Arbeit auf anderen Gebieten, und das tun sie nach wie vor. Ihre Arbeit finden wir auf Twitter, Medium, unabhängigen Blogs und in Nischenmedien. Der klassische Journalismus dient hier höchstens der Reichweitensteigerung.

Vieles von dem, was wir gerade als guten Journalismus erfahren, wäre mit den alten Mitteln gar nicht möglich. Trotzdem stehen „neue Medien“ und die ihnen zugrundeliegenden Technologien weiter im Verdacht, die Medienlandschaft zu verunstalten. Das Gegenteil ist der Fall. Sie machen auch den klassischen Journalismus besser. In der Krise wird aus dem sonst eher eitlen Deutungsjournalismus ein lebensrettender Servicejournalismus, der sich der neuesten Möglichkeiten bedient und gerade deshalb einen großen Mehrwert hat. Zwar beobachten wir auch in dieser Krise gelegentlich die typischen Scharmützel, die sich im Wesentlichen mit der Frage beschäften, ob Pandemie-Vorsorge nun „links“ oder „rechts“ ist, oder welche Maßnahmen welchem Lager vermeintlich in die Karten spielt. Aktuell ist das aber nur Randgeschehen.

Dieser Beitrag steht auch auf Karim Dabbouz’ Blog.

Foto: achgut.com

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Leserpost

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Gabriele klein / 20.03.2020

@Herr Schuster: Also dass wir hier einen tatsächlichen Notstand haben würde ich jetzt schon glauben. Das Problem sind überlastete Krankenhäuser und die sollte man durch Reduzierung der sozialen Kontakte (nur die physischen übrigens) schon entlasten. Virtuell können sich die Leute doch unbeschränkt treffen und versammeln. Webinars und skype sitzungen sind meines Wissens nicht verboten.  Der Notstand ist doch weltweit und nicht nur bei uns. Was leider sehr schlecht lief ist dass man hier PC mäßig nicht vorbereitet scheint. In andern Ländern z.B. USA klappt das mit online Schulung im Notfall wesentlich besser.  Ich entsinne mich noch an das große Geschrei, wie man hier den Computer in der Erziehung verteufelte während andere wie z.B. Israel den PC längst mit Erfolg bei der speziellen Schulung von den Behinderten und Benachteiligten einsetzten .  Theoretisch könnte der Schulunterricht ganz normal weiterlaufen ohne Gang zur Schule nur durch Webinar, vermutlich wäre der Unerricht sogar effizienter da weniger störanfällig. Auch blieben einzelne Schüler vor dem Drogenhandel und der Schikane ihrer Mitschüler verschont. Aber auch das macht vermutlich zu viel Sinn.

Karla Kuhn / 20.03.2020

Wir leben im 21. Jahrhundert und scheinen aus den vielen Seuchen,bzw. schweren Krankheiten NICHTS gelernt zu haben. Nach Aids, Hepatitis , Rinderwahnsinn, verschiedenen,  sehr schweren Influenza etc. müßte doch der Katastrophenschutz EINS A florieren !! WESENTLICH MEHR Beatmungsgeräte müssen zur Verfügung stehen, es ist UNERTRÄGLICH zu wissen, daß vielleicht ältere und /oder ärmere Menschen KEINE ausreichende Hilfe bekommen könnten im Notfall !  So nach dem Motto, “Weil Du arm/alt bist, mußt Du früher sterben ??” Das ganze- für mich -überflüssige Gerede der Politkaste und erst recht der “Qualimedien, scheint doch nur die Armseligkeit verbergen zu wollen ! Ich ERWARTE KONKRETE Antworten !  Heute geistert das-alte-und neue Medikament INTERFERON im Netz rum. DARÜBER, ob da etwas dran sein könnte, WILL ICH informiert werden und zwar ZEITGLEICH und nicht, daß und wie wir uns die Hände zu waschen haben, das weiß die Mehrzahl der Menschen alleine!  Ich will auch nicht ständig an “solidarisch” erinnert werden, denn SOLIDARITÄT gibt es kaum . Das wir die Krise auch nicht ändern !! Auch so unüberlegte Äußerungen, u.a. zum Sport können die Menschen auch rausgehen und wenn in Begleitung, nur aus der Familie !! WAS machen die Menschen, die sich schon aus gesundheitlichen Gründen bewegen müssen aber KEINE Angehörigen haben, müssen die auf ihren täglichen Sport, meistens in Form eines straffen Spaziergangs verzichten, weil fremde Begleitung ?? Andererseits toben sich junge Mensche bei Grill Partys aus !!  Und nicht nur in Leipzig Connewitz !! Außerdem ERWARTE ich von der Politik, den Vorschlag der AfD (den bereits Trump, gestern zusammen mit den zwei größten amerikanischen Autoherstellern ins Spiel brachte) nämlich die vorübergehend stillgelegten AUTOHALLEN zur Herstellung für BEATMUNGSGERÄTE UMZURÜSTEN !!  Aber TRUMP und die AfD dürfen wohl keine SINNVOLLEN Vorschläge bringen ??

