Hubert Geißler, Gastautor / 19.10.2023 / 14:00 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

Schule: Das Ende der Kreidezeit

Ein Monat konzentrierter Deutschunterricht in einer informationstechnisch total renovierten Schule, und ich weiß als Lehrer: Das Whiteboard als Ersatz für die gute alte Tafel wird’s schon richten. Nur meine Religionskollegin und Bald-Rentnerin sagt: Mit ihr nicht mehr! Von der Kreide wollte sie nicht lassen!

Unlängst habe ich mal wieder gearbeitet: einen Monat konzentrierter Deutschunterricht in der Mittelstufe an meiner alten Schule in NRW. Um es kurz zu machen: Lesen konnten meine Schüler alle, Schreiben, na ja, aber wenn man die Nachrichten aus den pädagogischen Schützengräben so hört, ist das eigentlich auch schon purer Luxus. Nicht nur ein Viertel der Grundschüler kann nicht mehr lesen, es wurde auch kolportiert, dass gegen 30 Prozent der Zehntklässler das auch nicht mehr können. Die grundlegenden Fähigkeiten scheinen also mehr ab- als zuzunehmen; die Nachricht, als ich sie las, stammte aus Baden-Württemberg, und der Kommentar der zuständigen Ministerin war, man befände sich da ja noch im guten Mittelfeld: Kein Grund zur Beunruhigung! (Näheres hier.) 

Bei den vielen Katastrophen um uns herum wie Hamas, Ukraine, Wirtschaft, medizinische Versorgung und deren hiesige Agenten wie Lauterbach, Habeck und die fast komplette Politikerkaste tritt das wohl langfristig fatalste Problem, die Bildungskatastrophe, fast in den Hintergrund: Katastrophen muss man sich auch leisten können, und das scheint immer weniger der Fall zu sein.

Genug des Gejammers, denn Rettung scheint in Sicht. Meine Ex-Schule war nun, wie ich feststellen durfte, informationstechnisch total renoviert und auf neuestem Stand. Statt der oft ungeputzten Tafel und der obligatorischen Kreidestücke als Hauptmedium standen nun überall Whiteboards. Für diejenigen, die es nicht kennen: Weiße, internetfähige Tafeln mit Memoryfunktion, die mit Spezialstiften beschrieben werden können, aber auch jederzeit in fast Kinogröße Bilder und Filme aus dem Netz einspielen können.

Ich war durchaus nicht unerfreut. Meine Fächer, Deutsch und Kunstgeschichte, ließen sich dadurch fantastisch aufwerten: Kein Gefummel auf der Suche nach Dias mehr, kein Kabelsalat beim Beamer, alles war auf Knopfdruck da, und wenn ich die richtige Stelle auf dem Touchscreen nicht fand, wussten die Schüler Bescheid. Man war fast in die Lage der Glasperlenspieler in Hesses Roman versetzt: Jede Idee konnte visualisiert werden, alles war assoziierbar. Klar, man musste schon wissen, was man sucht, aber das Problem ist bekannt.

Die Kreide bleibt!

Und nun wird ja allenthalben beklagt, dass die Aufmerksamkeitsspanne heutiger Schüler stark abgenommen hat. Das kann ich bestätigen: Wenn ich einen Ausschnitt aus einem Film des vorigen Jahrhunderts zeige, werden meine Schüler schnell unruhig, wenn in den ersten 10 Sekunden noch keine Bombe explodiert oder etwas Derartiges à la James Bond passiert ist. Das Einspielen von YouTube-Filmchen ist da eine willkommene Abwechslung. 20 Minuten Lehrervortrag, das halten die wenigsten durch.

Da gibt es nun jede Menge Filmchen, zum Teil auch von der Lehrmittelindustrie, mit Kompaktangeboten wie „Barockliteratur kurz gefasst“ oder „Romantik in 10 Minuten“ und dergleichen. Enthüllend sind die Danksagungen ergriffener Schüler, die freudig verkünden, solche Filmchen hätten sie in der Nacht vor dem mündlichen Abitur gerettet und eine Eins verschafft. Man sieht schon, wohin die staatlich verordnete Kultur drängt: Sie ist zum Erfolg verdammt, und drei Sätze zu einer Literaturepoche reichen auch voll aus, um zu reüssieren.

Zufällig kam ich einmal ins Lehrerzimmer, wo mein wie ich schon betagterer Mathematikkollege (Achtung, MINT-Absolvent!) meiner auch vor der Verrentung stehenden Religionskollegin die Funktionen des Whiteboards erläuterte. Wir kamen ins Gespräch. Ich meinte, dass doch in nicht allzu ferner Zukunft die Schulbuchverlage komplette, jeweils 45 Minuten dauernde Whiteboard-Unterrichtseinheiten entwickeln würden, die man eigentlich dann zentral vom Schulbüro aus in den Klassen abspielen lassen könnte, inklusive Zusammenfassung zentraler Lerninhalte und Übungsprogrammen. Die Materialien der Verlage würden sich ja sowieso nach den Prüfungsformaten der Ministerien richten und wären problemlos digitalisierbar.

