Stefan Theil
Die NRW-Krise spitzt sich zu. Der bayerische Sparkommissar in Düsseldorf will die nächste Tranche aus dem Länderfinanzausgleich erst dann freigeben, wenn sich alle im Landtag vertretenen Parteien zur Einhaltung strikter Sparziele verpflichten. Damit wollen die Geberländer verhindern, dass eine neue Regierung die Sparvorgaben ignoriert. Bei Ausgaben von 58 Milliarden Euro und Steuereinnahmen von nur 43 Milliarden Euro soll das Land seinen Haushalt um 25 Prozent kürzen und ein Viertel aller Beamten entlassen. „Die Rheinländer müssen endlich lernen, innerhalb ihrer Verhältnisse zu leben“, sagte Horst Seehofer im ZDF.
Unterdessen übernahmen süddeutsche Spezialisten die Statistik-Abteilung im Düsseldorfer Finanzministerium. Sie wollen Licht ins Dunkel der Landesbeteiligungen wie der berüchtigten WestLB bringen, in deren Bilanzen sie noch einige weitere versteckte Schulden vermuten.
Hannelore Kraft flog noch am Abend nach Peking, um China als neuen Geldgeber zu gewinnen. Rheinland-Pfalz kündigte an, das NRW-Problem mit einer Weinflaschen-Transaktionssteuer zu lösen, die es notfalls im Alleingang durchsetzen wolle.
Auf heftigen Protest stieß eine Schlagzeile der Münchner Abendzeitung, „Verkauft doch den Kölner Dom, Ihr Pleite-Rheinländer!“ Die WAZ verglich Seehofer mit König Ludwig und warnte, NRW dürfe kein „Protektorat von Bayern“ werden. An der Börse Düsseldorf kam es zu Panikverkäufen von 4711- und Pumpernickel-Aktien nach der Äußerung des bayerischen Finanzministers, er könne sich auch einen Austritt NRWs aus der Bundesrepublik vorstellen. „Eins ist natürlich völlig klar“, sagte Markus Söder im Bayerischen Rundfunk. „NRW hätten wir niemals hineinlassen dürfen.“
In Düsseldorf zerstörten gewalttätige Rheinländer Autos der Marke BMW. Eine Dallmayr-Filiale brannte völlig aus.
Die Politologin Ursula Gericke forderte die Politik auf, zur Lösung der NRW-Krise „mehr Bundesrepublik zu wagen.“ Sonst erleide das „deutsche Projekt“ einen Rückschlag, was unweigerlich zu einem neuen Dreißigjährigen Krieg führen würde.
Stefan Theil ist Korrespondent von Newsweek in Berlin
Zuerst erschienen in DIE WELT vom 19.3.2012