Cora Stephan / 03.09.2010 / 10:37 / 0 / Seite ausdrucken

Von Zahlenmenschen und Gefühlsspezialisten

Nein, Herr Wang möchte nicht nach Deutschland einwandern. Eigentlich mag er das Land. Und das Geld stimmt auch. Aber er hat unsere Kultur ein wenig näher studiert. Seither möchte er lieber nicht. Herr Wang ist Naturwissenschaftler. Herr Wang hat mitbekommen, wie man in Deutschland Debatten zu führen pflegt. Mit viel Gefühl. Und mit ganz wenig Verstand. Und gänzlich ohne Respekt vor Zahlen und Tatsachen. Das aber ist schlecht für die Ingenieurskunst. „Was soll ich denn machen“, sagt Herr Wang, „wenn ein Mitarbeiter, der meine Zahlen bezweifelt, sie nicht etwa überprüft, sondern sich von ihnen verletzt und beleidigt fühlt?“

Deutschland, einst Hort der Ingenieurskunst und noch immer eine starke Wirtschaftsmacht, Deutschland, sagt Herr Wang, ist im Begriff, sich selbst abzuschaffen. Und da möchte er nicht dabeisein.

Nun, wer in den letzten Tagen ferngesehen hat, wird Herrn Wang nicht widersprechen können. Er hat ein Land erlebt, in dem der Ökonom Thilo Sarrazin von der Politikerin Renate Künast als „menschlich schäbig“ und „gefühlskalt“ beschimpft wurde, weil er sich auf Zahlen und Statistiken bezieht. In dem eine deutschtürkische Landesministerin aus Niedersachsen, die der Presse „kultursensible Sprache“ gegenüber türkischen Migranten verordnen wollte, stolz verkündet, „sie brauche keine Statistiken und Analysen“, da sie die „Migranten ja kenne“.
Ob bei Beckmann, ob bei Plasberg: es triumphierten die Menschlichkeit und das Leben über das statistische Teufelszeug, das „Menschen auf Zahlen“ reduziere. Selbst die Bundeskanzlerin, von Haus aus Naturwissenschaftlerin, übernahm den neuen Gefühlssprech und ließ uns an ihren Empfindungen teilhaben. Alles andere hieße ja wohl auch, über eigene Versäumnisse zu reden.

Denn Thilo Sarrazin konstatiert, was schlechterdings nicht zu leugnen ist: eine Minderheit hierzulande will sich nicht integrieren, da sie diese Gesellschaft, ihre Kultur und ihre authochtone Bevölkerung verachtet – deren Vertreter wiederum trauen sich nicht, den nötigen Respekt auch einzufordern. Das ist und bleibt der Hauptpunkt der Debatte – die nun im Namen der Menschlichkeit und der Gefühle zusammen mit Thilo Sarrazin erlegt und erledigt werden soll.

Es ist an Schäbigkeit nicht zu überbieten, was uns hier als Debattenkultur, als Weltoffenheit, als Menschlichkeit und buntes Multikulti vorgeführt wird. Die Vertreter der deutsch-türkischen Community tun beleidigt und leugnen das Problem. Politiker setzen auf das dort vermutete Wählerpotential und leugnen ihrerseits, daß das hierzulande übliche „Fördern statt Fordern“ längst an seine Grenzen gestoßen ist. Und niemand vertritt die Interessen der eingeborenen Bevölkerung, die ja womöglich Gründe dafür hat, daß sie sich die Objekte ihrer kulturellen Sensibilität von niemandem vorschreiben lassen will.

Und Sarrazin? Ist der Sündenbock, dem blanke Menschenverachtung und blanker Hass entgegenschlagen und der dennoch und auf fast rührende Weise immer und immer wieder versucht, doch noch ein Argument loszuwerden. Nun, Umfragewerte und Internetkommentare lassen erkennen, daß das Volk mit den politischen Eliten auch hier nicht übereinstimmt. Beide großen Parteien haben die Gefolgschaft ihrer Wählerschaft eingebüßt. Der SPD droht ein Aufstand der Basis, wenn sie Sarrazin ausschließt. Und der Kanzlerin wird man es übel vermerken, daß sie einen wichtigen Amtsträger, die Meinungsfreiheit und die ihr von Amtswegen angemessene Distanz geopfert hat, um der SPD das Leben noch ein wenig schwerer zu machen. Und alle gemeinsam haben sich mit ihrer menschelnd aufgemotzten Verlogenheit bis auf die Knochen blamiert. Eine große Mehrheit der Deutschen sieht Thilo Sarrazin nun erst recht als den aufrechten, integren, ehrlichen, standhaften Mann, dem es an jener Aalglätte fehlt, mit der die anderen sich unangreifbar gemacht haben.

Der Fall Sarrazin ist für dieses Land eine historische Wegmarke. Und das ist in der Tat kein gutes Zeichen.

Zum Hören: DeutschlandRadio, Mehr dazu: Blogisch

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Cora Stephan / 16.05.2024 / 06:00 / 155

Toxische Weis(s)heit: Merkel schreibt ein Buch

Ich bereue es. Schon seit langem. Ich habe Angela Merkel gewählt. Schlimmer: Ich habe sogar dazu aufgefordert, sie zu wählen! Die damaligen Gründe finde ich…/ mehr

Cora Stephan / 09.05.2024 / 10:00 / 17

Toxische Weis(s)heit – Mit Gewalt an die Weltspitze

Deutschland galt lange als sicheres Land. Das ist lange vorbei, und Otto-Normalo leidet still darunter. Die Politik merkt erst jetzt was und macht ein großes…/ mehr

Cora Stephan / 02.05.2024 / 10:00 / 49

Toxische Weis(s)heit: Nancy und das Kalifat der Reichsbürger

So also ist das: Erst errichten die Reichsbürger ein Kalifat, um dann ins Deutsche Reich von 1871 zurückzukehren?  Gut, dass es den Prozess gegen die…/ mehr

Cora Stephan / 08.03.2024 / 06:15 / 49

Männer! Richtige Männer! Es gibt sie noch!

Botschaft an alle Männer, die heimlich daran zweifeln, dass es 99 Geschlechter gibt, ein Mann per Selbstermächtigung zur Frau wird und Frauen die besseren Menschen…/ mehr

Cora Stephan / 29.02.2024 / 11:00 / 51

Daniela Klette und der vergessene Linksextremismus

Die Innenministerin ist voll des Lobes angesichts der Festnahme von Daniela Klette, 65 Jahre alt, Mitglied der RAF, Dritte Generation. Fahndungserfolg nach nicht einmal 30…/ mehr

Cora Stephan / 15.02.2024 / 06:05 / 65

Toxische Weis(s)heit: Die Heuchler von Ulm

Eine Stadt die in der Coronazeit durch besonders rigide Freiheitseinschränkungen von sich reden machte, setzt sich plötzlich für „Vielfalt und Demokratie“ ein. Ulm ist ein…/ mehr

Cora Stephan / 10.02.2024 / 12:00 / 36

Merz in Grün?

Was geht im Kopf eine Politikers wie Friedrich Merz vor, der die Grünen erst zum Hauptgegner erklärt und dann eine Koalition mit ihnen nicht mehr…/ mehr

Cora Stephan / 25.01.2024 / 10:00 / 35

Preisverleihungen nur noch auf Bewährung!

Wer einen Preis verliehen bekommt, weil er was besonderes geleistet hat, sollte sich sehr genau überlegen, mit wem er künftig redet. Sonst ist der womöglich…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com