Eine interessante Beobachtung! Auch ich lese – ich gestehe es errötend ein – außer biographischer und allgemein bildender Sach-Literatur auch Romane. Ein anderes Phänomen gendermäßiger „Ungerechtigkeit“ scheint meiner Beobachtung nach die Zusammensetzung des Opern-Publikums zu sein. Hier dominieren ebenfalls Frauen (im Schlepptau ihre Ehegemahle, die meist aus Liebe o. ä. mitgehen) und Schwulen. Ohne diese beiden Gruppen könnten die Opernhäuser wohl schließen.
In den Familien, egal ob arm oder reich, sind in der Regel die Frauen die Kulturträger. Aber mit Mozart, Goethe oder Marquez kann man der Volkserziehungsministerin natürlich nicht mehr kommen.
Herrlich, wie Sie es immer wieder verstehen, mit leisen Tönen und ostentativer Gemütsruhe prekäre Sachverhalte zu sezieren - übrigens, in schöner Ergänzung zu manchem Ihrer (nicht desto weniger geschätzten) Mitstreiter (äh, Mitmacherinnen), deren Talente vornehmlich per Gebrauch des publizistischen Schneidbrenners resp. Bolzenschussgerätes zur vollen Entfaltung gelangen. Ob ich mir Ihre Beiträge allerdings weiterhin im öffentlichen Raum (wie heute im U-Bahn-Berufsverkehr) zu Gemüte führe, bleibt abzuwarten: mit Leibeskräften unterdrücktes Lachen kann nämlich ganz schön anstrengend sein. Trotzdem (oder gerade deswegen) herzliche Grüße!
Werter Herr Bonhorst, darf ich Ihre Beobachtungen ergänzen und ein klein wenig variieren? In der Bahn - dabei lege ich die Pendlerzüge in die Kulturmetropole Frankfurt zugrunde - liest nach meinem Eindruck im Unterschied zu noch vor zehn Jahren nahezu niemand mehr eine Zeitung. Tut man es selbst, kommt man sich mittlerweile als Exot vor und fühlt sich je nach Erscheinungsbild der Mitreisenden ein wenig unwohl. “So ein Ewiggestriger, bestimmt hält er sich für etwas Besseres, und dann noch der Papierverbrauch!” Es gibt ja auch viel interessantere Nachrichten auf den kleinen Apparaten zu studieren, die manche wie einen Rosenkranz den ganzen Tag in den Händen halten. Das Nachvollziehen der Probleme von Freunden und Prominenten ist wesentlich wichtiger und spannender als das ferne Weltgeschehen oder der Heilige Krieg, den die Politikerkaste hierzulande gegen das Bürgertum führt. “Mir ist das zu kompliziert und abstrakt - außerdem geht es uns doch gut. Für das Reflektieren bezahlen wir die Gesprächsrunden im öffentlichen Rundfunk und für das Problemelösen wählen wir ja die Politiker”. Nein, Zeitunglesen ist “retro” und aus Sicht der zufriedenen Arbeitsbienen fast eine Provokation, weil es der Umgebung die eigene geistige Schläfrigkeit vor Augen führt. Immerhin sind Blätter wie die FAZ in weiten Teilen inzwischen so beliebig und unkritisch, dass man auf dem Bahnsteig dafür angegangen wird, diese rechte Hetzpostille zu lesen (wie vor etlichen Jahren selbst erlebt). Nun aber zu den Büchern. Da möchte ich anmerken, dass außer der Spezies der Informationstechniker auch keiner mehr Sachbücher zu lesen scheint. Wenn ich männliche Reisende Bücher lesen sehe, handelt es sich um Taschenbücher aus schlechtem Papier, wahlweise Agentengeschichten, Historienkrimis oder in erfundenen Welten spielende Phantasien. Gemeinsam ist ihnen, dass sie nichts mit unserer Wirklichkeit zu tun haben und keine Gedanken von Relevanz für das eigene Dasein transportieren. Doch sie erlauben eine billige Flucht aus dem öden Alltag, das gefahrlose Erleben drastischer Ereignisse und die risikolose Identifikation mit großen Helden. Derweil liegt der Fahrradhelm stets in Reichweite - manch einer behält ihn auch gleich auf. Am unvermeidlichen Plastikrucksack baumelt gern auch ein Teddybär. Von den Damen unterscheidet sich dieses Personal nur dadurch, dass sie (noch) keine Liebes- und Landarztromane lesen. Das kann sich aber mit zunehmender Ausbreitung schmaler Schultern und blasser, weicher Gesichtszüge beim “starken” Geschlecht auch noch ändern. Auf sportliche Figur legen nach meinem Eindruck fast nur noch junge Männer aus arabischen Ländern und fanatische Führungskräfte Wert. Lesen tun die aber auch nur schlichte Phantasiegeschichten eines Wüsten-Propheten oder Werke zur praktischen Lebenshilfe “How to become an agile leader” - “Fitsein ohne Reue” usw. Fazit: Es nervt, so erkennbar von so vielen Menschen ohne geistige Interessen umgeben zu sein. Der Rückzug ins Private hilft zwar, dennoch schmerzt der Gedanke, dass sich hier ein Kulturvolk aufgelöst hat. Michael Schlenger
Davila, der kolumbianische Philosoph, empfiehlt, sich gewissen Diskussionen duch eine gut gespielte Begriffsstutzigkeit zu entziehen. Mit dem Risiko, etwas verblödet dazustehen (Augen halb zu, Mund halb offen). Es ist eine Art von Energiesparen.
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