Was heißt „politisch unmöglich“?

Es gibt eine Art Kleinmut, die jeden weitreichenden politischen Reformvorschlag, jede über die Tagesaktualität hinausreichende Diskussion und Perspektive mit dem Ruf: „Das ist politisch ummöglich“ („politisch nicht machbar“) niederzuschlagen sucht. Schon der Ordoliberale Alexander von Rüstow schrieb dagegen einmal:

„Bis zum Überdruß wiederholt man das angeblich von Bismarck stammende Wort, Politik sei die Kunst des Möglichen. Gewiß, das gilt für die Tagespolitik, die Trivialpolitik, die Oberflächenpolitik, für die Politik von Politikern, von denen zwölf auf das Dutzend gehen. Aber gute und große Politik ist die Kunst des Unmöglichen, die Kunst, das scheinbar Unmögliche möglich zu machen. Eben dies ist auch das eigentliche Arkanum, das zentrale Geheimnis der Wissenschaft von der Politik“.

Diese verzagte Ansicht über das politisch Mögliche zeugt von Phantasiearmut und Mangel an historischem Gedächtnis, auch von geringem Selbstbewusstsein. Was wurde nicht im 20. Jahrhundert für „politisch unmöglich“ erklärt? Der utopische Sozialismus und sein Zusammenbruch nach 1989; ein Ludwig Erhard, eine Margaret Thatcher, ein Roger Douglas, Reagans Steuerreform, ein Gorbatschow, ein Teng Hsiao Ping. Es gelang sogar, in Deutschland ein uraltes Staatsregal – die Post – zu privatisieren. Dank an Christian Schwarz-Schilling! Wer hätte es 1985 für möglich gehalten, dass eine ostdeutsche Pfarrerstochter, Mitläuferin und Funktionärin des SED-Regimes Kanzlerin eines vereinten Deutschland würde?

Im liberalen 19. Jahrhundert hätte man auch ein Monster wie Hitler und sein Regime für politisch unmöglich und sein Programm für unvorstellbar erklärt. Es wimmelt in der Weltgeschichte an vollkommen „unmöglichen“ Ereignissen, an schwarzen Schwänen in Menge. Jederzeit kann das Ungeahnte, nie Erwartete in die Wirklichkeit treten, denn wir können die Wirklichkeit wegen ihrer Komplexität nie vollständig erfassen. Es sind zu viele dynamische Einzelfaktoren im Spiel und die Wechselwirkung dieser Faktoren ist schon gar nicht vorhersehbar.

Optimismus und Mut sind angesagt

Nehmen wir einige aktuelle Beispiele: die gesetzliche „Ehe für alle“ galt noch vor wenigen Jahren als unvorstellbar; oder die Genderbewegung mit hunderten von Lehrstühlen, die selbstmörderische „Dekonstruktion“ der gesellschaftlichen Institutionen, die Freiheitsbeschränkungen via falsch verstandener Antidiskriminierung und der ganze surreale Egalitarismus oder Nihilismus, der uns derzeit bedrängt. Oder die „Geldpolitik“, das Nullzinsregime der EZB. Oder dass eine Gestalt wie Greta Thunberg auftaucht und von Kaiser und Papst empfangen wird oder die gesamte Klimahysterie, zu schweigen vom Thema Corona.

Was politisch möglich oder unmöglich ist, kann nicht vom Grünen Tisch aus, sozusagen a priori, entschieden werden – das wäre eine Anmaßung von Wissen. Welche Innovationen aller Art kommen, kann so wenig vorausgesehen werden wie die Wirkung dieser Innovationen. Man frage die Unternehmer! Das Internet ist nicht vorausgesagt worden. Man kann ja nicht einmal persönlich auch nur die Ereignisse des eigenen nächsten Tages im Detail überraschungsfrei vorhersehen. Eine Lebensplanwirtschaft ist auch im Kleinen nicht möglich. Auch die persönliche Geschichte bleibt unausrechenbar.

