Alexander Wendt / 18.08.2015 / 16:37 / 8 / Seite ausdrucken

Stuss mit lustig: Torsten Albig erklärt die Energiewende

Seit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig Angela Merkel zur gemeinsamen Kanzlerkandidatin von SPD und Union ausrief, genießt der Sozialdemokrat aus dem Norden einige Bekanntheit. Kürzlich erklärte der Regierungschef im „Spiegel“* die deutsche Energiewende. Er versuchte also, genau den großen Plan vorlegen, um den sich Angela Merkel bisher drückt. Wer Albigs Antworten liest, kommt zu dem Schluss: Möglicherweise überlässt die Kanzlerin Details aus guten Gründen ihren Sozialdemokraten. Denn als euphorischer Energiewendebefürworter kommt man zwangsläufig argumentativ ins Stolpern, sobald es um Zahlen und Physik geht.

Albig beginnt seine Darlegung mit einer düsteren, fast schon enigmatischen Schelte:
„Es ist typisch deutsch, dass wir wegen eineinhalb Cent mehr für erneuerbare Energien das ganze Projekt in Frage stellen.“

Leider lässt er offen, worauf sich die „eineinhalb Cent“ beziehen. Jürgen Trittins Versprechen kann er nicht meinen, eine Familie müsste für Grünenergie den Gegenwert einer Kugel Eis im Monat bezahlen, also etwa einen Euro. Die Familieneisrechnung liegt heute bei 240 und nicht bei 12 Euro im Jahr. Vom Energiewendejahr 2011 bis 2015 stieg die EEG-Umlage von 3,53 auf 6,17 Cent pro Kilowattstunde, zu zahlen von allen Stromverbrauchern mit Ausnahme der energieintensiven Industrie. Seit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 zahlten die Verbraucher entweder direkt oder durch feste Verpflichtungen für die Zukunft mehr als 400 Milliarden Euro Subventionen für Windparks, Solardächer und Biogastanks. Zu welchem Endzweck, das macht Albig deutlich:

„Die deutsche Volkswirtschaft stemmt gerade eine heroische Aufgabe, nämlich aus Kernkraft und Kohle auszusteigen, ohne die Industriegesellschaft aufzugeben. Und wir zeigen, wie das geht.“

Aus Kernkraft und Kohle auszusteigen wäre in der Tat ein heroisches Unterfangen. Selbst im Energiewunderland Deutschland fließt nach wie vor 97 Prozent der Energie aus fossilen und nuklearen Quellen. Strom macht ungefähr 20 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus. Aber selbst da stammten 2014 immer noch 43,2 Prozent der Elektrizität aus der Kohleverstromung und 15,8 Prozent aus Kernkraftwerken. Macht zusammen mit Gas immer noch gut 75 Prozent.

Ein paar Zeilen später wird deutlich, wie Albig die große Energietransformation kalkuliert – nämlich so ähnlich wie die eineinhalb Cent mehr:

„In Schleswig-Holstein haben in der Vergangenheit drei Atomkraftwerke jährlich knapp 30 Terrawattstunden Strom produziert. Rund 6000 Windwühlen werden bis 2020 die gleiche Menge Strom liefern. Grünen Strom, der weder unseren Planeten verstrahlt noch das Klima kippen lässt!“

Abgesehen davon, dass die Atomkraftwerke im Norden und anderswo weder den Planeten verstrahlt haben noch das Klima - also die Wetterdaten der letzten 30 Jahre – umkippen konnten, abgesehen davon verwechselt Albig wie fast alle Politiker die installierte Leistung von Windparks mit der produzierten Strommenge. Das ist ungefähr so, als würde jemand von der Motorleistung eines BMW auf die technische Höchstgeschwindigkeit schließen und danach die Fahrzeit von Kiel nach Berlin berechnen. An sehr guten Küstenstandorten kommen Windräder auf etwa 4000 Volllaststunden. Das entspricht einer Jahresauslastung von 46 Prozent. Der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn überschlug einmal grob, welche Zahl an Windräder mit drei Megawatt Leistung nötig wäre, um rein rechnerisch – das Problem der fehlenden Stromspeicher einmal ignoriert – so viel Strom zu liefern wie ein Atomkraftwerk. Das Ergebnis: 6 800 Rotoren müssten aufgestellt werden, um einen einzigen Kraftwerksblock mit einem Gigawatt Kapazität zu kompensieren.

