Die Bildungsministerin kämpft um ihren Titel, ihren Ruf und ihr Amt. Am Ende einer dramatischen Woche hat sie wieder gute Chancen, den Skandal zu überstehen. Fünf Gründe sprechen jedenfalls dafür.
Annette Schavan war vor einer Woche politisch schon am Ende. Die spektakuläre Nachricht über ein vermeintliches Gutachten, das ihr eine “leitende Täuschungsabsicht” bei der Doktorarbeit vorwarf, schien in ihrer Wirkung final. Als Bundesbildungsministerin ist eine akademische Betrügerin schließlich vollkommen unhaltbar. Der Fall Guttenberg drohte sich zu wiederholen, ja schlimmer noch, denn mit Schavan traf es die oberste Bildungsinstanz der Republik, und die Fallhöhe konnte größer nicht sein: Ihr Dissertationsthema war ausgerechnet das Gewissen, und just sie hatte im Fall zu Guttenberg öffentliches Fremdschämen kundgetan. Die Opposition zählte schon die Stunden bis zum scheinbar unvermeidlichen Rücktritt.
Doch nach einer dramatischen Woche sieht es nicht mehr nach Rücktritt aus. Schavan hat inzwischen gute Chancen, die Sache politisch zu überstehen. Und zwar aus fünf Gründen.
1. In der Sache ist der Plagiatsvorwurf kaum zu halten. Nicht einmal entfernt kann der Vorgang mit der Abschreibepraxis in den Textcollagen von zu Guttenberg verglichen werden. Bei Schavans Fehlern geht es im wesentlichen um Paraphrasen von Textquellen, die genannt werden, aber nicht genau genug zugeordnet sind. Eine Läßlichkeit sei das, aber kein Betrug. So zumindest urteilen viele Wissenschaftsexperten den Vorgang. Selbst die hochkritische Wikiplag-Gruppe von Plagiatsjägern sah den Fall nicht als Fall an.
2. Annette Schavan bekommt Rückendeckung aus dem Wissenschaftsbetrieb. Ihr Doktorvater springt ihr ebenso bei wie führende Akademiker aus wichtigen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Selbst Mitglieder aus dem Kreis der wissenschaftlichen Plagiatsjäger wie der Bremer Jura-Professor und Enthüller der Guttenberg-Plagiate, Andreas Fischer-Lescano, nehmen Schavan in Schutz.
3. Die Universität Düsseldorf macht bei der Begutachtung des Vorgangs derart amateurhafte Fehler, dass die Ministerin zuweilen wie das Opfer einer Intrige dasteht. Das hilft ihr nicht nur in der öffentlichen Beurteilung des Skandals. Auch dürfte der Universität inzwischen eine seriöse Verurteilung von Schavan wegen der unseriösen Begleitumstände der Prüfung unmöglich geworden sein.
4. Annette Schavan hat – anders als zu Guttenberg – wenig Feinde in Politik wie Medien. Sie gilt als eine bescheidene und konziliante Fachpolitikerin, die sich vehement für Bildung und Forschung einsetzt, ansonsten aber Konflikte und parteipolitische Auseinandersetzungen meidet. Eher eine Intellektuelle als eine Ideologin. Das Image hilft ihr nun in der Krise, weil viele Politiker wie Journalisten Beißhemmungen haben, und kaum einer die Vernichtung ihrer Integrität wünscht.
5. Der fünfte Grund gegen einen Schavan-Rücktritt heißt Angela Merkel. Die Kanzlerin schätzt ihre Bildungsministerin nicht nur, sie ist ihr herzlich zugetan. Darum wird Angela Merkel ihrer Vertrauten helfen. Nicht so sehr, weil die im Amt und für die Architektur der merkelschen Macht unverzichtbar wäre. Sondern weil die Kanzlerin ihrer Freundin die Ehre retten will.
Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online