Diese Reise durch das politisch korrekte Absurdistan beginnt aus aktuellem Anlass mit einer Betrachtung über das Phänomen des Altherrenwitzes. Es folgen ein, zwei ebenfalls aktuelle Ausflüge ins Gebiet der politisch korrekten Schuld und Sühne. Und schließlich ein Blick auf die britische Insel, wo das Absurde eine ganz eigene, überraschende Wende genommen hat.
Zunächst aber unser Haupt-Thema, der Altherrenwitz (AHW). Erzählt wird keiner, falls der eine oder andere alte Herr darauf hoffen sollte. Es geht hier ausschließlich um eine analytische Betrachtung. Also, stellen wir uns ganz dumm: Was ist ein Altherrenwitz? Nun, ein AHW ist ein Witz, der von nichtalten Nichtherren als solcher gebrandmarkt wird. Also ein Witz, der auf irgendeinem Index steht, der nicht jedermann zugänglich ist. Quasi eine vatikanische Verschluss-Sache, mit der Folge, dass jedermann jederzeit in die Altherrenwitzfalle tappen und als AHW-Erzähler ins Schnellfeuer der Empörungsgemeinde geraten kann.
Christian Lindner, den in letzter Zeit glücklosen Oberliberalen, hat dieses Schicksal ereilt. Er ist in einem Anfall von zweitklassigem Humor in die teuflische AHW-Falle getappt. Er scheiterte mit dem Versuch, den ungalanten Rauswurf seiner ehemaligen Generalsekretärin Linda Teuteberg auf elegante Weise aufzulockern, indem er vor Parteitagspublikum seine langjährige frühmorgendliche Gemeinsamkeit mit der Geschassten herausstellte. Warum ging das daneben? Weil Lindner ergänzend einem eventuell aufkommenden erotischen Verdacht verbal entgegenwirken wollte, und damit erst recht eine Zweideutigkeit heraufbeschwor.
Im Untergrund noch ein massenhaftes Dasein
In den vergangenen Jahrtausenden menschlicher Normalität und Gelassenheit wäre so ein Ausrutscher als Pipifax abgetan worden. Schlechte Witze gibt’s schließlich wie Sand am Meer. Heute, im Zeitalter rigoroser Strenge aber schlugen die Wellen der Empörung über dem armen Liberalen zusammen. Ein freier Mann, gleich welchen Alters, hätte daraufhin mit der Schulter zucken und sagen können: Ihr könnt mich mal. Ein freier Demokrat mit politischer Ambition muss vor den Anklägern zu Kreuze kriechen, seine Schuld eingestehen und Buße tun. Christian Lindner tat als AHW-Beschuldigter das Notwendige und bedauerte seinen „ältlichen Witz zu Lasten einer Frau.“
Damit beschreib er zugleich, was den typischen Altherrenwitz politisch so unkorrekt macht: Er geht „zu Lasten von Frauen“. So ist es. Die Zielsetzung des AHW, nicht seine womöglich mangelnde Qualität, macht ihn zum verbotenen Genuss, auch wenn er sich im Untergrund noch eines massenhaften Daseins erfreuen mag, sozusagen als Bückware. Aber oberhalb der politischen Gürtellinie hat er sein Dasein verwirkt. Denn die Frau von heute hat sich ein von Humoristen gesäubertes Gehege geschaffen, oder, wie man neuerdings sagt: einen geschützten Raum.
Damit fällt die Hälfte der Menschheit als Gegenstand von Spott und Witz aus. Weshalb der feine Humorist oder der billige Witzbold die einschnürende Wirkung der politischen Korrektheit besonders stark spürt. Inzwischen fragt er sich bang: Darf man wenigsten über Männer noch Witze machen? Die Antwort lautet in Anlehnung an Radio Eriwan: Im Prinzip „ja“. Aber es kommt darauf an, über welchen Mann man Witze reißt.
Sexuelle Orientierung kann die Bewitzbarkeit einengen
Erstens muss die Hautfarbe stimmen. Der alte weiße Mann ist das sicherste Scherz-Objekt und er ist glücklicherweise oft auch derjenige, der eine Dosis Humor am ehestens verträgt und – mit Ausnahme von Donald Trump – nicht gleich wüst los twittert. Witze über farblich anders ausgestattete Männer sind genauso tabu wie Witze, die sich „gegen eine Frau richten“ (Lindner).
