Walter Schmidt / 19.11.2007 / 22:22 / 0 / Seite ausdrucken

Stop and Shop

Weihnachten steht vor der Tür, doch während im vergangenen Jahr nur
die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mahnend ihre Stimme gegen eine
Verlängerung der Ladenöffnungszeiten in der Vorweihnachtszeit erhob,
ist ihr die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nun mit Rat und Tat
zur Seite geeilt und hat in der vergangenen Woche vor dem
Bundesverfassungsgericht Klage gegen die in ihren Augen bedenkliche Aushöhlung des
Sonntags durch sog. “verkaufsoffene Sonntage” speziell in Berlin
erhoben. Auch in Sachsen wendet sich die Evangelische Landeskirche gegen die
verkaufsoffenen Sonntage in der Adventszeit, da laut Grundgesetz, Art.
139 der Sonntag ein “Tag der Arbeitsruhe” und der “seelischen Erhebung”
sei, der von der Verfassung ausdrücklich geschützt wird.

Nun käme sicher kein Jude in Deutschland auf die Idee, für den
Samstag einen allgemeinen Ladenschluß zu verlangen, und auch die große
Mehrheit der Muslime hierzulande fände es sicherlich nicht gut, wenn sie
nach dem Freitagsgebet nicht mehr gemütlich einen Tee beim nächsten
Döner-Kebap-Grill um die Ecke trinken oder in aller Ruhe eine
Wasserpfeife rauchen könnten.

Doch all das ficht die Evangelische Kirche in Deutschland offenbar
nicht an. Schließlich muß, wenn man es aus eigener Kraft schon nicht
schafft, die Kirchen am Sonntag mit Gläubigen zu füllen, der Staat in
diesem Punkt seine besondere Verantwortung wahrnehmen und durch die
strikte Einhaltung und Anwendung des ach so fortschrittlichen alten
Ladenschlußgesetzes aus dem Jahre 1956 dafür sorgen, daß alles seine Ordnung
hat.

Soll heißen:

Statt den Sonntag gemeinsam in der Feinschmeckeretage bei KARSTADT zu
verbringen und sich bei einem Gläschen Weißwein und einem Dutzend
französischer Austern näherzukommen, sollten kinderreiche Familien lieber
den Sonntagvormittag bei einem Schluck Traubensaft und einer eher
kargen Oblate in protestantischen Kirchen zubringen. Und statt die Kinder
bei KAUFHOF mit der neuen Playstation spielen zu lassen, sollten
verantwortungsbewußte Eltern eher dafür sorgen, daß ihre Sprößlinge sich
am Sonntag lieber in der kreativen Gestaltung eines
Kindergottesdienstes mit der Sozialpädagogin ihrer Kirchgemeinde erproben.

“Seelische Erhebung” und “Arbeitsruhe” - so lautet die
Weihnachtsbotschaft der EKD für gestreßte Familien und deren Kinder in Deutschland,
speziell in der Vorweihnachtszeit. Wenn man es schon aus eigener Kraft
nicht schafft, die Kirchen am Sonntag zu füllen, so soll der Staat
wenigstens die unliebsame Konkurrenz der Konsumwelt ein für allemal per
Gesetz außer Kraft setzen, und sei es um den Preis eines nachhaltig
gebremsten Wirtschaftsaufschwungs mit dem drohenden Verlust zahlreicher,
z.T. unter erheblichen Anstrengungen der Wirtschaft und des Einzelhandels
neu geschaffener Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich.

Wir erinnern uns:

Schon im Vorfeld von Heiligendamm gab es nicht nur den “Schwarzen Block
der Autonomen”, sondern auch den sog. “Schwarzen Block mit Bäffchen”,
die sich gemeinsam gegen die rein “profitorientierte” Globalisierung
und den “allein selig machenden” sog. “Shareholder-Value” verbündeten
und stattdessen die Überbrückung der sog. “Gerechtigkeitslücke”
zwischen armen und reichen Ländern dieser Erde in der “einen Welt”
verlangten.

Vermutlich kommt sich die EKD mit ihrem Vorstoß gegen eine weitere
Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten unheimlich progressiv, engagiert
und mutig vor, da sie offenbar der Meinung ist, diese ihre Haltung
wende sich v.a. gegen den konsumorientierten “Mainstream” unserer in
zunehmendem Maße allein am Gebot der Profitmaximierung orientierten
Konsumgesellschaft, der sämtliche prä- und postmateriellen Werte mehr und
mehr abhanden zu kommen drohten.

Doch was auf den ersten Blick als ein Ausdruck von “Zivilcourage” gegen
den sog. “Mainstream” erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen
eher als eine Renaissance pseudosozialischer Moralvorstellungen getreu
den “Zehn Geboten der sozialistischen Moral”, wie sie einst von Walter
Ulbricht in der realsozialistischen DDR verkündet wurden. Und nachdem
das elfte Gebot protestantischer Elternhäuser über lange Zeit hinweg
lautete: “Du sollst nicht (zuviel) fernsehen!”, heißt es nun offenbar:
“Du sollst am Sonntag auf gar keinen Fall mit der SONY-Playstation
spielen!”

Aber vielleicht werden bei einem Erfolg der Klage der EKD vor dem
Bundesverfassungsgericht die Kirchen in Deuztschland ja doch wieder etwas
voller. Schließlich können in einem solchen Fall zahlreiche Arbeitslose
im Einzelhandel diesen Tag endlich, wie gewünscht, zur allgemeinen
“seeelischen Erbauung” nutzen. Und vielleicht erlaubt die EKD ja sogar,
daß die Kinder ihre SONY-Playstation demnächst zum evangelischen
Kindergottesdienst mitbringen, um so für ein wenig Abwechslung zu sorgen
und den Spaßfaktor dieser Veranstaltung insgesamt zu erhöhen. Und wenn
dann viellicht noch, wie früher, echter Rotwein zum Heiligen Abendmahl
gereicht wird und u.U. sogar die doch etwas karge Hostie durch eine
etwas opulentere “Amuse gueule” ersetzt wird, braucht einem sicherlich um
die weitere Existenz der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht
bange zu sein.

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