Antje Sievers / 26.01.2019 / 14:00 / 35 / Seite ausdrucken

Stellen Sie sich vor, Sie wären eine Frau

Niemand würde es Ihnen wünschen, aber stellen Sie sich mal Folgendes vor: Sie sind eine Frau und kommen im Morgengrauen nach Hause. Ihr Lebensgefährte reißt darob die Dreifachsteckdose samt Kabel aus der Wand und schlägt damit auf Sie ein. Und zwar lange. Dann zerrt er Sie zum Bett, kniet sich auf Ihre Oberschenkel und würgt Sie, bis Ihnen schwindelig wird. Da ihm das noch nicht reicht, würgt er Sie mit dem Kabel, bis Sie das Bewusstsein verlieren.

Daraufhin verpasst Ihnen Ihr Lebensgefährte solange Ohrfeigen, bis Sie wieder zu sich kommen. Um Sie dann erneut solange zu würgen, bis Sie das Bewusstsein verlieren. Er foltert sie auf diese Weise über Stunden weiter. Zwischendurch schreit er, dass er Sie umbringen wird. Oder er tritt Ihnen mit dem Fuß ins Gesicht. Nach einigen Stunden werden Sie ins Wohnzimmer geschleift und auf die Couch gesetzt, wo Ihnen Ihr Lebensgefährte in den Mund uriniert. Nachdem er Ihnen noch ein paarmal in die Rippen geboxt hat, lässt er von Ihnen ab. 

Ihr Peiniger wird per Haftbefehl gesucht, und endlich nach zwei Jahren festgenommen. Der Grund für seine Wut war übrigens die Tatsache, dass Sie allein in die Disco gegangen sind. Die Staatsanwaltschaft vertritt die Ansicht, Sie hätten keine dauerhaften Schäden erlitten

Vergewaltigte Frau – haben Sie Verständnis! 

Stellen Sie sich vor – nicht, dass ich Ihnen dies wünschen würde – Sie seien eine Frau, diesmal minderjährig, und werden hinter dem Wartehäuschen einer Bushaltestelle zweimal vergewaltigt und dann einfach dort liegen gelassen wie Abfall. Stellen Sie sich ferner vor, sie seien später bei der Gerichtsverhandlung zugegen und könnten vor lauter Weinen nicht sprechen. Bei dieser Verhandlung ginge es vorrangig um die psychische Befindlichkeit des Täters, seine traurige Kindheit, seine sieben Voreinträge im Bundeszentralregister und die Tatsache, dass das Gericht Ihrem Peiniger trotz siebenfach verletzten Bewährungsauflagen eine günstige Sozialprognose erstellt und er wiederum mit einer Bewährungsstrafe belohnt wird. Stellen Sie sich vor, Sie dürfen sich anhören, dass Ihrem Vergewaltiger eine stationäre Traumatherapie verordnet wird und die Gerichtskosten erlassen werden. Die Forderungen Ihrer Verteidigung, wenigstens nach finanziellem Ausgleich, werden komplett ignoriert. Und stellen Sie sich vor, der Richter bäte Sie anschließend, für das Urteil Verständnis zu haben.

Nicht, dass Ihnen das irgendwer wünschen würde, aber stellen Sie sich vor, Sie seien eine Frau und ein Mann wirft Sie aufs Bett, zwängt Ihren Kopf zwischen die Gitterstäbe und vergewaltigt Sie. Sie wehren sich, sich schreien, dass er aufhören soll. Er ignoriert das. Vier Stunden lang. Sie erleiden dabei im Vaginalbereich so starke Verletzungen, dass Sie zwei Wochen lang nicht richtig laufen können.

Ihr Peiniger wird vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Das Gericht attestiert ihm, er habe „nicht gewusst, was er tat.“ Da er aus dem türkischen Kulturkreis stamme, sei es naheliegend, dass er das Verbrechen versehentlich für etwas wilderen Sex gehalten habe.

Anzeige? Was soll das bringen?