Werner Liebisch / 20.03.2020

Super Artikel Herr Dabbouz. Ich lese sehr viel, habe Mediziner in der Familie, und trotzdem fühle ich mich manchmal überfordert mit der aktuellen Thematik. Man müsste am besten Statistiker und Virologe in einer Person sein. Bei der Schweinegrippe hatte ich schnell heraus dass wir verarscht werden. Hier war ich oft ratlos, was ich nun letztendlich glauben soll? Sind die Berichte aus Italien alle falsch? Gestern sprach ich mit einem Kollegen, dessen 40jähriger Cousin mit Covid-19 auf der Intensivstation liegt, Sportler, Nichtraucher, dessen Mutter wird künstlich beatmet. Gestern wurde von Lungengewebeveränderungern bei Corona Patienten berichtet, anhand von CT Bildern. Hätte ich nicht persönliche Infos bekommen, wäre es anhand der Datenflut nicht leicht für mich gewesen mich auf eine Prognose festzulegen. Eines ist mir klar, vieles wurde viel zu spät eingeleitet, Karneval hätte abgeblasen werden müssen, allererst Grenzen dicht etc.. Wie kann es sein, dass zumindest bis vorgestern noch Passagiermaschinen aus China Iran etc..noch auf manch deutschen Flughäfen landen durften?

anci barlovits / 20.03.2020

Eine spanische Freundin fragte mich gerade, warum es in Deutschland bisher so wenige Tote gibt, wo die Zahl der Infizierten fast gleich ist. Ich habe ihr gesagt, dass die Deutschen eben stärker sind, (augenzwinkernd) ist das wahr??? oder wer weiss warum

Gudrun Dietzel / 20.03.2020

@A. Ostrovsky, ich hatte nicht vor, Sie zu belehren, sondern sprang lediglich auf Ihr Eingeständnis an, sich weder von den neuen noch von den klassischen Medien ausreichend und umfassend informiert zu fühlen. Ich fragte mich, was machen Sie dann eigentlich hier? Deshalb mein grundsätzliches Plädoyer für die Neuen Medien. Was Sie an Erwartungen bezüglich dieses Medizinthemas haben (völlig unabhängig von den gesellschaftspolitischen Auswirkungen der aktuellen Krise), kann Ihnen nur ein Special Interest bieten. Wobei man den meisten Achse-Autoren fairerweise zugestehen muß, daß sie neue Fakten in neue Zusammenhänge stellen. Beziehungsweise aufzudecken versuchen, was der Mainstream gar nicht sagt. Wenigstens das sollte Ihnen doch auffallen.

Wiebke Ruschewski / 20.03.2020

Vor einigen Jahren hätte ich noch gesagt, dass ich die klassischen Medien seriöser und glaubwürdiger finde. Allerspätestens seit 2015 würde ich solche markigen Sprüche nicht mehr raushauen. Es wird weggelassen, beschönigt, dramatisiert oder wirklich gelogen. Neutrale und sachliche Berichterstattung sucht man meist vergebens. (Auf ARD-alpha läuft abends “Die Tagesschau vor 20 Jahren”. Ein Vergleich zu heute lohnt sich!) Natürlich gibt es sie noch, die Journalisten, die gute Arbeit leisten. Auch in den klassischen Medien. Es steht wirklich viel Stuss im Netz. Da muss jeder selber gucken, was er logisch und glaubwürdig findet. Aber manche glauben wirklich jeden noch so dämlichen Kram. Aber denen ist vermutlich eh nicht zu helfen. Den Vorwurf, dass Berichte in den neuen Medien mit “heißer Feder” geschrieben sind, kann man auch umkehren. Print-Medien haben den großen Nachteil, dass ein Bericht nach dem Druck bereits wieder völlig veraltet sein kann. Außerdem ist man ohnehin immer in einem “Aktualitätswettbewerb” untereinander. Man hat dadurch keine Zeit, Geschichten allzu sorgfältig zu prüfen. Print-Medien sind durch ihre Schwerfälligkeit davon besonders betroffen. Deshalb sind hier die Artikel vermutlich erst recht mit heißer Feder verfasst. Bücher lese ich aber nach wie vor gedruckt auf Papier. Ein Hörbuch o.ä. kommt mir nicht ins Haus! Auch Kataloge blätter ich ab und zu noch ganz gerne durch.

