Titan und Trieste

Das kleine U-Boot Titan ist auf seiner Tauchfahrt zum Wrack der Titanic in 3.800 Metern Tiefe verunglückt; vermutlich wurde es dort unten vom enormen Druck der Wassermassen zerquetscht. Vor mehr als 60 Jahren tauchte die Kapsel Trieste dreimal so tief – ohne zerstört zu werden. Was war der Unterschied?

Warum war ein solches Unternehmen im Jahr 1960 möglich? Damals waren Jacques Piccard und Don Walsh mit ihrer Kapsel Trieste zum tiefsten bekannten Punkt der Ozeane getaucht, in das knapp 11.000 Meter tiefe „Challenger Deep“.

Ein Unterschied zur Titan wird auf den ersten Blick klar: die Kapsel für die beiden Piloten der Triest hing an einer Art „Unterwasser-Zeppelin“. Das war ein ca. 15 Meter langer Auftriebskörper, der mit Benzin gefüllt war. Der ließ sich vom Druck des Wassers kaum deformieren und sorgte dank des geringeren spezifischen Gewichts für Auftrieb. Der war notwendig, denn die 14 Tonnen schwere Stahlkapsel mit 2 Metern Durchmesser wäre ohne ihn unrettbar wie ein Stein auf den Meeresboden gesunken.

Die Titan hatte keine solche externe Auftriebshilfe. Sie durfte also nicht mehr wiegen als das Volumen an Wasser, welches sie verdrängte – das verlangt das Archimedische Prinzip.

Stabil und instabil

Die Titan musste leichter gebaut sein als die Trieste, deren Stahlwandungen 13 Zentimeter dick waren. Welches Material bietet sich da an?

Zunächst eine theoretische Betrachtung: Es gibt stabile und instabile Systeme. Stabil ist, wenn eine Abweichung vom Sollzustand sich spontan korrigiert. Nehmen sie den Rumpf eines Airliners, in dem ein gewisser Überdruck herrscht. Sein Querschnitt ist kreisförmig. Eine leichte Deformierung nach innen würde durch den Innendruck korrigiert oder zumindest nicht verstärkt werden. Man muss nur dafür sorgen, dass das Material ausreichend zugfest ist, dass es nicht reißt (wie beim Flug Aloha 243).

Ein Hohlkörper unter äußerem Druck ist ein instabiles System. Eine kleine Abweichung von der idealen Zylinder- oder Kugelform wird durch die externen Kräfte verschlimmert. Das Material für die Wandungen muss daher in erster Linie starr sein. Die Kuppel des Pantheon-Tempels in Rom ist starr. Sie hat den enormen externen Druck des eigenen Gewichts schon zwei Jahrtausende gut überstanden: Sie besteht nur aus starren Steinen und Zement – kein Stahl oder Eisen wurde verwendet.

Eine halbe Tonne pro Daumennagel

Wir wissen nicht genau, aus welchem Material die Titan gebaut war. Vielleicht waren es Verbundstoffe, leichter als Stahl, aber mit höherer Zugfestigkeit. Die aber nutzt hier nichts; die Steine des Pantheons zeichnen sich auch nicht durch Zugfestigkeit aus.

Es könnte auch sein, dass sich die verschiedenen Bestandteile eines Verbundstoffes bei dem extremen Druck unterschiedlich verhalten: Die eine Komponente lässt sich vielleicht etwas mehr komprimieren als die andere, und dadurch würde das Material geschwächt. Da unten aber, bei der Titanic, da herrschen immerhin 380 bar, das ist fast das Gewicht einer halben Tonne pro Daumennagel.

Und noch etwas: Die Titan hatte zwar entlang des Rumpfs überall kreisförmigen Querschnitt, sie war aber weit von der idealen Kugelform der Trieste entfernt. Da könnte es leichter Ansatzpunkte für eine katastrophale Implosion gegeben haben.

Was auch immer die Untersuchungen ergeben werden, in diesen Zeiten der Mutlosigkeit und der übertriebenen Vorsicht gilt unser tiefer Respekt dem Pionier und Unternehmer, der an Bord seiner Titan ums Leben kam, sowie den Passagieren, die den Mut hatten, ihn zu begleiten. 

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

Foto: U.S. National Oceanic and Atmospheric Administration/ public domain

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MarcusCato / 24.06.2023

Kühner Mut in allen Ehren - aber ebendiese Ihre Überlegungen, Hr. Professor, erwarte ich von jedem Konstrukteur eines solchen Gerätes. Solange keine unerwartete Kollision stattfindet, sind die Kräfte relativ einfach zu berechnen und die verwendeten Materialien - neu oder nicht - labortechnisch zu testen. Wenn man das gewissenhaft macht, sollte das Risiko wie 1960 kalkulierbar sein.

Markus Viktor / 23.06.2023

Von den interessanten technischen Besonderheiten abgesehen, viel Aufhebens um verunglückte Superreiche. Jeder einzelne von denen mir weniger wichtig als jeder einzelne Tote des russischen Spezialkriegs und auch jeder der toten Möchtegernmigranten im Mittelmeer. Wenngleich ich die in ihre Herkunftsländer zurückgerettet sehen möchte, bis auf die wenigen, die sich ex-islamisieren, integrieren und beidseitig nutzbringend mitarbeiten würden.