Eng verwandt und gleichberechtigt mit der witzbefreiten Hautfarbe ist die ethnische Zugehörigkeit. Ihr Artenschutz gilt – wie im Fall der Hautfarbe geschlechtübergreifend. Wer zum Beispiel, wie neulich Barbara Schöneberger, einen Scherz über das sprachliche Ableben der – genderneutralen - Zigeunersauce wagt, bekommt es postwendend mit dem Empörungspotenzial der Sinti-und Roma-Lobby zu tun.
Auch die sexuelle Orientierung kann die Bewitzbarkeit von Männern einengen. Witze über Schwule sind noch strenger verboten als Witze über Frauen, Nichtweiße oder Angehörige einer ursprünglich aus Indien stammenden, früh nach Europa ausgewanderten Volksgruppe, die herausragende Musiker hervorgebracht hat, vom Jazz bis zum Flamenco. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Die politisch korrekte Grundhaltung zum homosexuellen Mitbürger ist heutzutage uneingeschränkte Begeisterung.
Hier wird es nun ganz ernst, denn es geht um den nicht übermäßig humoristischen Friedrich Merz. Er ist in die Falle mangelnder Schwulenbegeisterung getappt. Zwar hat er die Frage, was er von einem homosexuellen Kanzler hielte, politisch korrekt beantwortet, indem er die sexuelle Orientierung eines künftigen Regierungschefs für irrelevant erklärte. Aber sein Herz war offenbar nicht ganz dabei, weshalb er einschränkend allerlei Unnötiges über „Grenzen“ und „Kinder“ los plauderte. Ein rhetorischer Ausflug, geboren aus innerer Verrenkung. Jetzt hat er den Salat und muss sich in einem PC-Sturm gegen den Vorwurf der verdeckten Homophobie verteidigen.
Hätte er den Sturm vermeiden können? Nein. Der Empörungssturm wäre nicht minder heftig gewesen, wenn Merz seine vermutlich ehrliche Meinung gesagt hätte: Ein homosexueller Kanzler wäre mit Blick auf den Rest der Welt, in der er sich ja bewegen muss, vielleicht nicht ganz ideal. Kurz: Merz saß in dem Moment in der Falle, in dem ihm die Fangfrage gestellt wurde.
Ein anderes Fegefeuer
Tja, Herr Lindner, Herr Merz, Frau Schöneberger, shit happens, wie der Engländer sagt. Oder die Engländerin. Eine der berühmtesten, J. K. Rowling, die Schöpferin der Harry-Potter-Saga, hat sich in ein anderes Fegefeuer begeben. Zunächst durch ein paar Interview-Bemerkungen und jetzt mit ihrem neuen Buch „Troubled Blood“. Ihre spezielle Sünde ist die „Transphobie“. Die was? Die Transphobie, also eine skeptische Haltung gegenüber Männern, die sich in Frauen umarbeiten lassen.
Ja, auch das gibt es, nämlich noch 'ne Phobie, die Trans-Phobie. Als Transphobin ist J. K. Rowling bei politisch korrekten Freundinnen und Förderinnen von Trans-Männerfrauen unten durch. Denn sie vertritt die Meinung, dass Trans-Frauen keine kompletten Frauen sind (keine Menstruation, keine Schwangerschaft etc). Gehört sie also zu den alten weißen Frauen, die mit dem ganzen Genderkram nichts am Hut haben? Nein, sie gehört zu einer völlig anderen Problemgruppe. J. K. Rowling ist ein TERF, ein „Trans-exclusionary Radical Feminist“. Jawohl, eine „Transen ausschließende radikale Feministin“.
Junge, Junge, wer hätte das gedacht. Ein Feministinnen-Krieg zwischen einer Pro-Trans-Fraktion und einer Anti-Trans-Fraktion hat der Welt gerade noch gefehlt. Man kann eben auf unterschiedlichste Weise den engen Pfad der politischen Korrektheit verlassen: mit dummen Witzen (Lindner), mit harmlosen Witzen (Schöneberger), mit unechter, sich selbst entlarvender Coolness (Merz) oder (o boy) als radikale Feministin, die umgebaute Männer nicht als vollgültige Schwestern akzeptiert (Rowling).
Die Fallen lauern überall. Es gibt kein unvermintes Gelände mehr. Darum wird es, meine ich als alter weißer gelegentlicher Witzbold, höchste Zeit, etwas zu tun. Öffentlich bestallte und entsprechend ausgebildete Führer und Führerinnen samt Variant(inn)en sollten all jenen Mitbürgern an die Seite gestellt werden, die sich allein im Irrgarten der politischen Korrektheit nicht mehr zurecht finden. Damit die große neuzeitliche Heuchelei endlich jedem zugänglich wird und nicht nur ein Privileg der Minderheit ist, die sich „woke“ nennen darf.