Kulturrelativisten pflegen Bedenkenträgern angesichts der steigenden Gewaltverbrechen von Geflüchteten gegenüber Frauen gern anzuführen, wie sehr die Frauen in Deutschland auch schon ohne Einwirkung von Asylbewerben zu leiden hätten. Angesichts des Justizalltags in Deutschland ist man fast geneigt, ihnen Recht zu geben. Wenn derartige Rechtssprechung möglich ist, wundert es nicht, dass so wenige Gewaltverbrechen von Frauen überhaupt angezeigt werden. 

Laut Bundeskriminalamt gab es im Jahr 2017 in Hamburg ganze 255 erfasste Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Laut dem „Notruf für vergewaltigte Frauen e.V.“ dürfte die tatsächliche Anzahl der Fälle um das Zehn- bis Fünfzehnfache höher sein. Warum bleiben Frauen jahrelang bei gewalttätigen Männern und erzählen anderen, das blaue Auge sei durch einen Treppensturz entstanden? Warum sprechen Frauen nicht über sexuelle Gewalt und warum verdrängen sie, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden sind?

Weil sie grundsätzlich zuerst denken, sie selbst hätten sich falsch verhalten. Nichts wirkt so nachhaltig wie das Victim-Blaming, das das Opfer sexueller Gewalt an sich selbst vornimmt. Fast jede Frau kennt diesen fatalen Mechanismus. Nicht umsonst gelten Passivität, Opferbereitschaft, Leidensfähigkeit und Unterordnung selbst heute noch als höchst weibliche Tugenden. Wenn ich mein Leben Revue passieren lasse, gab es etwa zehn sexuelle Straftatbestände, die ich nicht zur Anzeige gebracht habe. Schon weil ich resigniert dachte: Was soll das überhaupt bringen außer peinlichen Befragungen und, nach einigen Monaten, die Nachricht von der Einstellung des Verfahrens? Seit der Grundschule haben mir andere Frauen und Mädchen Dutzende von Malen von erlittener sexueller Gewalt erzählt, von Exhibitionismus, Übergriffigkeiten, erzwungenen sexuellen Handlungen bis hin zu Vergewaltigungen. Nichts davon kam zur Anzeige. 

Im Nachhinein ist es zu spät

Wenn man sich durch Internetforen für Mädchen und Frauen klickt, ist man fassungslos angesichts der Alltäglichkeit sexueller Gewalt. Deren Schilderung selbst im Schutz der Anonymität fällt den Opfern schon schwer genug. Geradezu alarmierend ist, dass die Opfer meist über so wenig Selbstbewusstsein verfügen, dass sie nicht einmal klar entscheiden können, ob eine sexuelle Handlung gegen ihren Willen vorgenommen wurde oder nicht. Besonders bei jungen Frauen und Mädchen scheint das ein sehr verbreitetes Problem zu sein. Ekel erregende oder schmerzhafte Praktiken werden entgegen den eigenen Bedürfnissen zugelassen, weil man den Mann nicht enttäuschen, weil man nicht als „prüde“ oder „zickig“ gelten will. Die Hamburger Psychotherapeutin Sandra Konrad hat sich dieses Themas in ihrem hervorragenden Buch „Das beherrschte Geschlecht. Warum sie will, was er will“ angenommen und stellt in ihrer Berufspraxis immer wieder fest, dass junge Frauen glauben, guten Sex gehabt zu haben, wenn sie besonders gut performt hätten. Jahrzehnte der sexuellen Befreiung – und die Frauen von heute sind brav zu gut funktionierenden Pornostars geworden. Kein Wunder, dass explizite sexuelle Gewalt gar nicht so schnell als solche erkannt wird. Meist erst im Nachhinein. Und dann ist es zu spät.