Also, Lehrermangel adé! Das Whiteboard wird's richten. Die Schule schrumpft auf zentrale Einrichtungen zusammen: Verwaltung, IT-Beauftragte, Hausmeister und Security für den Pausenhof. Lehrer sind eher überflüssig und teuer, und über Sozialpädagogen und Schulpsychologen müsste man reden. Wir lassen ja niemanden zurück.

Meine Religionskollegin schüttelte entsetzt den Kopf und verwies auf das nahende Rentenalter. Mit ihr nicht mehr! Und von der Kreide wollte sie nicht lassen! Mein Mathekollege, ein sehr besonnener Mensch, nickte bedächtig und stimmte mir zu: So würde es wohl kommen, mehr oder weniger. Also, ruhig Blut. Und Schluss mit der Lehrermangelpanikmache. Viva Whiteboard!

 

Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte.

Foto: Pixabay

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Sam Lowry / 19.10.2023

p.s.: Und ein weiterer geplatzter Traum: “Crashtest Lastenrad vs. Fußgänger: Geschwindigkeit und Masse beeinflussen Unfallgeschehen dramatisch”. Rot-grüne Hirngespinste haben eine sehr kurze Halbwertzeit… Betonung auf WERT!

Sam Lowry / 19.10.2023

Prof. Rieck hat auf Youtube ein schönes Video zum Thema “Wieso Smartboards UNFUG sind! | Prof. Dr. Christian Rieck - YouTube”

Sabine Heinrich / 19.10.2023

Ob die Schüler dadurch wohl schlauer werden, mehr nachdenken? Sie kleben doch ohnehin schon ununterbrochen an ihrem Schmartfohn, sehen und hören nicht, was um sie herum passiert, sind marionettenartige gesteuerte Wesen, die einige ihrer Sinne verkümmern lassen (Sehen, Sprechen, Hören, ja sogar den Geruchssinn). Wehe, wenn der Blackout kommt - und er wird wohl kommen - und die Schüler vor dem schwarzen Whiteboard sitzen, ihr Smartphone stumm und dunkel bleibt - und sie aber weder mit Papier, noch Stift umgehen können. - Leider habe ich mir die Quelle nicht gemerkt - es gab vor wenigen Monaten eine norddeutsche Schule, die sich damit gebrüstet hat, dass die Schüler nun keine Hefte mehr bräuchten - es würde alles digital erledigt. Ist doch fein, nicht wahr?

Silvia Orlandi / 19.10.2023

Das Wertvollste das ein Lehrer, ein Arzt, eine Pflegekraft… zu bieten hat ist Zeit und menschliche Zuwendung. Kein Tablet, kein e— Lernen kann menschliche Empathie, Kreativität und Gesellschaft ersetzen.

Emil.Meins / 19.10.2023

Traurig ist eins: man sieht an der Zahl der Kommentare, wie gering Interesse und Bewußtsein für diese Problematik ausgeprägt sind, wobei doch Bildung/Sozialverhalten der Kinder grundlegend für die nachfolgenden Generationen ist. Die negativen Auswirkungen sehen wir doch schon an der aktuellen Politikergeneration nur zu deutlich.

Marcel Skarsgard / 19.10.2023

Nein, es wurde NICHT kolportiert, dass ein Viertel der Grundschüler, bzw. 30% der Zehntklässler “nicht lesen können”. Es war die Rede von Mängeln, bzw. das sich Schüler zunehmend damit schwertun. Natürlich bedeutet dies nicht, dass sie nicht lesen können. Und nein, auch im Jahr 2023 reichen “drei Sätze zu einer Literaturepoche” NICHT aus, um “zu reüssieren”.

Manni Meier / 19.10.2023

Sozusagen, “das Ei des Zuckerberg”: “in nicht allzu ferner Zukunft ... komplette, jeweils 45 Minuten dauernde Whiteboard-Unterrichtseinheiten entwickeln”.  So haben Schöler vor den Lehrern ihre Ruhe und Lehrer vor den Schölern! “Heureka!” rufen da Bill Gates und Genossen im Chor :-)))

Helmut Driesel / 19.10.2023

  Wer mit zehn oder elf heiß auf Wissen ist, da wird es nebensächlich sein, welche Methoden die Lehrinhalte vermitteln. Wer in dem selben Alter schon meint, das Leben könne auch ohne diesen ganzen Kram schön sein, dem werden geduldig bemühte Lehrer vielleicht über die gröbsten Missverständnisse hinweg helfen. Im Grunde haben doch alle auf das Lernen im Schlaf gewartet, da regt man sich doch nicht über solche Zwischenerfolge auf. Das meiste, das man in der Schule lernt, braucht man im Leben nie wieder. Und wenn man es nach Jahren ausnahmsweise doch benötigt, hat man es vergessen. Man hüte sich auch vor größeren Blutergüssen, die nehmen dem Kopf locker zehn Jahre Mathematik und auch mehr.

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