Dass wir in einer Zeit der Moralisierung von allem und jedem leben, finden große Teile unserer Öffentlichkeit bekanntlich immer noch gut, obwohl diese Moralisierung laufend zu Verboten und Tabuisierungen führt. So sehen nicht nur immer mehr Menschen mit großer Verlegenheit dem Rind in die Augen, das medium auf ihrem Teller liegt, nein, sie gruseln sich sogar zunehmend vor der unschuldigen Milch.
Die Lektion, die die Europäer im ausgehenden 20. Jahrhundert gelernt haben, folgt einem aberwitzigen Register des Schuldbewusstseins. Seither leben sie vorwiegend geduckt, stets in der Erwartung eines neuen Vorwurfs. Die Europäer sehen sich in der Rolle des überführten Täters, der gerne Opfer wäre. Da dieser Transfer nicht gut möglich ist, wollen sie sich zumindest mit den Opfern identifizieren können, wenn nicht gar diese substituieren. Das betrifft nicht nur private Konversionen von netten jungen Frauen zum Judentum oder die geradezu inflationäre Thematisierung der Schindler-Rolle, so dass man zeitweise den Eindruck gewinnen konnte, die Judenverfolgung sei zum Zweck der moralischen Prüfung durchgeführt worden, um den Europäern die Möglichkeit zu geben, Juden zu retten. 1993,als der deutsche PEN-Club mit großer Geste zum Gedenken an die Bücherverbrennung von 1933 aufrief, vergaß er zu der Veranstaltung in Darmstadt den deutschen EXIL-PEN aus London einzuladen.
Das Problem ist, dass die zahllosen Rituale des Schuldbewusstseins das Verbrechen nicht ungeschehen machen können. Im großen Buch der Geschichte lassen sich keine Vorstrafen löschen. Gegen Auschwitz hilft auch kein Dresden-Gefühl. Diese Erkenntnis belebt einen einschlägigen Dauerhit, die Israel-Kritik. Es ist wahrscheinlich, nach dem Fußball, die größte europäische Leidenschaft. Für sie wurden, in Anbetracht des Holocaust, effektvolle Ersatzbegriffe gefunden, zum Beispiel Antizionismus.
Eines der größten Missverständnisse ist, zu meinen, der Antisemitismus sei in bestimmten politischen Bewegungen beheimatet. Der Antisemitismus ist vielmehr überall, er ist ein kosmopolitisches Instrument, das Verständigungsmittel der Internationale der Loser. Er ist nationalistisch, rassistisch, antirassistisch, rechts, links, antikapitalistisch, antiamerikanisch, antikommunistisch.
In den Zeiten der Moralisierung und des politisch Korrekten muss sich auch der Antisemitismus im Zeichen des Guten profilieren. Auch der Antisemit kann nur bestehen, wenn er sich als Teil der riesigen Moralmaschine definiert, die Europa weitgehend im Griff hat. Er muss Mitglied in der Einheitspartei der Guten sein.
Der Mainstream-Antisemit hat sich das perfekte Opfer als Partner auserkoren, das palästinensische Volk. Die Genialität dieser Allianz besteht darin, dass sie die Israelis, und damit die Juden, als Täter überführt. Der Gazastreifen ist in den Augen des Antisemiten ein von Israel kontrolliertes Lager. Als Zeichen der Solidarität mit seinem Opferpartner trägt er das Palästinensertuch. Auf Demos und auf Partys, gelegentlich auch in Designerausführung. Selbst der „radical chic“ ist nicht mehr das, was er einmal war.
Dass Gaza sich in der Hand von Terroristen befindet, deren Lebensunterhalt weitgehend aus EU-Geldern bestritten wird, interessiert den europäischen Antisemiten wenig. Genau so wenig interessiert ihn, dass die meisten geschäftstüchtigen Palästinenser längst ausgewandert sind und weltweit Karrieren gemacht haben. Nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten. Die, die geblieben sind, wurden zu Handlangern der Paten des panarabischen Totalitarismus.
Diese Paten aber verwalten nichts weiter als den Frust des arabischen Mannes, der mit Handys zu telefonieren hat, die er selbst nie erfunden hätte, der erleben muss, wie ihn Frauen im Cabrio überholen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und, als wäre das nicht schon genug, auch noch zusehen darf, wie sich vor seiner Haustür ein erfolgreicher moderner Staat entfaltet, eine Demokratie, Israel. Und das nun schon seit 60 Jahren und trotz aller Kriege und Kriegstreibereien. Unsere Antisemiten sind nichts weiter als die nützlichen Idioten dieser Loser. Veganer der Demokratie.