Jürgen Kunze / 20.03.2020

Ganz gleich, welche Medien Daten und Zahlen verbreiten: Sie leiden alle unter der unzureichenden Erfassung der Infizierten. Dass sich in China mit 1,4 Milliarden Menschen nur 81250 Personen infiziert haben sollen, kann glauben wer will. Ich nicht. Wenn es tatsächlich 10 mal soviel sind, ist es auch noch wenig angesichts der Basisreproduktionszahl. Nur, warum soll jemand zum Arzt gehen, wenn sich die Infektion als leichte Erkältung äußert und damit wesentlich harmloser verläuft als eine richtige Influenzaerkrankung? Also werden sie gar nicht erfasst. Der Vorteil der Chinesen liegt darin, dass sie höchstwahrscheinlich wegen Ihrer Essgewohnheiten öfter schon mit (harmloseren) Coronaviren in Berührung kamen und sich ihr Immunsystem daher häufiger mit dieser Virenklasse auseinandersetzen musste. Retrospektiv wird vermutlich von der sog. Coronakatastrophe hauptsächlich der ökonomische Aspekt in den Vordergrund treten. Wir haben 2018 ca. 960000 Sterbefälle gehabt. Sollten unglücklicherweise so viele Menschen, wie aus China berichtet werden, sterben, wären dies 0,34 Promille der jährlich erwarteten Sterbefälle in Deutschland. Zum Vergleich: die KHK (koronare Herzkrankheit) hat einen Anteil von ungefähr 8 Prozent.

A. Ostrovsky / 20.03.2020

@Gudrun Dietze Vielen Dank für Ihre grundsätzliche Belehrung. Sie schreiben mir also, wie Sie es sehen. Selbstverständlich fördern einzelne neue Medien die Debatte. Aber wirklich nur einzelne, wie hier die Achse. Aber schauen Sie sich mal bei Florian Rötzer um, wo die Zensurdiktatur inzwischen schon zu Leseraufständen geführt haben, die wieder nur durch Zensur niedergedrückt werden können. Sie haben da die rosarote Brille, wie der Humd mit den Lippenstiftküsschen? Hier geht es aber um die These, “in der Krise” würden die neuen Medien ihre Stärke beweisen. Es ist eine Vielfalt der Meinungen. Ob die alle unabhängig sind, weiß ich nicht. Aber in der Krise brauchen wir zuverlässige, aktuelle, zielgenaue und vertrauenswürdige Informationen.  Ideal wäre es, wenn sie in solcher Weise dargeboten würde, dass wir selbst mit einiger Sachkunde diejenigen Teile der Information heraussuchen können, die uns betreffen und wo wir dann noch beispielsweise an dem Verlauf z.B der Coronafallzahlen pro Tag und Landkreis selbst eine aktuelle Entwicklung in unserem unmittelbaren Bereich erkennen könnten. Leider ist genau das, was wir wirklich brauchen würden, nicht der Zuständigkeitsbereich der neuen Medien. Es ist vielleicht auch nicht unbedingt Aufgabe der “alten” Medien, diese Informationen selbst zu Recherchieren und zusammenzustellen. Es ist Sache der Behörden, denen pflichtgemäß die Fälle gemeldet werden müssen und die in der Lage wären, das nicht verschleiernd zu verdichten, sondern detailliert Zugang zu den Informationen erlauben müssten. Wenn sie es täten, könnten alte und neue Medien gleichartig darauf zugreifen und denn erübrigt sich die “Stärke in der Krise”. Fazit: Wir können zwar an manchen Stellen (noch) über alles reden, das aber ohne gesicherte Informationen. Damit ist das Gerede so viel Wert, wie der Spruch der an die Wand gesprüht wurde. Neue Medien kompensieren nicht die Versäumnisse der Obrigkeit, so wie es auch die alten nicht konnten.

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