Fritz Vahrenholt, Gastautor / 11.04.2022 / 14:00 / Foto: Pixabay / 66 / Seite ausdrucken

Russisches Gas abstellen? Die Konsequenzen

Braunkohle, Kernenergie und Schiefergas (Fracking!) sind die gutmütigen großen Elefanten, die im Raum stehen, um sich von Russlands Erdgas verabschieden zu können. Bedauerlicherweise wurden alle drei verteufelt. Jetzt ist der Jammer groß.

Russland liefert nach wie vor die gleichen Mengen an Erdgas nach Europa und Deutschland. Die Bundesregierung widersteht bislang den allfälligen Aufforderungen, auf den Gasimport aus Russland zu verzichten, weil sie weiß, dass der wirtschaftliche Absturz Deutschlands verheerend sein würde. Die Räder der deutschen Produktionsmaschine würden stillgelegt, nichts würde mehr funktionieren, kaum etwas noch bezahlbar. Warum gerade Deutschland aber so hart getroffen würde, darüber schweigt die Bundesregierung. Es ist der Doppelausstieg der Energiewende, der durch Erdgas plus unstetige Wind- und Sonnenenergie uns so verletzlich gemacht hat.  
 
Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, umso mehr häufen sich die Stimmen, die einen Boykott der Energielieferungen aus Russland fordern. Der erste war der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck (Pension 385.000 €), der einen Stopp der russischen Energieimporte forderte: „Wir können auch einmal frieren für die Freiheit." Bald verging kaum ein Tag, in dem nicht in „Bild" („Schluss mit dem Russen-Gas") oder „Die Zeit" die Forderung nach einem Energieboykott erhoben wurde.

Da wundert man sich nicht, dass die Mehrheit der Wähler der Grünen (71 Prozent), der SPD (56 Prozent), der CDU (55 Prozent) einen sofortigen Energieboykott befürworten. Am Ende fand ein Energie-Embargo die überwältigende Mehrheit des EU-Parlament: 413 Ja Stimmen, 93 Nein Stimmen. Vor diesem Hintergrund ist die Position der Bundesregierung erstaunlich standhaft. Sie weiß, was droht.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat in einem Bericht an den Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages vom 6.4.2022 ein sofortiges Embargo kategorisch ausgeschlossen. Im Bereich Kohle, so der Bericht, mit einer Importabhängigkeit von 50 Prozent, ist eine Umstellung auf andere Lieferländer (z.B. Australien) bis zum Herbst möglich.

Die Vorräte an den Kraftwerksstandorten reicht für etwa vier bis sechs Wochen. Ein früherer Ausstieg als Herbst würde nach etwa vier bis sechs Wochen zu Kraftwerksstillegungen führen.

Die 35 Prozent Erdölimporte zu ersetzen, wird „bis zum Jahresende angestrebt" (S.4 des Berichts). Die Druschba-Pipeline liefert 750.000 Barrel Rohöl, davon 250.000 Barrel durch den südlichen Zweig zur Versorgung von Ungarn, Slowakei und der Tschechischen Republik. Besonders heikel dabei ist, dass die ostdeutschen Raffinerien ausschließlich durch die Druschba-Pipeline beliefert werden. Sie versorgen Ostdeutschland mit Benzin, Diesel und Chemierohstoffen und haben keinen Zugang zu einem Hafenstandort. Durch die nationale Ölreserve wird Rohöl im Umfang der Importe von drei Monaten vorgehalten.

Die Abhängigkeit, in die sich die deutsche Energiepolitik im Zuge des Doppelausstiegs der drei letzten Regierungen Merkel gebracht hat, ist beim Erdgas am gravierendsten. Erdgas deckt ein Viertel des deutschen Energiebedarfs. Mehr als die Hälfte des importierten Erdgases (nur noch 5 Prozent macht die Eigenförderung aus) stammt aus der Russischen Föderation. 38 Prozent werden in der Industrie verwendet (S. 5 des Berichts), 12 Prozent im Gewerbe, 30 Prozent in den Wohngebäuden, 13 Prozent in der Stromversorgung und 7 Prozent zur Fernwärmeerzeugung.

