Roger Letsch / 23.04.2022 / 12:00 / Foto: In-bar / 119 / Seite ausdrucken

Ruinen schaffen, mit und ohne Waffen

Soll ich über den Krieg schreiben? Ich wage es kaum, denn alle Vokabeln, die mir dazu einfallen, sind mit dem Fluch des Misstrauens belegt. Nichts, absolut nichts, was man darüber schreiben kann, ist geeignet, einen Konsens über das zu erzielen, was in der Ukraine passiert. Kein Datum, kein Schuss, kein Opfer.

Schreibt man „Krieg“, ist man von den Amerikanern bezahlt, schreibt man „Opfer“, verhöhnt man die verletzten Sicherheitsinteressen der Russen und verbreitet ukrainische Propaganda. Schreibt man „Frieden“, ist man ein Träumer, sagt man „Waffen“, ist man ein Kriegstreiber. Und doch muss ich das alles mal aufschreiben, denn alle diese Widersprüche trage ich auch in mir. In die Welt getragen wird es dann schnell ungemütlich, weil die Zerrissenheit offensichtlich quer durch alle Meinungsteilmengen in diesem Lande geht. Ein weiterer kompromissloser Großkonflikt, ein weiterer Riss.

Glaubt man den Apologeten Putins, rechtfertigt keine Provokation jemals in der Geschichte ein amerikanisches Eingreifen, jedoch jede auch nur empfundene Kränkung oder Bedrohung einen russischen Einmarsch. Amerikanische Kriege seien stets kolonialistische Landnahmen, während russische Panzer nur Ordnung erzwingen, wo Chaos droht. Vermutlich, weil sie direkt zum Ziel rollen können und nicht per Schiff ankommen, wie sich das für Kolonialisten seit jeher geziemt, aber was weiß ich schon. Doch während der russische Präsident, der für die Kamera mit freiem Oberkörper reitet, im Alleingang antike Schätze im Meer findet und nahe Sotchi eine streng bewachte Riesendatscha samt Flugverbotszone besitzt, vielen immer noch als adorabel gilt, verderben seinem ukrainischen Gegenüber Comedy-Karriere, Malibu-Villa und eine Nase voll Koks nicht nur jede Legitimität, sondern es erlischt sogar wie selbstverständlich sein Recht auf Selbstverteidigung und das aller anderen Ukrainer gleich mit.

Nun, zumindest über eines darf sich der deutsche Putinfreund sicher sein: Ihr Idol sieht das genauso. Schließlich gehört der Rücktritt des „Selenskyj-Regimes“ zu den unverhandelbaren „Friedensforderungen“ des Kremlfürsten. Im verunsicherten Deutschland mangelt es nicht an guten Ratschlägen für beide Kriegsparteien, wobei die Bandbreite der Empfehlungen von sofortiger bedingungsloser Kapitulation der Ukraine bis zur Forderung nach direktem NATO-Kampfeinsatz im Donbass reicht. Auch bei der Frage der Legitimität des russischen Einmarsches ist alles vertreten, wenn auch nur wenige so weit wie Putin selbst gehen würden und der Ukraine das Existenzrecht glatt absprechen.

Zu spät, Henne-Ei-Paradoxien zu erörtern

Meist läuft die Verteidigung auf ein wortreiches „selber Schuld, Ukraine!“ hinaus, weil Putin gar nichts anderes übriggeblieben sei, als gegen die „bis an die Zähne bewaffnete“ Ukraine vorzugehen, die sogar erwog, sich atomar zu bewaffnen und durch ihre Affinität für NATO und EU zur Bedrohung Russlands geworden sei. Es klingt ganz so, als empöre sich der Fuchs über die Stacheln des Igels, denn die Frage, was zuerst da war, die Bedrohung oder das Bedürfnis, sich vor ihr zu schützen, ist nicht ganz so leicht zu beantworten wie der Kreml es darstellt.

Es ist zu spät, Henne-Ei-Paradoxien zu erörtern, denn seit zwei Monaten kommt niemand mehr an dem einzig relevanten Fakt vorbei: Nicht die Ukraine hat Russland überfallen, es war genau umgekehrt. Und egal über welchen Aspekt der Rechtfertigung oder über welchen möglichen Ausgang dieses Krieges wir auch reden: Russland ist der Aggressor und nichts rechtfertigt einen Angriffskrieg. Schreiben wir das den Amerikanern nicht seit 50 Jahren bei jeder Gelegenheit ins Stammbuch?