Noch zu Bismarck: Was nannte er denn „Kunst des Möglichen“? Er einte Deutschland gegen den Widerstand ausländischer Mächte, des preußischen Parlamentes, die überwiegend liberale öffentliche Meinung und, nicht zu vergessen, gegen den Widerstand der Königin Augusta, die täglich am Frühstückstisch ihren Gemahl Wilhelm gegen Bismarck bearbeitete. Politik sollte die Kunst genannt werden, das sachlich Notwendige politisch möglich zu machen. Alles andere kann auch Lieschen Müller. A fordert 10 Millionen, B 5 Millionen: machen wir den politischen Kompromiss: 7, 5 Millionen für jeden. Ist das eine Kunst? Dazu brauchte es keinen Bismarck. Gute, richtige, überzeugend vertretene Ideen und unerschrockene Persönlichkeiten können Dinge bewirken, die wir uns heute noch nicht träumen lassen (wie zum Beispiel, als die Reformer Neuseelands auftauchten) Die Liberalen haben keinen Grund zu verzagen – ist doch das „Realitätsprinzip“ (die ökonomischen und sozialen Erfogsregeln) auf ihrer Seite. In the long run werden sie triumphieren – wie zuletzt 1989. Optimismus und Mut sind angesagt. Dies kann jedermann an seinem Platz zeigen.

Foto: Superikonoskop CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Sam Lowry / 19.09.2020

Offen gesagt, ich glaube, dass sich die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts bald in Europa wiederholen werden. Anders zwar, aber ähnlich: Wirtschaftlicher Zusammenbruch, gesellschaftlicher Zusammenbruch, danach ein Krieg, den ich hoffentlich nicht mehr erleben muss. Von wegen Optimismus…

Rolf Lindner / 19.09.2020

Als mein Vater im Februar 1988 starb, habe ich ihm auf dem Sterbebett versprochen, dass die Roten am Ende sind und abtreten werden. Für ihn war das unmöglich. Wenn man mich 1990 gefragt hätte, ob die Roten je wieder Oberwasser bekommen würden, hätte ich möglicherweise auch oder auch nicht geantwortet: Unmöglich. Dass ihnen das unter einem schwarzgrünen Tarnmantel mit Hilfe einer besonders im Westen linksverstrahlten Bevölkerung gelingen könnte, war schwer vorauszusehen. Aber beide Beispiele zeigen, dass nichts im politischen Bereich unmöglich ist. Es kann sehr gut passieren, dass ungeahnte Ereignisse bei den vielen hinter die Fichte Verführten doch mal einen Seifensieder aufgehen lassen. Es kann ganz gut möglich sein, dass gerade die dann eine unbändige Wut gegen ihre Verführer entwickeln. Und wir können etwas dafür tun, z.B. Listen mit alternativen Medien in Briefkästen verteilen.

K.Bucher / 19.09.2020

Wie viele Phänomene der Weltgeschichte erschienen vorher unmöglich?...Ja da gebe ich dem Autor gerne recht .Dieses hier nur als ein Beispiel von mehreren wenn auch das Fatalste .Es kommt halt auch darauf an wenn Die Richtigen zusammen kommen dann geht es wirklich rund aber leider nicht im Positivem Sinn . Was für ein Erfolgsgeschichte von einem Islam Staat auf Aktuell 57 in ca 1400 Jahren das muss man Denen erst mal nachmachen . Und was war der Preis ? ganz einfach +++Mit über 270 Millionen Opfern ist diese Ideologie im Gewand einer Religion “Spitzenreiter”, noch vor dem Kommunismus (ca. 100 Millionen Tote) und dem Nationalsozialismus (ca. 25 Millionen Tote). In diesem Zusammenhang überrascht auch nicht, dass Heinrich H, Reichsführer SS, keinerlei Probleme mit dieser “Helden Religion” hatte und den Islam gar als “eine für Soldaten praktische und sympathische Religion” bezeichnete.Siehe Nazi Islam Pakt .hier das passende Video dazu +++ (youtube) ++ Islam: eine Mords-Ideologie—-: 548 Schlachten mit 278 Millionen Toten++ und da sind die Aktuellen Schandtaten der Neueren Zeit wie zum Beispiel 9/11 noch gar nicht mitgerechnet . und das beste ist : viele wissen das noch gar nicht oder wollen es auch gar nicht wissen .....Fazit Einige Deutsche und auch Österreichische Politiker sind dennoch der Meinung der Islam gehöre zu Deutschland , Österreich und zu Europa .Ganz einfach im Internet nachzulesen

sybille eden / 19.09.2020

Wieder einmal eine “warme Dusche” von meinem “Lieblingsliberalen.( außer Hajek natürlich) Vielen Dank. ( Kommt alles in meinen dicken liberalen Ordner )

beat schaller / 19.09.2020

Ein wirklich erfrischender Text, der den Rücken für heute schon mal wieder etwas gerade aufrichtet. Danke Herr Habermann für diese hilfreiche Krücke in erschlagenden Coronazeiten. Sehr erfrischend und gut geerdet. b.schaller

