So sehr die Bundesregierung sich auch in Sachen Genderregeln und Quotenplänen als Vorreiter des Fortschritts gibt: Auch hier sieht sie offenbar eine Obergrenze. Die Antwort (19/8716) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (19/8199) der AfD-Fraktion beschäftigte sich zunächst zwar mit den Bürokratiekosten, die die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Anerkennung eines dritten Geschlechts mit sich bringt. Diese Frage konnte die Bundesregierung nicht beantworten. Dafür gab es aber auf andere Fragen klare Antworten. Sowohl die zitierten Fragen als auch die Antworten sollen wohl ernst gemeint und gar nicht witzig gedacht sein. Aber Restzweifel bleiben:
Frage: „Plant die Bundesregierung neben der bereits Gesetz gewordenen Quote für Frauen (1. Mai 2015: Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen – FüPoG) eine Quotierung für Diverse?“
Antwort: „Die Bundesregierung plant kein Gesetz, das eine Quote für Menschen mit dem Geschlechtseintrag „divers“ vorsieht.“
Frage: „Plant die Bundesregierung eine Änderung des BetrVG [Betriebsverfassungsgesetz], und nach welchen Vorgaben, und in welchem Zeitraum soll die Einführung weiterer Geschlechter, bezeichnet als „divers“, in den Unternehmen umgesetzt werden?“
Antwort: „Die Bundesregierung plant hierzu keine Änderung des BetrVG.“
Frage: „Ist geplant, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Namen um Männer und Diverse zu erweitern, um das ganze Spektrum abzubilden?“
Antwort: “Für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist keine Namensänderung geplant. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung und die gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien sehen keine Regelung vor, nach der ein Bundesministerium jeden Aspekt des Geschäftsbereichs im Namen abbilden muss.“
„Gewaltvolle Normen von Zweigeschlechtlichkeit“
So richtig hat die Bundesregierung das dritte Geschlecht noch nicht akzeptiert. Nicht nur, weil es keine Quote und keinen Platz im ohnehin schon zu langen Amtstitel der Ministerin gibt. Auch im weiteren Verlauf zeigt die zitierte Antwort, dass die Große Koalition noch ganz reaktionär dem anhängt, was die Kräfte des geschlechterpolitischen Fortschritts „gewaltvolle Normen von Zweigeschlechtlichkeit“ nennen. Nach diesen gewaltvollen Normen geht auch die fortschrittlichste aller Bundesregierungen immer noch davon aus, dass es im Wesentlichen Männer und Frauen gibt, schreibt sie indirekt in ihrer Antwort. Oder wollte sie an dieser Stelle etwa der AfD gefallen?
„Die Gleichstellungspolitik der Bundesregierung zielt darauf ab, dass Frauen und Männer ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Ziel ist daher die Beseitigung struktureller Benachteiligungen. Frauen und Männer sollen sich nicht nur theoretisch für ein bestimmtes Lebensmodell entscheiden können – sie sollen auch die gleichen Chancen haben, ihre Wahl zu verwirklichen.“
Wo bleiben hier die Diversen? Vielleicht hat die Bundesregierung für sich aber auch eine Obergrenze für besonders zu beachtende Minderheiten festgelegt. Oder eine Untergrenze, ab der eine Minderheit relevant genug für das ganze vormundschaftliche Programm von Förderung, Privileg und Quote ist. Immerhin würde ja ein neu zu privilegierendes Geschlecht nicht nur den alten weißen Männern, sondern auch der gut organisierten weiblichen Quoten-Nomenklatura möglicherweise Posten wegnehmen können. Dabei müssten ja weder die Kritiker der Anerkennung neuer Geschlechter noch die Quotenprivilegien-Verteidiger die Diversen zahlenmäßig fürchten.
Die Bundesregierung sagt zwar in ihrer Antwort, dass ihr keine genauen Erkenntnisse über die Zahl der intersexuellen Menschen in Deutschland vorlägen, aber das Bundesverfassungsgericht sei in seiner Entscheidung vom Oktober 2017 davon ausgegangen, dass in Deutschland rund 160.000 Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung leben würden. Das sind also ungefähr 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Weit unter der Obergrenze des derzeit jährlich willkommen geheißenen Migrantenzuzugs. Wer nicht gerade vom Entlarven neuer Diskriminierungstatbestände oder der Schaffung bzw. Nutzung von Quotenplätzen lebt, sollte solche Geplänkel also eigentlich ganz entspannt als parlamentarische Unterhaltung verfolgen können. Zugegeben: Vom Unterhaltungswert des britischen Unterhauses ist das Ensemble im Berliner Reichstagsgebäude noch weit entfernt.