Bei der Betrachtung der Ukraine gehen meiner Meinung nach sowohl Russland als auch die EU von falschen Annahmen aus. Über die falsche Annahme Putins, er würde mit offenen Armen empfangen, ist viel geschrieben worden. Auch Vorauseilendes in der eigenen Propagandaabteilung, wie wir belustigt zur Kenntnis nahmen. Ob Putins Darstellung, die Ukraine sei in toto ein vom Westen gepäppeltes faschistisches Aufmarschgebiet gegen Moskau, wirklich so in seinem Kopf steckt oder nichts als ein Casus Belli der Sorte „Gulf of Tonkin“ ist, um von der Kreml-Propaganda zweckmäßig verwendet zu werden, wissen wir natürlich nicht.

Die Illusionen des Westens liegen jedenfalls in falschen Vorstellungen davon, wie die Ukrainer so ticken. EU-Beitritt, NATO-Beitritt und was alles sonst noch in Aussicht gestellt oder gar beschleunigt werden soll, kontrastieren stark mit dem umfangreichen Katalog an Voraussetzungen, die ein Land erfüllen muss, um in diesen Organisationen Mitglied werden zu können. Keine ungeklärten Gebietskonflikte mit den Nachbarn zu haben, ist nur eine davon. Eine Korruptions- und Oligarchenwirtschaft, die selbst einigen der notorischsten EU-Mitgliedern zur Schande gereichen würde, kommt noch obendrauf auf die Liste der prinzipiellen Hindernisse.

An dieser Stelle rächt sich die schlechte Angewohnheit des Westens, es im ideologischen „Notfall“ mit der Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen. (Sowas könnte man zur Erinnerung an EZB-Chef Draghi auch „Whatever It Takes-Moment“ nennen.) Denn wer heute zur Verteidigung der Ukraine vorbringt, NATO und EU-Beitritt lägen für Kiew abseits aller Versprechen und Anküdigungen rein faktisch noch weiter weg als eine dauerhafte Besiedelung des Mars, dem wird entgegengehalten, dass es die NATO mit ihrem reinen Selbstverteidigungszweck ebenso wenig genau nimmt wie die EU mit ihren Konvergenzkriterien und Verträgen, wenn eine Lüge der vermeintlich guten Sache der expansiven Brüsseler Bürokratie dienlich sei.

Ein ganzes Land als Spielball

Im selben Dilemma befinden sich die Medien, die seit Jahren für jede Panik zu begeistern sind, wenn sie nur dem „Current Thing“ durch absichtsvolles Verbiegen oder Verschweigen von unerwünschten Fakten dient. Dieselben Medien, die ihre Leser seit Jahren mit Klima und Corona durch Albträume jagen, sollen es nun mit der Kreml-Kriegspropaganda nach dem Motto „Ehrlich, diesmal wirklich! Großes Aktivistenehrenwort!“ aufnehmen? Dasselbe Bild des Jammers bietet unsere Politkaste in Berlin und Brüssel, und ich muss schon tief in die Kiste mit den Kalauern greifen, um die Widersprüche auszuhalten: Es ist allemal besser, eine unfähige Regierung zu haben als eine, die zu allem fähig ist.

Doch allzu leicht sollte man es der „Wir-sind-ja-auch-nicht-besser-als-die-Russen“-Fraktion nicht machen, die genüsslich und nicht zu Unrecht darauf verweist, wie sich etwa die Familie von US-Präsident Biden in der Ukraine bereichert hat, als ließe sich daraus irgendeine Rechtfertigung ableiten, warum eine von allen Seiten ausgeplünderte Ukraine nun zu Recht unter das russische Modell der Oligarchie gezwungen werden dürfe. Wäre das denn auch nur einen Deut besser? Ein ganzes Land als Spielball, als Wanderpokal, als Diebesbeute, die nur der eine dem anderen Gangster abjagen würde? Die Ukrainer jedenfalls werden nicht gefragt, ihre Interessen nicht in Rechnung gestellt, und doch erheben sie die Stimme, um zu rufen: „Hallo? Geht’s noch? Können wir bitte später klären, ob wir zu konservativ, zu homophob, zu korrupt oder sonst was sind? Die Russen stehen nämlich gerade in unserem Land und schießen auf uns. Wir brauchen Hilfe!“

