Bodo Ramelow rudert zurück. Am Wochenende hatte er noch den Eindruck erweckt, die Thüringer vom Ausnahmezustand per Allgemeinverfügung befreien zu wollen. Berichterstatter und Bevölkerung sahen schon das Ende von Maskenzwang und Kontaktsperren nahen, wenn der erste Ministerpräsident augenscheinlich aus der Einheitsfront der Regierungschefs aus Bund und Ländern auszuscheren gedachte. Auch freiheitsliebende Nicht-Thüringer, die lieber Gesicht zeigen, als sich zu maskieren, hofften kurzzeitig auf einen Domino-Effekt.
Doch dann hagelte es aus Berlin und diversen Landeshauptstädten sowie aus allen Parteien außer den Linken, der FDP und der AfD harsche Kritik. Mit „Entsetzen“ nahm man zur Kenntnis, wie „verantwortungslos“ und „gefährlich“ da in Thüringen agiert wurde. Aus dem Kanzleramt hieß es, man setze weiter auf ein einheitliches Vorgehen mit weiteren Kontaktsperren, Maskenpflicht und Mindestabstand. Offenbar sollen die Bürger nicht auf den Gedanken gebracht werden, ihnen stünden in absehbarer Zeit wieder ihre vollständigen Bürgerrechte zu.
Dazu möchten sich jetzt wahrscheinlich zu viele politische Verantwortungsträger als Sozialingenieure ausprobieren. Der Versuch, an welche neue Normalität mit mehr Vormundschaft und weniger Selbständigkeit man die Bürger gewöhnen kann, scheint einfach zu verlockend. Dazu braucht man aber den Ausnahmezustand sowie flächendeckende Verbots- und Gebotsregelungen und nicht nur zielgerichtete Maßnahmen dort, wo es wirklich eine konkrete bedrohliche Lage in Bezug auf Covid-19 gibt.
Das Kanzleramt gab am Montag schon einmal das Schrittmaß vor, mit welchen weitgehenden Kontaktbeschränkungen und natürlich dem Maskenzwang nebst Mindestabstand zu den Mitmenschen weiter zu rechnen sei. Konnte Thüringen da bei einem Extra-Kurs bleiben?
Den kleinen Freistaat wieder auf den „richtigen“ Weg zu bringen, darin hat die deutsche Politik durch die Vorgänge nach der Wahl des Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) schon eine gewisse Übung. Manch einer mag gehofft haben, dass der Genosse Ramelow an dieser Stelle auf Ausnahmezustands-Aufhebungskurs bleibt, aber eigentlich konnte man daran nicht glauben.
Grundsätzlich haben die Linken mit Obrigkeitsstaat, Bevormundung und Außerkraftsetzung von Bürgerrechten kein Problem, insbesondere dann nicht, wenn sie regieren. Andererseits ist Genosse zu sehr Ramelow Populist, als dass er nach seiner populären Ankündigung einen einfachen Kurswechsel vollziehen würde. Aber da sich in den Reihen der SED-Erben viele Meister der Dialektik finden, überrascht es nicht, dass Ramelow es vermochte, seinen Kurs zu „verteidigen“ und sich gleichzeitig den Vorgaben der Kanzlerin zu unterwerfen.
Kein "Gesicht zeigen" in Thüringen
Man kann – es geht schließlich um die Verantwortung für all die Maßnahmen mit ihren absehbar verheerenden Folgen – ja nicht oft genug wiederholen, dass allein die Landesfürsten den Ausnahmezustand und die Aushebelung der Grundrechte mittels Infektionsschutzgesetz zu verantworten haben. Das Recht zu entsprechenden Dekreten hat die Bundeskanzlerin nicht, obwohl alle Beteiligten so tun, als sei es so. Die Kanzlerin müsste die Verhängung eines bundesweiten Notstands anstrengen, wollte sie den Ausnahmezustand selbst exekutieren. Aber de facto läuft es dennoch so, dass Angela Merkel die Fäden in der Hand hat und kein Ministerpräsident dagegen aufbegehrt.
Doch zurück zur meisterhaften Ramelow-Dialektik. Er betonte, dass er tatsächlich – wie angekündigt – am 6. Juni keine neue Corona-Allgemeinverfügung im Freistaat erlassen wolle. Vieles könnten die Landkreise und Städte regeln. Aber, so betonte er, ein Ende von Maskenpflicht und Mindestabstand hätte er nie versprochen. Auch ohne eine Allgemeinverfügung könnte das Land gezielte spezielle Verfügungen über die Maskenpflicht in Verkehrsmitteln oder Geschäften erlassen. So bliebe die Gängelung der Bürger in allen wesentlichen Punkten auch in Thüringen erhalten. Wer auf mehr „Gesicht zeigen“ hoffte, wurde enttäuscht.
So marschiert der Freistaat Thüringen wieder mit im Corona-Gleichschritt. Gestern hatte ich an dieser Stelle gefragt, ob Ramelow jetzt den Kemmerich macht. Aber besser trifft doch der Vergleich mit seinem CDU-Kollegen Armin Laschet aus NRW. Der hatte bekanntlich schon vor etlichen Wochen angekündigt, in seinem Land zur Normalität zurückkehren zu wollen. Die Kanzlerin empörte sich seinerzeit bekanntlich über „Lockerungsdiskussionsorgien“ und wie nach einer Orgie, die einem im Nachhinein etwas peinlich ist, wurde Laschet kleinlaut und gab sich mit ein paar klitzekleinen Lockerungen zufrieden.
Dem Genossen Ramelow war es wohl nach einer kleinen Eigenverantwortungsorgie, nun ist er in den Corona-Gleichschritt zurückgekehrt. Doch eines stimmt in seinem Vorgehen dennoch hoffnungsfroh. Der dem Populären nicht abgeneigte Ministerpräsident reagiert nur auf die Stimmungen, die er in der Bevölkerung wahrnimmt. Und jenseits aller Umfragen scheint auch bei den Deutschen die Zuneigung zu Vormundschaft und Unterwerfung nach und nach zu schwinden. Und das immerhin ist keine schlechte Nachricht.