Der „Notfallplan Gas" sieht vor, dass in einer Krisensituation die Bundesnetzagentur die Verteilung des restlichen Gases vornimmt. „Dabei sind bestimmte Verbrauchergruppen gesetzlich besonders geschützt, d.h. diese sind bis zuletzt mit Gas zu versorgen. Zu diesen geschützen Verbrauchern gehören Haushalte, soziale Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser und Gasheizkraftwerke" (S. 6 der Drucksache)

Sollten russische Gaslieferungen ausfallen, so der Bericht, „ist die Sicherstellung der Versorgungssicherheit ab dem nächsten Winter in Deutschland und seinen Nachbarstaaten gefährdet". Im Klartext heißt das, dass die Arbeit von 6 Millionen Beschäftigten in 42.000 Industriebetrieben zum Erliegen kommt. Und zwar nicht nur für drei Wochen, sondern bis zum Sommer 2024, so die Schätzung des Berichtes.

BASF-Chef Brudermüller sieht einen Ersatz des russischen Erdgases realistischerweise erst in vier bis fünf Jahren und warnt vor beispiellosen wirtschaftlichen Schäden: „Wollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören? Das, was wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben? Ich glaube, ein solches Experiment wäre unverantwortlich“.

Auch der Bericht von Robert Habeck sieht selbst bei günstigstem Verlauf – Bau von Flüssiggas LNG-Terminals und Regasifizierungsanlagen (schwimmende LNG-Terminals) von 2022 bis 2024 – noch einen ungedeckten Restbedarf im Jahr 2024 von 10 Prozent, immerhin ein Drittel des industriellen Bedarfs. Allerdings müsste Robert Habeck seine schleswig-holsteinischen Grünen noch überzeugen, denn die gehen mit einer Absage an einen LNG-Terminal in Brunsbüttel in den Landtagswahlkampf: „Schleswig-Holstein braucht kein LNG Terminal." (Wahlkampfprogramm, S. 133).

Die Bundesregierung verschweigt uns, dass auf diesem Pfad ein großer Teil der Industrie nicht überleben wird. Schon vor dem Krieg Russlands hatte Deutschland die höchsten Strompreise weltweit, die Gaspreise waren bereits aufgrund der Energiewende auf das Vier- bis Fünffache gestiegen. Im Vergleich zu den US-amerikanischen Gaspreisen (Henry Hub etwa 20 €/MWh) liegen wir bei 100–150 €/MWh. LNG-Gas war vor der Gaspreisexplosion aber bis zu dreimal so teuer wie Pipeline-Gas. Die Versorgung mit LNG-Gas anstatt mit Pipeline-Gas wird die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie weiter verschlechtern.

Was fehlt, ist das Eingeständnis, dass die Energiewende undurchführbar geworden ist. Der Ausstieg aus der Kohle und dem Rest der Kernenergie hätte 30 bis 50 Gaskraftwerke erfordert (siehe Koalitionsvereinbarung), die durch zusätzliche Gasimporte über Nord Stream 2 beliefert worden wären. Das heißt: Zusätzlich zu den zu ersetzenden Mengen aus Russland müsste noch einmal eine ähnlich große Menge aus Übersee beschafft werden. Heute verbraucht Deutschland etwa 95 Mrd. m³ – 50 Mrd. m³ stammen aus Russland. Der Ausstieg aus Kohle und Kernenegie würde etwa 30–50 Mrd. m³ zusätzlich erfordern. Wo sollen 100 Mrd. m³ herkommen? Das ist mehr als das LNG Aufkommen der USA (61) und  entspricht der gesamten Menge Katars (106)

Dass man nun Wind- und Solarenergie ohne Rücksicht auf die Natur über die deutsche Landschaft ausrollen will, hilft da wenig. In 2021 war der Primärenergieanteil von Sonnen- und Windenergie bei 5,1 Prozent (siehe Grafik meiner letzten Kolumne). Wer sich in der Realität von der russischen Erdgasabhängigkeit verabschieden möchte, kommt an drei Alternativen nicht vorbei:

  • Fortführung und Erweiterung der Nutzung der heimischen Braunkohle, idealerweise mit der in Deutschland entwickelten CO2-Abscheidung
     
  • Fortsetzung der Nutzung der Kernenergie und Reaktivierung der vor 4 Monaten stillgelegten Kernkraftwerke
     
  • Nutzung der 1.300 Mrd. m³ Schiefergas in Norddeutschland und unter der Nordsee

Braunkohle, Kernenergie und Schiefergas sind die gutmütigen großen Elefanten, die im Raum stehen, die aber von Robert Habeck, Christian Lindner und Olaf Scholz übersehen werden. Diese Elefanten gehören uns. Das wäre Energie-Souveräninät. Das ist allemal besser als ein Weg des „Energie-Patriotismus" (Robert Habeck), ein Begriff, der nur notdürftig kaschiert, dass dieser Weg in Richtung 100 Prozent Erneuerbare Energien die deutsche Landschaft und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zerstört.