Johannes Schumann / 23.06.2023

@U. Langer: So ist es. Dieses Karbonzeugs hat Nachteile. Das weiß jeder Radfahrer, der sportlich unterwegs ist. Diese mit Karbonrahmen sind schön leicht, aber wehedem, da gibt es irgendwo einen Schaden. Dann kraft es ganz gewaltig. Nicht von ungefähr setzt sich Karbon nur im Rennradsport durch. Die anderen setzen auf Aluminium und Stahl.

Johannes Schumann / 23.06.2023

Mutig ist es nicht, sondern schlichtweg lebensmüde. Ich brauche es mir nicht errechnen, aber schon die Form des Tauchbootes machte mich skeptisch, weil sie Angriffsstellen bot. Was ich so über Stockton Rush gelesen habe, so hat er alte weiße Männer rausgeschmissen, weil sie alte weiße Männer waren und mit ihrer Erfahrung und Kompetenz ihm Widerworte gab. Da geschah in kleinem etwas, was wir in Deutschland als Großfeldversuch gerade erleben. Es nennt sich Energiewende.

Donatus Kamps / 23.06.2023

Es ist immer der Nachteil neuartiger Technologien, daß sie gefährlich sind. Man testet als Pioniere mit diesen neuen Technologien Grenzen in Material und Technik aus. Es gibt kaum Erfahrung, und die Risiken sind hoch. Die Straße der Geschichte ist “gepflastert” mit toten Pionieren, die bei dem Versuch, Grenzen zu verschieben, umgekommen sind.——- Die Grenze, die diese Pioniere ausgetestet haben, war, wie klein und leicht ein Fahrzeug gebaut werden kann, das bei 400 Bar Außendruck ein Bar Innendruck aushält, und wie schnell das Material ermüdet durch den regelmäßigen Druckwechsel von 0 Bar auf 400 Bar und wieder zurück. Hätte man das Sicherheitsdenken aus der Luftfahrt angewandt, dann hätte man nach jedem Tauchgang mit Ultraschall das gesamte Boot nach Haarrissen abgesucht. Ob dies geschehen ist, weiß ich nicht.——- Das einzige, was man hier wirklich falsch machen kann, das ist, Passagiere darüber im Unklaren zu lassen, in welche Gefahr sie sich begeben, wenn sie mit dem Gerät mittauchen, und sie in Sicherheit zu wiegen. Wäre dies geschehen, dann wäre das ein Fehler. Wurden sie hingegen korrekt aufgeklärt, dann haben sie als Erwachsene eigenständig gehandelt und sind nun den Tod gestorben, den schon vor ihnen viele andere Pioniere gestorben sind.

Hans-Marin Bregler / 23.06.2023

Vor 60 Jahren konnte man noch selbst denken und rechnen. Ich glaube, dass wir diesbezüglich schon sehr viel verlernt haben und noch viel mehr verlernen bzw. vergessen werden. Wenn ich mir Diskussionsrunden im Fernsehen anschaue, muss ich feststellen, dass nur “Sprachwissenschaftler” - ich meine mit diesem Begriff Mitbürger, der Ausbildung überwiegend durch Sprache erfolgt ist, und sie die Sprache auch beruflich anwenden. In solchen Diskussionen werden alle Argumente, die auf naturwissenschaftlichen oder mathematischen Argumenten beruhen, mit Wortschwallen zugeschüttet. Es eine Diskussion, also jemanden überzeugen durch Argumente kann so nicht funktionieren - es findet also überreden statt, vgl. persuadere mit akk bzw. aci. Wenn ich nun lese, dass wohl mittlerweile in 11 Bundesländern Mathematik nicht mehr Pflichtfach im Abitur ist, dann sollte wenigstens noch Deutsch- und Latein Pflichtfach im Abitur sein. Ich vermisse den Umgang mit Logik.

Paul Franklin / 23.06.2023

Vergessen wir nicht, dass die Titan ca. 50 erfolgreiche Tauchgänge in verschiedenen Tiefseegewässern hatte. Vermutlich daher eher ein Wartungsproblem, kein Konstruktionsproblem an sich. Vergleiche könnten mit Challenger oder Columbia gezogen werden. Unglücke, die nicht auf Konstruktion oder Material an sich beruhten. Der Krug läuft zum Brunnen, bis er bricht. Im Falle der Titan leider letzten Sonntag. Allen, die es im Nachhinein immer schon besser gewusst haben, gilt meine uneingeschränkte Hochachtung.

Ludwig Flicken / 23.06.2023

Wer die Titanomachie kennt, wundert sich nicht: den 11jährigen Krieg der Titanen gegen die Olympier der mit dem Untergang der Titanen geendet ist. Das Schwesterschiff der Titanic, die Olympic, hat übrigens mehrere Jahrzehnte überlebt, auch im 1.WK eingesetzt. Zufälle gibts… und dan nennt man das kleine U Boot auch noch Titan.

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