Richard Wagner / 19.11.2014 / 10:51 / 0 / Seite ausdrucken

Krieg um die Fifth Avenue?

“Für das Individuum mit seinen Wünschen nach Unversehrtheit und Glück ist der Krieg immer sinnlos.  Aber während er das individuelle Leben zerstört, kann er das kollektive erneuern“. So der Frankfurter Soziologe Karl Otto Hondrich in seinem 1992 veröffentlichten Essay „Lehrmeister Krieg“. Es war starker Tobak, damals, vor den Kulissen der jugoslawischen Bürgerkriege, zumal Moral und Doppelmoral unserer Gegenwart gleichermaßen angesprochen wurden. Das war gestern.

Unsere westliche Welt befindet sich heute in einer kriegsähnlichen Konstellation, die sich bei genauerer Betrachtung als eine bizarre Mischung aus Säbelgerassel, Scharmützel, Luftkrieg, Intervention und Terrorismus-Bekämpfung erweist. Mehr noch, die Wahl des Kriegsschauplatzes ist nicht mehr in unserer Hand.  Der Westen wird zwar immer noch kopiert, aber bei gemischter Gefühlslage. Es ist - grob gerechnet - immer noch eine Mehrheit, die die Metropolen des Westens als Sehnsuchtsorte betrachtet, wer aber im Fernen Osten versteht schon genug von den Postulaten unserer Demokratie, vom Parlamentarismus? Und wie viele Lateinamerikaner wären bereit das Arbeitsethos des Nordens grundsätzlich zu akzeptieren?  Wir, die Westler, hingegen, können uns die Welt in allen denkbaren Versionen vorstellen, nur nicht ohne uns.

Gegen den Westen lassen sich nach wie vor Argumente ins Feld führen. Es sind aber nur Argumente, die der Westen selbst formuliert hat, und das Meiste was auf diese Weise vorgebracht wird, ist längst nicht mehr Folge westlichen Verhaltens oder gar des kolonialen Blicks. Es ist vielmehr Ergebnis der Anspruchs-Haltung des Rests der Welt.  Dieser erhebt Anspruch auf einen Status, der nicht durch Leistungsergebnisse begründet wird, sondern durch den Vergleich mit der vermeintlichen Portokasse des Westens. Das Völkerrecht aber, auf das man sich bei fast jeder Arabeske beruft, ist nicht Teil der Sozialgesetzgebung. Es gibt zwar auch eine Internationalität des Syndikalismus, sie verwaltet aber bloß das Minimum. Auch grenzüberschreitend lässt sich nichts weiter als ein Mindestlohn errechnen und keineswegs eine Höchstvergütung.  Im Grunde können nur die Arbeitsbedingungen verbindlich beschrieben werden, nicht aber der Wert der geleisteten Arbeit. Dieser Wert ist und bleibt lokal zu bestimmen. Die allzu anschauliche Bebilderung des Sachverhalts rund um das T-Shirt, anlässlich des Vergleichs zwischen dem Lohn der Frau in Bangladesch und dem Ladenpreis auf der Fifths Avenue nützt vor Ort gar nichts.

Diese Art Rechnungslegung, die gleichzeitig von Schuld und Schulden handelt, ist zunächst einmal Ausdruck journalistischer Täuschung und Selbsttäuschung. Es ist der heillose Versuch alles Unerklärliche einer Gesellschaftsdynamik ökonomisch zu beschreiben. Als ließe sich der Klassenkampf wenigstens für die Beobachtung des globalen Wirtschaftens instrumentieren. Sind die Journalisten die letzten Marxisten? Wahr ist, dass der Preis, der für das T-Shirt im Laden in New York bezahlt wird, sich nicht an den Kosten der Herstellung orientiert, sondern an den angenommenen Unkosten seiner Herstellung in den Vereinigten Staaten. Es muss günstiger sein als ein in Amerika herstellbares T-Shirt. Der Ladenpreis im Westen richtet sich nach der Kaufkraft im Westen. Man kann zwar für ein T-Shirt verlangen, was man will, aber man bekommt schließlich nur das, was der Kunde auch bezahlt.

