Richard Wagner / 09.09.2014 / 11:45 / 6 / Seite ausdrucken

Der Narr und die Barbarei

Wer am Morgen Radio hört, ist selber schuld, und wer am Morgen in Berlin Radio hört, muss den Verstand verloren haben. Wie ich, heute. Kaum hatte ich die entsprechende Taste gedrückt, fiel mir bereits der erste Dummkopf ins Wort.

Er hatte sich ein schlimmes Vorkommnis dieser Tage zum Thema gewählt, in der richtigen Annahme, damit etliche Hörer auf seinen Kommentar neugierig machen zu können. Seit das Fernsehen sich endgültig dem Infotainment zugewandt hat, höre ich immer öfter Lobhymnen auf das Radio. Auch in meinem Bekanntenkreis ist es so.

Ich bin kein Anhänger des Radios, und ist von seinen Verdiensten die Rede, verwandelt sich für mich jedes seiner Formate – ich gebe es zu - umgehend zum Einwand gegen das Medium. Typisch für den Zeitgeist unserer Tage ist die Duldung der unterschiedlichsten Möglichkeiten sich als Kommentator der Ereignisse lächerlich zu machen.  Jede Bühne der Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten hat ihren spezifischen Narren. Da aber das Gesamtkabarett, vom Brettl bis zum Parlament, ins öffentlich rechtliche Facebook abgewandert ist, blieb dem Radio die Kümmernis um die Fraktion der Humorlosen, den stimmungsberechtigten Hütern des Guten.

Sie raunen uns ihr Meinungsbild aus dem Äther zu, unsichtbare Gurus, von denen wir nicht einmal zu wissen bekommen , ob sie einen Dreitagebart tragen, oder bloß eine Schiebermütze, wie einst der Brecht, während sie die Harmlosigkeit der Barbarei ausrufen, und sei es auch nur, wie heute, am Morgen, geschehen, angesichts der so genannten „Scharia-Polizei“ in Wuppertal, wo in den letzten Wochen, Islamisten, jugendliche Partyfreunde und Tanzindividualisten zum Einhalten der islamischen Steinzeit-Gebote gemahnt haben.

Der Kommentator von heute Morgen, in meinem Radio, fand die Aufgeregtheit der Öffentlichkeit in der Sache maßlos übertrieben, er scheint weder in Wuppertal wohnen zu müssen, noch die Tragweite des zur Religionspolizei vermummten Personals zu begreifen. Er scheint nicht einmal zu wissen, dass es sich bei den Akteuren um „Brüder“ und „Halbbrüder“ der bereits im Irak und sonst wo in der betenden Welt für die Scharia den Märtyrertod gestorbenen Inhaber deutscher Pässe handelt.

Der Liberalismus mag für die Verwechslung von Brettl und Parlament angebracht sein, wo die Gemeinten sich gelegentlich auch selbst als Narren des Hauses verstehen, zum Bösen aber weiß er nur das Falsche zu sagen, weil er grundsätzlich meint, dieses ließe mit sich reden. Das aber ist ein Irrtum, es ist ein Radio-Kommentatoren-Irrtum. Und davon habe ich für heute genug.

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Leserpost

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Werner Geiselhart / 09.09.2014

Herr Luetgendorf, die Gruppen/Sekten, die Sie erwähnen, sind mir teilweise auch nicht sympathisch (Scientologen), ich habe aber noch nie gehört, dass sie Gruppen unterstützen, die - Menschen mit stumpfen Messern köpfen - ganze Dörfer auslöschen - wahllos Menschen in die Luft sprengen usw. usw. Das gefährlichste, was mir von den Zeugen Jehovas angedroht wurde, war die Überreichung des Wachturms. Unter Aufbietung all meiner Kräfte konnte ich das gerade noch verhindern ;-)

Matthias Strickling / 09.09.2014

Ideologische Färbung macht auch vor Radios nicht halt.

peter luetgendorf / 09.09.2014

Sehr geehrter Herr Wagner, was mich jetzt wundert: kein Journalist ist bis jetzt auf den Gedanken gekommen, die Heilsarmee (tragen Uniformen), die Mormonen, die Scientologen oder die Zeugen Jehovas zu erwähnen. Die dürfen doch auch missionieren. Ich denke jetzt intensiv darüber nach, welchen Aufdruck meine Warnweste tragen soll. Gruß Peter Lütgendorf

Christian Weyland / 09.09.2014

Vielleicht hat der Radiohansel auch einfach aus der Zeitung vorgelesen: DIE WELT - ‘Stoppt die Hysterie um die “Scharia-Polizei”!’ Erstaunlich, was man als “Meinungsschaffender” in Print und Funk so alles nicht bemerkt oder zu bemerken glaubt. Dabei sind die doch sonst so fix im Erkennen faschistoider Strukturen.

Dirk Ahlbrecht / 09.09.2014

Es ist exakt so wie Sie schreiben, Herr Wagner. Wir haben es hier schlicht mit dem Bösen zu tun. Allerdings hat sich diese Erkenntnis noch nicht so recht herumgesprochen, wie ich unlängst auf einer Abendveranstaltung anlässlich einer gemütlichen sog. “Show-Cooking”-Runde feststellen musste. Versehen mit einem guten Glas Weißwein in der Hand kamen wir in besagter netter Runde auf dieses Thema zu sprechen. Und mit exakt derselben Formulierung, nämlich das es sich hierbei in meinen Augen schlichtweg um Vertreter des Bösen handelt, tat ich meine Meinung zu diesem Sachverhalt kund. Zwei der Herren, die sich in der Runde zuvor als FDP-Mitglieder zu erkennen geben hatten, drehten sich sofort von mir weg; versehen mit einem Blick als hätte ich soeben davon gesprochen, nämlich die Nazis wären doch eigentlich ganz nette Leute gewesen. Der Rest der Runde versuchte mich dann im weiteren Verlauf des Abends mit den bekannten Formulierungen (täglich serviert von unseren Medien) zu überzeugen: “die Kreuzzüge…, “die Bibel…”, “nicht alle Moslems…”, “die USA und Israel….”, “soziale Ungerechtigkeiten…”, “dies hat nichts mit dem Islam…” und so weiter und so fort. Ich persönlich habe mittlerweile große Zweifel, ob die Leute wirklich verstehen um was es letzten Endes geht. Und wenn Sie es eines Tages begreifen, ist es wahrscheinlich zu spät.

Axel Borchardt / 09.09.2014

“....wo in den letzten Wochen, Islamisten, jugendliche Partyfreunde und Tanzindividualisten zum Einhalten der islamischen Steinzeit-Gebote gemahnt haben.” Den Islam oder dessen Gebote mit der Steinzeit zu vergleichen wird den Menschen der Steinzeit sicher nicht gerecht. Die Steinzeit war wohl deutlich fortschrittlicher gesinnt als der Islam es zugelassen hätte, hätte es ihn damals schon gegeben.

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