Putin, gekommen, um zu bleiben

Gönnen Sie sich das zweifelhafte Vergnügen und lesen Sie aufmerksam den Artikel „Was soll Russland mit der Ukraine machen?“ von Timofey Sergeytsev in der Riu Novosti, liebe Leser. Er ist inzwischen geradezu klassisch, denn er zeichnet ein sehr klares Bild dessen, was Putin die Russen unbedingt wissen lassen wollte. Mein Russisch ist zu eingerostet, um dem Original folgen zu können, doch dank Google-Übersetzer und klarer russischer Grammatik haucht einen auch in der Übertragung ins Deutsche das Absolute an. Auf der einen Seite steht für Sergeytsev das „absolut Gute“, natürlich Russland. Auf der andern die Fratze des Weltfaschismus, der es nur in Russland nicht schafft, Fuß zu fassen. Auf dieser Seite stehen Sie, liebe Leser, und ich und überhaupt alle, die auch nur leise Zweifel am russischen „Frühjahrsputz“ vor dem 9. Mai äußern.

Wer also den Putin eigentlich ganz knorke findet und vielleicht lediglich kritisiert, dass er seine Panzer statt mit dem lateinischen „Z“ doch besser mit einem kyrillischen Buchstaben hätte kennzeichnen sollen, ist schon Feind und muss interniert, bestraft und umerzogen werden. Man möge sich nicht darüber täuschen, welches Maß an Widerspruch Putin gerade noch tolerieren kann, um jemanden in Ruhe zu lassen. Appeasement funktioniert hier nicht. Im Kreml ist man auch nicht besorgt, verärgert oder sogar verängstigt darüber, was der Westen tut oder unterlässt. Man stört sich nur daran, dass es ihn in all seiner Widersprüchlichkeit und brüchigen Allianz überhaupt noch gibt. Was könnte denn folgen auf die „Entnazifizierung“ der Ukraine, die nichts als ein Herzensprojekt des urfaschistischen Westens sei? Ich denke, da kommen Sie selber drauf, liebe Leser. Den 9. Mai feiert man in Moskau jedes Jahr mit einer Parade.

Was heißt das nun für die Ukraine? Ich bin kein Militärexperte und will auch nicht so tun, als könnte ich auch nur im Ansatz beurteilen, wie die Chancen der Ukraine stehen, aus diesem Krieg mittelfristig als funktionierender Staat herauszukommen. Doch sind mir in letzter Zeit einige Floskeln aufgefallen, die von unseren Medien, Politikern und auch einigen Großsprechern auf Facebook und Twitter immer wieder verwendet werden, ohne dass jemand den Gehalt dieser Redewendungen infrage zu stellen wagt. Vielmehr sind sie stets gedacht als finales Argument, eine unbequeme Diskussion zu beenden. Hier einige Beispiele:

Es gibt immer irgendwo eine Minderheit zu verteidigen

„Wann haben Waffenlieferungen je einen Krieg beendet?“

Die Gegenprobe der pazifistischen Vorstellung, dass Kriege nicht von Staaten, sondern von Waffen geführt werden, lässt sich mit einem einzigen Hinweis führen. Ironischerweise betrifft das historische Beispiel ausgerechnet die Sowjetunion, deren Untergang Putin bekanntlich für die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts hält. Denn es war das 1941 unter Roosevelt eingeführte „Leih- und Pachtgesetz“, das es den USA erlaubte, Militärtechnik und Ausrüstung in riesigen Mengen an Stalin zu schicken, damit der im Kampf gegen Hitlers Armeen wieder Boden unter die Füße bekam. Fahrbarer Untersatz der sogenannten „Stalinorgeln“ waren beispielsweise amerikanische Studebaker-Lkw.

„Putin musste einfach handeln und für den Schutz der verfolgten russischen Minderheit in der Ukraine sorgen.“

Das Fürsorger-Argument halte ich für besonders perfide. Doch auch hier haben wir ein Henne-Ei-Problem, für das es auf jeder Seite eine andere Erklärung gibt. Was war wohl zuerst da, der Versuch der Abgrenzung gegenüber einer Bevölkerungsgruppe, die als „unsicherer Kantonist“ gilt, oder das Werben, Umschmeicheln und die „ihr gehört zu uns“- und „ihr seid besser als die“-Lockrufe einer fremden Macht, die gern eine „dritte Kolonne“ hätte, zu deren Rettung herbeigeeilt werden kann? Und bevor Sie jetzt sagen, die ukrainische Politik gegenüber der russischen Minderheit sei kurzsichtig und dumm gewesen, weil man zum Beispiel darauf bestand, dass Ukrainisch die einzige offizielle Landessprache sei, und nun bekäme man eben die Quittung dafür, überlegen Sie kurz.