Der eigentliche Wert eines Produkts ergibt sich weiterhin aus dem Inlandsvergleich,  in der Drehtür zwischen Gesellschaft und Staat, im Verhältnis von Leistung und Regulierung.  Global betrachtet, haben wir es mit zu vielen Staaten und mit zu wenigen gefestigten Gesellschaften zu tun. Bereichern wird sich vor diesem Hintergrund vor allem der, der Steuern einzutreiben versteht. So ist nicht nur die Machtverteilung in der Welt prekär, sondern auch ihre Ausübung. Wir haben es zunehmend außer der Autorität der Händler mit der Autorität des Wegelagerers zu tun. Heute zerfällt die Dritte Welt in zwei Gruppen. Schwellenländer und gescheiterte Staaten. Singapur oder Somalia. Die Dritte Welt droht zum ewigen Rest der Welt zu werden. Wenn sie sich bisher in der modernen Geschichte durch importierte Ideologien und Staatsdoktrinen zu positionieren versuchte, durch Marxismus und Nationalismus, afrikanischen Sozialismus und arabischen Nasserismus, so haben wir es heute in Gestalt des Islamismus zum ersten Mal mit der Instrumentierung der Macht durch eine indigene politische Religion zu tun. Der Westen wird nun nicht mehr klassenkämpferisch attackiert, sondern bei Promiskuität und Unmoral gestellt.

Die Islamisten bekämpfen vorrangig die säkulare Gesellschaft. Ihre Alternative ist der Gottesstaat. Das aber ist ein Kriegsziel und die entsprechenden Kriegshandlungen haben längst begonnen.
Die Dschihadisten greifen den Westen von außen, und auch von innen an. Der Westen aber ist auf eine solche zweifache Kriegserklärung nicht vorbereitet. Eine offene Gesellschaft kann nicht von einer Berufsarmee gegen ihre fanatischen Feinde verteidigt werden. Gegen diese hilft nur die Rückkehr zur Wehrpflicht. Der Staat ist unser Garant, nicht unser Dienstleister. Um diese Staatsrolle zu begreifen, bedarf es einer Neuakzentuierung der Staatsidee. Was wir heute brauchen, ist eine Rekonstruktion des europäischen Projekts, die Neubeschreibung seiner Werte, die im Kern auf der Antike des Mittelmeers und dem Mittelalter des christlichen Abendlands, auf Reformation, Renaissance und katholischem Barock, Aufklärung und Encyclopedie, französischer Revolution und angelsächsischem Konstitutionalismus, auf Industrialisierung, Nation und Moderne fußen.

Wir brauchen einen doppelten Patriotismus. Der bestehende, nationalstaatliche, ist durch einen gesamteuropäischen Patriotismus zu ergänzen, der die Klammer unserer Werte bildet.Ob das dem Rest der Welt imponiert, sollte zunächst einmal ein Problem dieses Rests der Welt sein. Das eigentliche Dilemma besteht nicht allein darin, dass der Islam nicht aufklärungsfähig wäre, sondern dass er den säkularen Staat und alles Sonstige, das die Moderne ausmacht, von den Menschenrechten bis zur Unternehmensfreiheit, ablehnt. Letzten Endes ist die Dschihad- Ideologie Ausdruck des Nihilismus in einer strukturlosen Welt, die ihre Traditionen, und was man dafür hielt, verloren hat und in der man sich nun als Piratenheld oder Koranausleger betätigt. Ihnen ist der Wert des T-Shirts ohnehin egal. Wozu braucht man auch ein T-Shirt, wenn man den Tiger reiten will?

Der Westen hat die Pflicht, sich selbst und auch dem Rest klarzumachen, dass die fortwährende Unterschreitung des zivilisatorischen Minimums mittels Prügelstrafe und Verstümmelung, Versklavung, Entführung und Enthauptung nicht hingenommen werden kann. Es geht nicht um den T-Shirt-Ladenpreis, sondern ums Ganze. Das Ganze aber lässt sich nicht aus der Luft verteidigen, und die Bodentruppen, die wir diesmal brauchen, sind nicht auf dem Weltmarkt zu haben.

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