Michael Miersch / 11.05.2007 / 16:07 / 0 / Seite ausdrucken

Unsanfte Technologie

Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 11.05.2007

Unter den Vätern der grünen Bewegung waren noch offene, kernige Fortschrittsfeinde, bärtige Männer in grob gestrickten Joppen, denen man ansah, dass sie sich ausschließlich von Frischkornmüsli ernährten und warmes Leitungswasser für eine Verfallserscheinung hielten. Sie kannten alle Kräuter im Wald, hatten aber noch nie von Brioni oder Armani gehört. Diese Zeiten sind lange vorbei. Die Kuhns und Bütikofers haben es nicht so mit Waldkräutern. Man gibt sich gern modern. Solaranlagen und Windräder zieren Broschüren und Plakate. Beide gelten als sympathisch sanfte Technologien, mit denen Deutschland die Zukunft meistern soll. Doch damit ist die Liste der politisch erwünschten Techniken bereits beendet: Wind und Solar, Solar und Wind … und weiter?

Ein Industrieland sollte vielleicht zwei, drei Trümpfe mehr in petto haben. Womit wir zum Thema „unsanfte Technologien“ kommen. Dazu gehört nach wie vor alles was mit „Atomkraft“ zu tun hat und natürlich die „harte Chemie“, alle Verkehrsmittel außer Bahn und Fahrrad, Medizinische Apparate und Tabletten und ganz besonders die Raumfahrt (überflüssig!) und die Gentechnik (teuflisch!).

Die Brioni-Fraktion hat die Technophobie der bärtigen Strickjackenträger übernommen, weil sich mit romantischen Phantasien mehr Wählerstimmen fangen lassen als mit Aufklärung. Das gilt leider nicht nur für die Grünen sondern für alle Parteien und die meisten Führungskräfte der großen Wirtschaftsunternehmen. Lieber redet man unentwegt über Windräder und Solardächer, als ehrlich zu sagen, dass man ohne Atomkraft nicht auskommen wird. Klare Stellungnahmen zu den Chancen der Grünen Gentechnik sind ebenso rar (der SPD-Fraktionsvize Klaas Hübner machte kürzlich eine erfrischende Ausnahme von dieser Regel). Die meisten Politiker lassen sich lieber mit einem Bio-Ferkel auf dem Arm fotografieren.

Im Bremer Wahlkampf konnte man in den vergangenen Wochen beobachten, wohin Romantik-Opportunismus führen kann. Dort geht es um eine „harte“ wissenschaftliche Erkenntnismethode, der Millionen Menschen ihr Leben verdanken: Tierversuche. Die meisten Gesunden lehnen Tierversuche intuitiv ab (Menschen, die medizinische Hilfe brauchen, sind meistens etwa nachdenklicher). An der Bremer Universität finden Tests an Rhesusaffen statt, die Einsichten in die Funktionen des Gehirns liefern. Obwohl es sich um Grundlagenforschung handelt, kamen bereits Verbesserungen in der Behandlung von Parkinson- und Epilepsiekranken dabei heraus (DIE WELT berichtete). Doch Tierversuche rufen nun mal soviel Antipathien hervor wie Atomkraftwerke und Gentomaten zusammen. Also weg damit. Sollen sie doch in anderen Ländern forschen. Parteiübergreifend beschloss die Bremer Bürgerschaft die Hirnforschung zu verhindern. Das ist keine deutsche Spezialität: Auch das Institut für Neuroinformatik in Zürich musste seine Affenversuche abbrechen, obwohl die Wissenschaftler erklärten, dass die Tests für die Erforschung degenerativer Krankheiten unerlässlich sind. Die neuen verschärften Tierschutzbestimmungen der Schweiz stellen die „Würde der Tiere“ über den Erkenntnisgewinn.

Auf der anderen Seite können die allseits beliebten sanften Technologien durchaus unsanfte Folgen haben, ohne dass die Öffentlichkeit sich sonderlich erregt. Während die Bremer Affen zum heißen Wahlkampfthema werden, zerhacken Propeller seltene Vögel. Die Vogelschutzwarte Buckow sammelt Kadaver, die unter nordostdeutschen Windkraftanlagen entdeckt wurden. In fünf Jahren waren immerhin 25 Seeadler darunter – zufällige gefunden, ohne systematische Suche. Von einem anderen raren Greifvogelart, dem Rotmilan, registrierte Buckow seit Ende der neunziger Jahre über 80 Windkraftopfer. Doch irgendwie will dass keiner so genau wissen und die Vogelschützer sind überrascht, wenn mal ein Journalist anruft. Schließlich sterben die Vögel für eine sanfte Technologie. Und die Parkinsonkranken sollen gefälligst Bachblüten nehmen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Michael Miersch / 11.01.2015 / 11:38 / 15

Die Stadt Leipzig betätigt sich als Zensurbehörde

In einem Schreiben des Ordnungsamtes an die Veranstalter der so genannten Legida-Demonstration, heißt es: „Das Zeigen sogenannter Mohammed-Karikaturen sowie anderer den Islam oder andere Religionen…/ mehr

Michael Miersch / 07.01.2015 / 17:05 / 7

18 Uhr vor der Französischen Botschaft in Berlin

Trauer um Charlie Hebdo 07.01.2015. Heute um 18 Uhr versammeln sich vor der Französischen Botschaft in Berlin Bürger, um ihre Anteilnahme mit den Opfern des…/ mehr

Michael Miersch / 06.01.2015 / 20:41 / 16

Der Hauptredner

Gestern war Dr. Udo Ulfkotte Hauptredner in Dresden, nachdem es bereits bei einem ähnlichen Aufmarsch in Bonn gewesen war. Die Thesen und Hypothesen, die der…/ mehr

Michael Miersch / 05.01.2015 / 11:05 / 14

“Menschen aus der Mitte”

Die Leipziger Legida-Initiative ist nach eigenen Angaben eine „Bürgerbewegung patriotischer Menschen der gesellschaftlichen Mitte, denen Fremdenhass, Rassismus und Extremismus fremd sind“. Hier das Positionspapier der…/ mehr

Michael Miersch / 03.01.2015 / 21:17 / 1

Höchst hörenswertes Interview über Reproduktionsmedizin

Heute habe ich ein Interview auf RBB-Info Radio (zu Gast bei Ingo Kahle) mit dem Kulturwissenschaftler Andreas Bernard über Reproduktionsmedizin und ihre gesellschaftlichen Folgen gehört.…/ mehr

Michael Miersch / 30.12.2014 / 16:56 / 6

Gezielte Tötungen sind besser als ungezielte

Es gibt unterschiedliche Sichtweisen auf das Wesen des Krieges. Manche sehen ihn als notwendiges Übel, das man in Kauf nehmen muss, wenn die eigene Existenz…/ mehr

Michael Miersch / 24.12.2014 / 01:48 / 7

Was Pegida-Versteher mit Islamisten-Verstehern verbindet

In dem Buch „Terror und Liberalismus“ beschreibt Paul Berman eine Fraktion der französischen Sozialisten, denen in den 30er-Jahren die Deutschen leidtaten. Aus ihrer Sicht wurde…/ mehr

Michael Miersch / 20.12.2014 / 18:35 / 8

Der Kleber-Test funktioniert nicht immer

Christliche Bischöfe nennen die Ausstellung „Köperwelten“ des Schaustellers Gunther von Hagens einen „würdelosen Umgang mit Toten“. Da haben sie Recht. Ben-jamin Netanjahu nennt die Hamas…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com