Antje Sievers / 21.07.2013 / 11:40 / 13 / Seite ausdrucken

Wenn Motorheads beten müssen

Als ich das erste Mal hörte, dass in der Hamburger Michaeliskirche einmal jährlich ein Motorradgottesdienst stattfindet und es sogar Menschen gibt, die diesen besuchen, dachte ich noch, dass es sich nur um einen Scherz handeln könne. Aber es ist wirklich wahr. Es gibt alle Jahre wieder einen Gottesdienst für Motorradfahrer. Und es gibt Menschen, die diesen besuchen. Mit ihren Motorrädern, selbstverständlich. Ich weiß nicht genau, ob da gesungen wird, ob er vor der Kirche oder in der Kirche stattfindet, ob die Maschinen mit Weihwasser besprengt werden oder ob der Pastor in Vollleder von der Kanzel schwafelt. Es ist mir auch völlig egal, so wieder jeder Gottesdienst jedweder religiösen Ausrichtung. Aber was mir nicht egal ist, das ist, das alle Hamburger gezwungen sind, an der Absegnung der immer so liebevoll Biker genannten motorisierten Ansammlung von tätowierten, haarigen, übergewichtigen Vollpfosten mit einem IQ von minus fünfzig vierundzwanzig Stunden lang teil zu haben, ob es ihnen passt oder nicht. Umweltschutz, Lärmbelästigung, Energieersparnis, Klimaschutz, alles auf einmal scheißegal. Einen ganzen Tag lang ist die halbe Stadt abgesperrt, weil die Motorheads beten müssen.

Wenn deutsche Spießer glücklich sein wollen, trinken sie Bionade, grillen im Kleingarten, kaufen alle zwei Jahre ein Energiesparauto –  und fahren Motorrad. Weil der Mythos lebt. Easy Rider. Born to be wild. Sie halten sich für Peter Fonda und Dennis Hopper. Dabei sind sie in Wirklichkeit Reiner Calmund und Cindy aus Marzahn. Sind sie erstmal mit dem Segen und im Auftrag des Herrn unterwegs, kann ihnen nichts mehr passieren. Einmal nach dem Bikergottesdienst habe ich das erlebt. Stadtauswärts überholte mich im Überholverbot eine Motorradfahrerin mit hundertzwanzig, wo fünfzig erlaubt war. Als ich die Spur wechselte, knallte sie um ein Haar auf mein Auto, bretterte auf Grund der stark überhöhten Geschwindigkeit bei Rot über die Ampel und machte dort eine Art Salto über ihren Lenker. Schon stand sie neben mir und sagte, ich hätte den toten Winkel nicht eingesehen, während die anderen Autofahrer erregt die Scheiben herunterkurbelten und im Chor brüllten, sie könnten mühelos bezeugen, dass sie bei völlig überhöhter Geschwindigkeit im Überholverbot überholt und außerdem ein Rotlicht überfahren hätte.

Wenn der „Mogo“ beginnt, dürfen sich die Hanseaten ab den frühen Morgenstunden über den infernalischen Lärm all der Auspuffrohre mit ausgebauten Schalldämpfern freuen, die man schon hört, wenn sie im Osten in den Horner Kreisel einfahren und der erst abebbt, wenn sie ihre Räder zu Füßen des grünen Michels abschalten. Polizisten sind auch nur Menschen. Sie suchen sich gern ihre Gegner aus und es ist viel, viel leichter, eine zwölfjährige Blondine in der Fußgängerzone vom Rad zu holen, als einem hundertzwanzig Kilo schweren Harleyfahrer zu befehlen, gefälligst seinen Schalldämpfer wieder einzubauen. Leider machen sie nicht so süße Geräusche wie in den Werner-Comics: Goller, Dröhn, Dazwöck, Dazwöck. Nein, sie machen richtigen Lärm, richtige Abgase, richtigen Gestank. Dass sie damit ihre Mitmenschen zu Tode nerven, kommt den Bikern nicht in den Sinn. Schließlich sind sie die Geilsten. Und in der Tat, es gibt kaum etwas, was schöne Frauen mehr anmacht, als alte Säcke mit Gesichtsmatratze, denen die Bierwampe zwanzig Zentimeter tief über die uralte, verspeckte Lederhose hängt. Ein Übriges tut die maskuline Körperhaltung, die beeindruckend der eines Rentners mit Diarrhöe ähnelt. Nicht umsonst wird der fahrbare Untersatz ja auch gern die „Schüssel“ genannt. Erinnert mich stark an uns damals in den Siebzigern, mit unseren aufgemotzten Bonanzarädern komplett mit Bananensattel und Waschbärenschwanz. Wir hatten allerdings eine gute Entschuldigung: Wir waren erst acht Jahre alt.

