Die FDP hat es erst jetzt begriffen: Der Anti-Acta-Protest ist eine Freiheitsbewegung, ein ur-liberaler Aufschrei der Internet-Generation gegen Bevormundung, Zensur und Kontrolle im Netz. Bis jetzt verteidigte die Bundesregierung das “Anti-Counterfeiting Trade Agreement”, (Anti-Piraterie-Handeslabkommen) vollmundig - doch nun sind die Liberalen umgefallen. Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger besonders plötzlich. Sie hat offenbar durch die Massenproteste erkannt, dass eine liberale Partei kein anti-liberales Kontrollgesetz durchpauken sollte.
Die Initiatoren von Acta mögen ehrenwerte Motive des Urheberschutzes hegen – sie übersehen aber das die Akzetpanz dieses Wertes in einer schneller werdenden Welt dramatisch sinkt. Die Internet-Generation will es schlichtweg nicht mehr akzeptieren, dass geistiges Eigentum über 70 Jahre hinweg geschützt sein soll. Sie will es nicht hinnehmen, dass Informationen reine Handelsware werden, dass Kommunikation kontrolliert und datengespeichert wird, dass Oligopole den Informationsmarkt beherrschen. Und sie wird Mehrheiten dafür mobilisieren, die Spielregeln neu zu schreiben. Am Ende dieser Entwicklung wird der Urheberrechtsschutz nicht abgeschafft, aber eben liberalisiert.
Acta ist inzwischen wie eine Projektionsfläche für alles Freiheitsfeindliche der Staatsbürokratie, ja ein Synonym für den Gouvernantenstaat geworden. In einer juristisch immer hermetischeren Welt wirkt Acta wie eine Handschelle an der Computer-Tastatur. Tatsächlich ist das Abkommen unter Ausschluß der Öffentlichkeit in zwischenstaatlichen Gremien ausgehandelt worden. Es wird von oben nach unten diktiert, was als undemokratisch wahrgenommen wird. Acta ist dabei durchschaubar von der Urheberrechtslobby mitgeschrieben und wird von der Netzgemeinde wie ein Befehl des Sherriffs von Nottingham empfunden, gegen den man in Robin Hood-Manier angehen müsse.
Acta macht aus Sicht der Protestler die Tür für Netzsperren weit auf, es zwinge Provider in die Rolle von Hilfspolizisten, die den Datenverkehrs gefälligst zu überwachen hätten. Dabei ist es hierzulande überflüssig, denn in Deutschland reichen die bisherigen Gesetze längst aus, um Urheberrechte zu schützen und Piraterie zu bekämpfen.
Die FDP hat darum einen strategischen Fehler gemacht, dieses Thema nicht rechtzeitig zu adressieren. Sie leidet ohnedies seit Monaten, dass die Piratenpartei just in ihrem Kernmilieu von freiheitsliebenden, technikfreundlichen, jungen Tatmenschen wildert. Hinter der Piratenpartei vermuten viele nur irgendeine neue Splitterorganisation linker Protestjugendlicher. Tatsächlich ist ihr Kernanliegen aber nicht links, sondern liberal. Die Piraten wollen in erster Linie Freiheit und Nonkonformismus, nicht Gerechtigkeit und Umverteilung.
Sie bilden damit einen Paradigmenwechsel in der Jugend ab, bei der das genauso ist. Da die Generation Internet den Freitheitsbergiff ernsthaft neu definieren will, unterschätzen herkömmliche Parteien und Politikergenerationen die Wucht dieser Bewegung. Vor allem bei den Liberalen. Wenn die FDP nicht aufpaßt, dann werden die Piraten ihre Nachfolgepartei. Ausgerechnet das Anti-Piraten-Gesetz könnte zum Pro-Piraten-Durchbruch werden.
Zuerst erschienen auf Handelsblatt online, 17.02.2012