Auch ein bisschen Kritik an der Energiewende bringt Albig an, damit sein Ökoenergielob nicht ganz so werblich ausfällt:
„Heute wissen wir, dass wir den erneuerbaren Energien auch mit weniger Geld zum Durchbruch verholfen hätten. Wir sollten die Fehler, die wir gemacht haben, nicht wiederholen; aber wir können sie leider auch nicht rückwirkend beseitigen.“

Ein paar Milliarden weniger hätten auch gereicht? Den subventionsfinanzierten Zweitporsche des Landverpächters hätte es bei näherer Betrachtung gar nicht gebraucht? Bei jeder kleiner Anpassung der Vergütungssätze in den letzten 15 Jahren stimmte die Grünstromlobby zuverlässig ein orchestriertes Wutgeheul an: Da wurde „die Energiewende abgewürgt“, ein paar Cent weniger Subventionen bedeuteten „Kürzungsorgien“, den Untergang des letzten Eisbären und selbstverständlich Verrat an unseren Kindern, von denen wir die Welt nur geleast haben. Und immer mittemang im Hungermarsch der Sonnen- und Windinvestoren: Politiker der Grünen und der SPD, fest untergehakt mit Greenpeace und Grünstromverbänden.

Nein, rückgängig machen kann Torsten Albig die große Umverteilung der Vergangenheit nicht. Tausendmal schade! Aber er könnte wenigsten jetzt für die Abschaffung der dreistesten Wohltaten für die Grünbarone werben. Warum müssen Stromkunden beispielsweise über die „Offshore-Haftungsumlage“ zwangsweise einspringen, wenn die Projekte auf hoher See nicht laufen wie geplant? In keiner anderen Branche gibt es eine derartige Gewinngarantie bei gleichzeitigem Ausschluss jedes wirtschaftlichen Risikos.  Ganz ähnlich läuft es für Windmüller an Land: Passt der Strom nicht mehr ins überlastete Netz (was durch den Albig und Genossen vorangetriebenen Ausbau immer öfter geschieht), dann muss die theoretisch lieferbare Energie trotzdem zum subventionierten Preis abgenommen und von allen Stromnutzern bezahlt werden. Dieser Phantomstrom nennt sich „Ausfallarbeit“. Für die Nichtenergie zahlten die Deutschen 2014 erstmals über 100 Millionen Euro.

In diesem Sommer fahren die konventionellen Kraftwerke zudem besonders hektisch nach unten, weil sie die Solarstromflut ins Netz lassen müssen, die Vorrang genießt – und sie müssen nach Sonnenuntergang ebenso schnell wieder hochgejagt werden. Nach Angaben der vier Netzbetreiber dürfte dieser so genannte Redispatch, der nur durch den grünen Zufallsstrom nötig wird, etwa eine Milliarde Euro kosten. Darüber, wenigstens die Verbraucher nicht mehr für den Phantomstrom aus Windmühlen abzukassieren und Grünstromproduzenten an den von ihnen verursachten Kosten zu beteiligen, verliert Albig kein Wort. Der „Spiegel“ fragt auch nicht nach.
Müssten Offshore-Windfirmen ihr Risiko selbst tragen, dürften Windmüller an Land nur produzierten Strom in Rechnung stellen und müssten sie sich an Folgekosten beteiligen, dann brächen allerdings massenhaft Kalkulationen zusammen – trotz EEG-Subventionen von gut 22 Milliarden Euro im Jahr.

Möglicherweise stellt Albig ja im Jahr 2020 fest: Hätte man auch günstiger haben können. Aber leider – im Nachhinein kann man nichts mehr ändern. Oder, um es mit Albig zu sagen: „Ja, wenn man aus dem Rathaus kommt, ist man immer schlauer.“

*33/2015

Mehr über die Energiewende und ihre Kosten in:

Alexander Wendt „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ 170 Seiten, E-Book 3,99 Euro, Taschenbuch 9,90 Euro, http://www.alexander-wendt.com

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Leserpost

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Gerhard Keller / 20.08.2015

@Paul H. Ertl: 2000 ist richtig. Mit der von Ihnen angenommenen Auslastung wäre die Zahl sogar deutlich niedriger. Diese Annahme ist aber auch falsch.

Frank Mora / 19.08.2015

Nicht änderbar? In Sachsen hat sich die CDU/FDP-Regierung etwas famoses ausgedacht. Die Kleinwasserkraftwerke bekommen eine Wasserentnahmegebühr berechnet. Neu eingeführt und nach Bau der Turbinen. NUR die Kleinwasserkraftwerke, nicht etwa die Kohleindustrie, die mit ihren Grundwasserabpumpmengen die Flüsse auch chemisch belastet. Die Gebühr ist “gedeckelt” auf maximal 25 % der Einspeisevergütung. Also nicht 25% des Gewinnes, sondern des Umsatzes. Kann man prima die EEG-Zwangsabgabe der Verbraucher ins Staatssäckel umleiten. Findet die SPD in Sachsen in der Regierung prima. Wie wäre es denn mit einer Umweltverschandelungsgebühr für Großwindmühlen? Gedeckelt auf 25% der Stromerlöse? Soll Herr Albig mal bei seinen Genossen in Dresden nachfragen. Bringt richtig Geld…