Notfallmediziner können bestätigen, dass Bikerunfallpatienten, denen man ein Bein und einen Arm amputieren musste, als erstes eine Motorradzeitschrift in die verbliebenen drei Finger nehmen. Warum tun sie so was? Ist Motorradfahren eine neurotische Zwangsstörung, so wie Waschzwang oder Bulimie? Ja, unbedingt. Das ist mir klar geworden, als ich einmal mit einer hinkenden Frau bei der Krankengymnastik ins Gespräch kam. Sie hatte gerade den zweiten schweren Motorradunfall hinter sich. Ebenso ihr Mann und Ihr Sohn. Die ganze Familie ist schwerbehindert. Biken sei ihr ganzes Glück. Wenn sie das nicht mehr könnten, wollten sie nicht mehr leben. Wenn sie so weitermachen, werden sie das bestimmt schaffen.

Siehe auch: http://antjesievers.wordpress.com/2013/07/12/wenn-motorheads-beten-mussen/

 

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Knut Piwonski / 24.07.2013

Sehr geehrte Frau Sievers, Ihre Meinung zur Peinlichkeit eines Motorrad*gottesdienstes* teile ich, Ihre Meinung zum Motorradfahren und über Motorradfahrer im Allgemeinen hingegen nicht. Es mag ja sein, daß Motorradfahren für einige eine zwangsneurotische Handlung ist, es machtaber deutlich mehr Spaß als “Waschzwang”, “Nägelkauen” oder “Cafehaussitzen”, Sie sollten es mal ausprobieren. Anderen steht es frei, dies alles anders zu sehen. Mit toleranten Grüßen: Knut Piwonski

Armando Richter / 23.07.2013

Liebe Frau Sievers! Ich habe Ihre Beiträge bisher immer genossen. Witzig, wortgewand und auf den Punkt gebracht. Aber so über Biker herzuziehen die einmal im Jahr ihrem Treffen auch noch einen christlichen Anlass geben ist für einen Sievers- Fan wie mich voll vergeigt!!! Schmehrbäuchig, Gesichtsmatte maskulines Gehabe muss man doch den Leuten auch mal ab und zu gönnen. Parks die vom Frühlingsanfang bis zum ersten Schneefall von grillenden kulturbereichernden Großfamilien flächendeckend verheert werden finde ich etwa einhundertdreiundachzigmal übeler. Ich hoffe Ihr nächster Beitrag ist weniger elitär…..oder haben Sie jetzt langsam keine Traute mehr????

Thomas Bonin / 22.07.2013

»Wenn in Deutschland einer einen Witz macht, sitzt die andere Hälfte auf dem Sofa und ist beleidigt.« (Tucholsky) Hiya, Frau Sievers, angesichts der rigoros humorbefreiten Repliken auf Ihre Beobachtungen sehe ich mich (gern) herausgefordert, Ihnen beizustehen. Egal, ob es sich um übergewichtige, transpirierende Asphalt-Wikinger mit und ohne aufgemotzte Schalldämpfer oder um schnieke ausstaffierte PS-Enthusiasten handelt, so erinnert jenes Hamburgische Mega-Event - wohlgemerkt, aus dem Blickwinkel konventioneller Verkehrsteilnehmer (inkl. HVV-Abo-Nutzer) - schon eher an eine meisterlich zum Gang an die Tränke dirigierten Großherde. Sehen und gesehen werden, röhren und röhren lassen sind offenbar die kalkulierten Zugmittel, um das mittlerweile angestaubte HH-Image mal wieder in die Schlagzeilen zu pushen. Nun ja, wer zudem noch Absolution seitens des gewieften (um Mitgliederschwund besorgten) Lokal-Pfaffen nötig hat, wird schon wissen, warum. 