Dies ist eine gekürzte Version der monatlichen Kolumne von Fritz Vahrenholt auf „Kalte Sonne".

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Klaus Biskaborn / 11.04.2022

Der gemeine Deutsche ( natürlich auch viele unserer Grünen Journalisten und Politiker aller Couleur der Einheitsparteien) versteht es einfach nicht, was passiert wenn man von heute auf morgen auf russisches Öl und Gas verzichten würde. Das ist doch nun wirklich das Unglaublichste. Da sind ja selbst Habeck und Scholz noch einsichtiger. Wie kann ein Volk ( und die oben in Klammer Gesetzten) mehrheitlich nur so verblöden und quasi an der eigenen Haltung ersticken wollen. Ich kann das nicht verstehen! Ein Volk im totalen Rausch des Unterganges?

Torsten Wilde / 11.04.2022

Danke. Wie bekommen wir diese Informationen zügig in die breite Öffentlichkeit?

Harald Unger / 11.04.2022

“Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.” - - - Beim WEF in Davos, dem GAFAT-Kartell in CA und der CCP in Beijing kommen sie aus dem Feiern nicht mehr heraus. Eine ganze Epoche zerlegt sich vor unseren Kuhaugen.

Ludwig Luhmann / 11.04.2022

Der Great Reset nimmt Fahrt auf! ... We will own nothing and we will be extremely unhappy!

H. Krautner / 11.04.2022

„Russisches Gas abstellen?“            Um sich selbst damit zu bestrafen? Wie bekloppt ist denn das! Wie kann man die Belieferung einer Ware abstellen, wenn man bzw. so lange man von dem Lieferant abhängig ist?Dummer gehts nicht mehr. Herr lass Hirn wachsen!          Und wenn wir mangels Gas frieren und die Wirtschaft daniederliegt,      ja, dann wird Putin aus Mitleid mit uns Deutschen sofort den Krieg beenden. So einfach geht Frieden machen!

Dr. Mephisto von Rehmstack / 11.04.2022

@Peter Sticherlinn: die Verantwortliche hierfür läßt sich gerade die Kunstschätze Florenz` in bester Laune vorführen, ein willfähriger Kunsthistoriker hat sich auch gefunden, sie zu führen.  Energiewende, Putin, Ukraine? Nu sind sie halt da; wo gehts zu den Uffizien, wir brauchen doch kein Ticket, oder?  und der Montepulciano war einfach göttlich.

Jochen Grünhagen / 11.04.2022

Ein Kinderbuchautor ist Wirtschaftsminister, ein Kindergärtner Landwirtschaftsminister, eine Trampolinspringerin Außenministerin, Frau Spiegel nach Pleiten, Pech und Pannen heute zurückgetreten. Bei SPD und FDP sieht es nicht so viel besser aus. Wer sagt denn, dass diese Gurgentruppe Deutschland nicht vorsätzlich vor die Wand fährt. Das die zum Jahreswechsel abgeschalteten AKWs nicht wieder hochgefahren wurden spricht Bände. Aber in Umfragen steigen die Werte für die Grünen. Da ist der Buchtitel des Humoristen D.Wischmeyer passend “Das Land der Bekloppten und Bescheuerten”.

Peer Doerrer / 11.04.2022

Danke für den brillant recherchierten Text ,  ich glaube viele Menschen in Deutschland wissen es gar nicht , das so ein gewaltiges Damoklesschwert über uns Bürgern hängt . Die tägliche Gülle der Propaganda der Staatsmedien erstickt jeden Funken der Wahrheit . Bin heute zweimal über Kommentare bei der ” Zeit ” gestoßen , wenn man das liest denkt man die Leute sind völlig Gehirn - gewaschen : ” Benzin ist sau-teuer ,... fahren sie doch langsam oder lassen das Auto stehen ”  ( bei 43 km täglich zur Arbeit ein Hohn ) Lebensmittelpreise steigen fast täglich ... ” Putin ist schuld und Lebensmittel waren immer zu billig ” usw. usw. Als nächstes kommendes Fiasko ist der horrende bis zweistellige Preisanstieg von Milch , Butter und Käse zu erwarten durch die Dieselpreise , mangelndes Futter und fehlender Dünger . ( Quelle Handelsblatt ) .

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