„Keine dauerhaften Schäden“ werden dem Opfer des ersten Falles von der Staatsanwaltschaft attestiert. Allen Ernstes. Die Schäden in solchen Fällen, oft eher unspezifisch als Posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet, beginnen bei Schlafstörungen und Nervosität, bei Ekel vor dem eigenen Körper und vor Sex und gehen bis zu Sozialphobien, Panikattacken, Depressionen, Selbstverletzungen und – im schlimmsten Fall – Psychosen. Die Schockwirkung durch die Erfahrung, wie der vermeintlich gut gekannte und geliebte Mann aus dem Nichts zum sadistischen Psychopathen wird, ist für die Psyche ein derartiger Notstand, dass nicht selten als spontane Schutzmechanismen Amnesien oder Mutismus (Sprachverlust) auftreten können. 

Die Erfahrung schwerer körperlicher und psychischer Gewalt kann einen Menschen so nachhaltig schädigen, dass er für den Rest seines Lebens behindert und oft genug erwerbsunfähig ist. Das ist nichts, was Juristen nicht bekannt ist, zählen derartige psychische Defekte ja zweifellos zu den beliebtesten Begründungen für die milde Bestrafung der Täter. Hingegen scheint man bei allen drei oben geschilderten Fällen davon auszugehen, die Opfer seien mehr oder weniger unbeschadet aus der Sache hervorgegangen. Dies muss den Beobachter ratlos zurücklassen, denn ob diese Beurteilungen durch pure Misogynie oder richterliche Selbstherrlichkeit oder schlicht durch Blödheit zustande kamen, lässt sich nicht ohne weiteres ermitteln. Fest steht, dass die Opfer, die bereits durch die Hölle der Gewalterfahrung gehen mussten, durch die Demütigung der Rechtsprechung für ihren Mut abgestraft werden, die Tat überhaupt zur Anzeige gebracht zu haben. Ein fatales Signal für die Zukunft.

Antje Sievers jüngstes Buch: Tanz im Orientexpress – Eine feministische Islamkritik, mit einem Nachwort von Zana Ramadani, Hardcover/Klappenbroschur, 21,0 x 14,5 cm, Verlag Achgut Edition, ISBN 978-3-9819755-0-5, 17,00 €. Hier gehts zum Shop.

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Hans-Peter Dollhopf / 26.01.2019

Frau Sievers, ich habe vollkommen verstanden, was Sie hier veröffentlicht haben. Auch mein Gehirn hat etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neurone), die durch etwa 100 Billionen Schaltstellen (Synapsen) miteinander verbunden sind. Im Kommentarfeld unter Ihrem Artikel auf Achgut steht “Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikels eingereicht werden.” Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich selbst mit so viel mehr Synapsen in der Schale als Sterne im Kosmos nicht fähig bin, unter diesen Umständen mehr als eine irrationale Reaktion zu geben. Ja, ich weiß: Ich alter weißer Mann sei toxisch, blablabla (hätte es darum immer schon sein müssen, die Schöpfung vergiftend). Darum, leckt mich doch einfach ... und tschüss!

Arnauld de Turdupil / 26.01.2019

Die eingehend beschriebene “Szene einer Partnerschaft” lässt einem das Blut in den Adern schockgefrieren und man versteht sofort: Das optimale Mitglied der Menschheit ist das Ohneglied. Die Sauferei ist auch nicht hilfreich. Zum Glück hat “frau” die gesellschaftlich-soziale Kastration des Mannes schon weitestgehend erledigt und hält inzwischen die lokal angebauten Kerle sogar für zu weich und zu feminin. Doch den Rest kriegen “dings” auch noch zurechtgegendert und quotenfilletiert. 80’000 Jahre Patriarchat - 100 Jahre Frauenwahlrecht und schon bröselt die Gesellschaft rundumkeifend und moralinsauer-quadratmerkelnd in die feinstaubenden Einzelteile. Man vergesse nicht, dass Frauen (im Sinne der gütigen Quote) eine durchaus ebenbürtige NOx-Gewalttätigkeit entwickeln können, die Zerstörungen finden sich dann “nur” in den nichtswürdigen Seelen der Kinder, der “Partnerschaftsinfragestellenden”, den angehenden bzw. erfolgreichen Suizidanten und in der Gesellschaft. Inzwischen wünschen sich einige Mensch*innen wieder mehr brachiale Wirkmächtigkeit und so fordern die (hauptsächlich weiblichen) Bärchenschmeisser*innen den beschleunigten Import von besonders gut geschulten und herzensgüldenen Partnerschafts-Fachkräften. Ja, dann, macht weiter so, Unfallchirurgie und Toxikologie werden sowieso immer leistungsfähiger im Beheben zwischenmenschlicher Schäden. Zwei Hinweise: 1) Wer nach Prügelei oder seelischer Vivisektion in der Partnerschaft bleibt, ist (heutzutage noch) selber schuld. 2) Mit Katharina Schulze wurde der “Peak” des weiblich-destruktiven Wahnsinns erreicht und überschritten.