Rupert Reiger / 19.09.2020

1) Am besten ist eine Regierung, unter der durch Innovation interessante und gut bezahlte Arbeit und Wohlstand ensteht, denn die Wirtschaft finanziert alles. Im Gegensatz dazu ist die Exportnation Deutschland mit seinen alten Technologien nur mehr über niedrige Löhne exportfähig. Höhere Löhne beenden das ganze; die Firmen überleben zumindest nur mal so, indem sie abwandern, dahin wo sie auch verkaufen. Geschäfte aus der Energiewende heraus sind alle nicht erfolgt (Jaja, die Sonne schickt keine Rechnung endete im teuersten Strom Europas; und Strom ist ein altes Produkt !!!, daran ändern auch neue Produktionsmethoden nichts).  Unter den 10 wertvollsten Firmen der Welt (nach Marktkapitalisierung) sind 6 Softwarefirmen, nur eine Deutsche mit SAP (auch Software) und nur noch 1 !!! Autofirma mit Toyota. So hat Deutschland nur einen Konzern im 5. Kondratieff Zyklus: SAP ... ach so, da ist ja auch noch Wirecard, die wollten gegen PayPal und Alipay anstinken; Merkel wollte Wirecard in China anschieben .. naja, Chinesen sind höfliche Leute und behalten blamable Offenbarungen unter sich. Außerdem, durch Lau-zi (6. Jahrhundert v. Chr.) hat China seit Jahrtausenden Erfahrung mit freier Marktwirtschaft (wenn auch immer mal lange ignoriert): Die unsichtbare Hand des Adam Smith (1723-1790, also gut 2300 Jahre nach Lao-zi) dominiert schon das Dao-De-Jing: (Regierender) Bleib ohne Tun, Nichts, das dann (durch das Volk) ungetan bliebe. 2) Am zweitbesten ist eine denkbar schlechte Regierung, denn das beendet die Schmerzen schnell, wie in Venezuela; obwohl sich auch das stabilisieren kann, wie in Nordkorea, wohl weil aus einem Krieg entstanden und dann das allmächtige Militär mit der Diktatur war.. 3) Aber für uns am schlechtesten ist die Diktatur des Mittelmaßes die wir gerade erleben, wo vieles nicht nur „politisch unmöglich“ ist, denn das bedeutet langes Siechtum und so maximale Schmerzen.

Rainer Niersberger / 19.09.2020

Die politische Möglichkeit war uns ist nicht das Problem, selbst hierzulande nicht, obwohl die Bedingungen fuer bestimmte Optionen schon immer grenzwertig waren. Das Problem ist, dass zumindest hierzulande die Leute fehlen, die diese Optionen ausüben. Es ist kein politisches Problem, sondern ein menschlich/psychopathologisches, individuell und kollektiv. Selbst daran koennte man natuerlich etwas aendern, nur wer und von wem ist es ueberhaupt gewollt? Da ist nichts metaphysisch/ueberirdisches im Spiel, aber viel Dumm/Krankes iVm mit einer ausgewachsenen kriminellen Energie. An einer Stelle sollte” man” zupacken, das aber nachhaltig heilen. Wer? Und wollen die Junkies unter Schmerzen! von ihren Abhängigkeiten und Kompensationen geheilt werden? Wollen sie mit dem “wahren Leben"tatsaechlich konfrontiert werden!? Fragen ueber Fragen. Aber natuerlich kann man auf irgendetwas von Aussen, von wem? oder oben, Allah? hoffen. Mit Vergleichen oder Extrapolationen ist es auch so eine Sache. Aber unmoeglich ist fast nichts, nur aktuell ziemlich unwahrscheinlich. Aber vielleicht helfen Daenikens Außerirdische.

S.Clemens / 19.09.2020

Es ist zwar als Argument leichtgewichtig aber tut doch mal gut ein: “Wird schon werden!” zu hören….

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