Paul H. Ertl / 19.08.2015

Falsch, Herr Keller. Man benötigt 2000 Windräder, um die Leistung eines AKWs zu ersetzen, allerdings ist das nicht gleichbedeutend mit dem erzeugten Strom (Arbeit und Arbeit = Leistung * Zeit) Um die selbe Menge Strom zu erzeugen, müßten die Windräder bei gleicher Leistung genau so lange laufen wie ein AKW. Das tun sie aber nicht, die am besten (!) ausgelasteten Mühlchen laufen lediglich 46% der Zeit voll. Die allermeisten Vogelschredder und ihre Betreiber träumen von einem solchen Wert nur (ein Gluck für die Vogel). Insofern sind 6800 Schredder nicht unrealistisch, das entspricht ca. 29% Auslastung.

Raoul Bajorat / 19.08.2015

Die Leistung eines Windrades wird nicht in Megawattstunden angegeben, sondern in Megawatt. Megawattstunden beschreiben keine Leistung, sondern die verrichtete Arbeit (mithin die gelieferte Menge an elektrischer Energie).

Ralf Schmode / 19.08.2015

Für jemanden, der die Energiewende zum zentralen Thema seiner Veröffentlichungen macht, sind Klopse wie “drei Megawattstunden Leistung” peinlich und eine Steilvorlage für die Apologeten der Zufallsstromlobby. Dass die Umrechnung der für den Ersatz eines konventionellen Blocks benötigten WKA auch nicht stimmt, wurde ja bereits in einem Kommentar erwähnt. Meine Rechnung wäre so: Eine WKA liefert im Jahresdurchschnitt vielleicht 20 % der installierten Leistung, also bei einer 3-MW-Anlage 600 kW. Ein Kernkraftwerksblock liefert etwa 1300 MW bei einer Verfügbarkeit von ca. 80 bis 90 %, letzteres hängt davon ab, wie lange der Block jeweils zur Revision (Wartung) vom Netz genommen wird. Man braucht also etwa 1700 WKA, um einen durchschnittlichen (Kern)kraftwerksblock zu ersetzen, wenn man - wie Herr Wendt zu Recht fordert - die durchschnittlich abgegebene und nicht die installierte Leistung zugrundelegt.

Gerhard Keller / 18.08.2015

“...welche Zahl an Windräder mit drei Megawattstunden Leistung nötig wäre, um rein rechnerisch – das Problem der fehlenden Stromspeicher einmal ignoriert – so viel Strom zu liefern wie ein Atomkraftwerk. Das Ergebnis: 6 800 Rotoren müssten aufgestellt werden, um einen einzigen Kraftwerksblock mit einem Gigawatt Kapazität zu kompensieren.” Das ist leider kompletter Unsinn. Man sollte den Irrsinn nicht mit Unsinn beantworten. Der Irrsinn lautet: 2000 Windräder pro Gigawatt-Kraftwerk.

Hans Meier / 18.08.2015

Es fällt auf, dass Albig einen „Lobby-Job“ macht und an Problemen festhält, die es bei einem fairen Wettbewerb der Stromerzeugung gar nicht gäbe. Feste „Vergütungen und garantierte Bevorzugung“ stellen Kartell-Absprachen dar, die durch ein Einspeise-Gesetz pseudo-legitimiert wurden, weil alle Befürworter zu den „scheinheiligen Klima-Profiteuren“ gehören wollen, um die Verbraucher lediglich auszubeuten und für dumm zu verkaufen. Eine bereits vorhandene und preiswert funktionierende Stromversorgung im öffentlichen Volksvermögen der kommunalen Aktionäre, die nach dem „Kostendeckungs-Prinzip“ und nicht unter dem Prinzip der Gewinnmaximierung arbeitete, wurde vorsätzlich durch die Kartell-Absprachen für die Energie-Wende-Profiteure zerschlagen. So wie man z. B. eine zusätzliche, privilegierte Öko-Trinkwasser-Versorgung ja auch politisch mit Kartell-Privilegien ausstatten könnte, um weiteres kommunales Volksvermögen zu entwerten und Finanzmagnaten Renditen zu garantieren, handeln keine Volksvertreter, sondern Scharlatane mit Volksverachtung. Bei dem politischen Personal und dem was sie so anstellen geht es zu wie in einer Bananenrepublik, und wenn es die Gewinnaussichten der Investoren erforderlich machen, dann schaffen Albig & Co die Grundlagen für sichere Renditen in Merkelanistan.

Walter Kowalski / 18.08.2015

Grünen Strom, der weder unseren Planeten verstrahlt noch das Klima kippen lässt!“ Für diesen “Grünen Strom” werden seltene Erden benötigt und die liegen in Radioaktviem Gestein,von der Chemie die man auch braucht um sie zu gewinnen ganz zu schweigen. Einfach mal -seltene erden radioaktiv- bei google eingeben…. Was nun Herr Albig?

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