Doderich von Schwarzen / 22.07.2013

“Ich weiß nicht genau, ob da gesungen wird, ob er vor der Kirche oder in der Kirche stattfindet, ob die Maschinen mit Weihwasser besprengt werden oder ob der Pastor in Vollleder von der Kanzel schwafelt. Es ist mir auch völlig egal, so wieder jeder Gottesdienst jedweder religiösen Ausrichtung.” Liebe Frau Sievers, genau am letzten Satz des Zitats erkennt man, wo bei Ihrer religiösen Orientierung der (man könnte ja fast sagen Kardinal-)Fehler steckt: Einerseits argumentieren Sie ganz in der guten alten schwäbischen Tradition des Piet-Cong - die Arroganz gegenüber “verweichlichten” lust-und sinnesfreudigen “Bierwampen” u.ä. eingeschlossen,  fühlen sich - ganz pietistisch - einmal im Jahr von dröhnenden Motorrädern massiv gestört, und sind auch ansonsten im Beibehalten des - gerade dem schwäbischen - Pietismus eigenen “dörflichen Horizonts” sehr konsequent. Andererseits wollen Sie sich hier als “Atheist” outen. (Und dann benutzen Sie in Ihrer Argumentation fast zu 100% das Lebensgefühl einer radikal-theologischen, sektiererischen, dörflichen Bewegung?)

Peter Müller / 22.07.2013

Ja, ich bin auch der Meinung, dass das ein Hassbeitrag ist. Ja, ich bin auch der Meinung, dass nicht alle „Biker“ mit Wampe und Matte im Gesicht Rüpel sind. Ja, und ich kann es bezeugen. Kürzlich, ich glaube es war vor ca. 3-4 Jahren, habe ich einen Biker beobachtet, der sich nicht nur an die Verkehrsregeln hielt, nein, er hatte auch einen leisen Auspuff. Was soll die Hetze? Es gibt sie die guten Biker.

Dietmar Herzog / 22.07.2013

Ein ärgerlicher Artikel, da er auf dem Niveau von Silke Burmester zu verorten ist, deren Feindbilder lassen zuweilen ebenfalls aufhorchen.

Paul Jonas / 22.07.2013

Guten Morgen Frau Sievers, nur weil sie einen Verkehrsunfall verursacht haben (Fehler beim Spurwechsel) und dadurch einen Menschen verletzt haben, brauchen sie hier keinen Artikel zu schreiben. Etwas mehr Mitgefühl für den verunfallten Menschen und in Zukunft mehr Sorgfalt beim Spurwechel (Schulterblick) wären normale Reaktionen.

Walter Schwarz / 21.07.2013

Sie sind aber wirklich eine Spassbremse. Das passt gut in diese heutige Zeit. Am besten alles verbieten, nicht war? Das Rauchen, das Motorradfahren - gleich auch die Roller dazu -, das Schnitzelessen…. Da wüsste ich eine Partei, die sie im Herbst wählen könnten. Selber bin ich gar kein Motorradfahrer, aber ich habe den Verdacht, dass viele Autofahrer und Radfahrer eher gefährlicher sind, als die Motorradfahrer. Ein Motorradfahrer der nicht lebensmüde ist, passt mehr auf beim Fahren als die meisten anderen Straßenbenützer. Auch als Benutzer der Öffis gehen einem die Mitreisenden öfters auf den Geist, wenn sie am Handy ihre Krankheiten und Liebesgschichten lauthals erzählen, wenn sie ohne Rücksicht einem im Weg stehen oder gehen, wenn man aus ihren Headset die gräßlichsten Töne vernimmt - weil von Musik kann da keine Rede sein - , da kann ich froh sein, wenn nur Motorradfahrer an mir vorbeirattern, denn die Geräusche dauern wenigstens nicht lange. Wenn vermeintlich harte Jungs und Mädels sich einmal im Jahr den Segen holen wollen, dann wird hoffentlich niemandes Weltbild zerstört - oder?

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