Mike Loewe / 26.01.2019

Wir sind bereits in der Scharia angekommen, und zwar interessanterweise nicht, weil die Gerichte sich absichtlich an den Koran halten würden. Die Richter müssen die Scharia nicht einmal kennen, anwenden tun sie sie offensichtlich dennoch unbewusst, weil sie bei “unbegreiflichen” Taten wie diesen die Blaupause für ihr Urteil gerne in der Psyche des Täters suchen.

Monique Basson / 26.01.2019

Es ist mir ein Rätsel warum Frau Sievers nicht auch Mitgefühl für die männlichen Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch zeigt. Jungs sind noch häufiger solchen Verbrechen ausgesetzt und trauen sich seltener als Mädchen darüber zu reden, weil sie immer noch so erzogen werden. Übrigens ist die durchschnittliche Strafe eines Kinderschänders, der Knaben missbraucht, nur halb solang wie die eines Täters, der Mädchen vergewaltigt. In unserem Land haben nicht nur Männer keine Lobby; schon kleine Jungs sind weniger schützenswert als kleine Mädchen.

Gabriele Schulze / 26.01.2019

Danke, Frau Sievers. Sie haben sich der Materie ausgesetzt - ein wichtiger Artikel. Danke auch an Susanne antalic. Ja, ich habe noch nicht ein einziges Mal eine Frau ein Wort des Bedauerns oder Zorns äußern gehört, was Gewalt an Frauen durch Migranten betrifft. Im Gegenteil, sie äußern sich weitschweifig über ihre Gutheit, ihre Wohltätigkeit und Fürsorge, und haben Verständnis. Ein Narzißmus vor dem Herrn. Seht, wie gut und verständnisvoll ich bin. Fataler Hang zum Kitsch. Thomas Weidners Zurückhaltung teile ich.

Karl-Heinz Vonderstein / 26.01.2019

Fängt ein Rechtsstaat nicht dann absurd an zu werden, wenn Richter mehr verständnis für die Täter aufbringen als mitgefühl für die Opfer?

Michael Lorenz / 26.01.2019

“Und stellen Sie sich vor, der Richter bäte Sie anschließend, für das Urteil Verständnis zu haben…”. Ich kann mir das langsam nur noch so erklären, dass dieser Richter einen entscheidenden Satzteil weggelassen hat:  “... denn die Familie des Täters weiß, wo meine Kinder zur Schule gehen”. ALLE ANDEREN Erklärungen scheiden aus, bis auf eine: dass unsere Justiz sich aus dem Grad moralischer Verkommenheit seit dem 3. Reich doch nicht, wie ich bislang immer anders angenommen hatte, weiterentwickelt hat. Zu jener Zeit war es kein Problem, die widerlichsten Unmenschlichkeiten in schicker juristischer Sprache abzusegnen, siehe allein nur Herrn Globke und sein berüchtigter Kommentar. Haben wir tatsächlich nach wie vor solche ‘Juristen’ - womöglich noch in merklicher Anzahl ??

Gert Köppe / 26.01.2019

Vielleicht sollte eine derart misshandelte Frau, wie hier beschrieben, nach so einem Urteilsspruch dem verantwortlichen Richter mal kräftig in seinen A…. treten und dann sagen “er solle sich nicht so haben, schließlich hat er keine bleibenden Schäden davon getragen”.

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