Würden Sie das auch gelten lassen, wenn Recep Tayyip „Integriert euch nicht“ Erdoğan die freie türkische Republik Köln-Ehrenfeld ausruft oder die libanesische Armee ein Bataillon Heimatschützer ohne Hoheitszeichen zum Schutz der Bevölkerung in Berlin-Neukölln stationierte? Könnte sich die Insel Rügen entscheiden, wieder schwedisch zu werden, weil 51,9 Prozent bei einer Umfrage so votiert haben? Oder noch besser: Lassen wir doch die Südtiroler abstimmen, ob sie wieder zu Österreich gehören wollen! Ist doch egal, was die Italiener davon halten, die sprechen ja kein Deutsch! Und was ist mit der Republik Moldau, deren Präsidentin aus Moskau schon mal zu hören bekommt, sie gehöre in den „Mülleimer der Geschichte“? Es gibt immer irgendwo eine Minderheit zu verteidigen, wenn man das will. Es kommt auf die Definition der „Unterdrückung“ an, die man zu beseitigen wünscht.

„Die ganzen Nachrichten über Gräuel und Kriegsverbrechen der russischen Armee sind nichts als Fälschungen und Lügen!“

Richtig ist, dass im Krieg auf beiden Seiten gelogen wird. Wir haben allen Grund, skeptisch gegenüber Meldungen zu sein, nicht nur gegenüber den russischen. Über die Zeit betrachtet, kann man jedoch schon durch die Anzahl der Meldungen und Quellen eines mit Sicherheit sagen: 1) Den Preis für die russische Invasion bezahlt die ukrainische Zivilbevölkerung mit Leben und Gesundheit. 2) Die Zerstörung der Infrastruktur erreicht örtlich das Ausmaß von 1945 zerbombten deutschen Städten. 3) Es gibt Kriegsverbrechen, auch auf der Seite der Ukraine. 4) Man kann nicht gleichzeitig vor Drittem Weltkrieg und der atomaren Apokalypse warnen und den Ukrainern vorwerfen, sie seien vorwiegend damit befasst, Theateraufführungen von Kriegsverbrechen in Szene zu setzen. Wäre es so, würde man nicht die Lieferung von Waffen, sondern von Schminke und Theaterblut fordern. 5) Ceterum censeo… Russland hat die Ukraine überfallen, nicht umgekehrt.

„Waffenlieferungen an die Ukraine verlängern den Krieg“

Eine belanglose Binse. Man könnte auch sagen, wer früher kapituliert, ist länger besetzt. Oder: „Entschärfe dich!“, sprach der Konflikt zur Mine. „Du zuerst“, antwortete die Mine. Wie so viele dieser Spiegelfechtereien wird auch in dieser Phrase völlig ausgeblendet, was die Ukrainer eigentlich wollen. Damit meine ich ausdrücklich nicht deren Präsidenten, sondern die Soldaten und Freiwilligen, die sich in aussichtsloser Lage verbarrikadieren oder, wie gerade heute, in einem Stahlwerk nahe Mariupol ausharren. Die warten seltsamerweise auf Nachschub und nicht auf den Ruf „Ihr dürft jetzt nach Hause gehen, die Deutschen schicken endlich keine Waffen mehr!“.

„Wenn wir schwere Waffen liefern, provozieren wir Putin zum Atomschlag!“ 

Man sieht es nicht gleich, aber hier ist eine typisch westliche Arroganz am Werk. Gerade bei jenen, die versuchen, ihre tief sitzende Angst vor den Russen in Verständnis und Zustimmung zu verwandeln. Die Gefahr des Einsatzes taktischer Atomwaffen ist tatsächlich gestiegen, doch seltsamerweise funktioniert Putins Abschreckung im Gegensatz zu unserer. Die innenpolitischen Folgen des Einsatzes solcher Waffen in einem Konflikt, der nach eigener Darstellung nicht mal ein Krieg ist und dann auch noch gegen eine Region, die Putin selbst zum „Herz Russlands“ erklärt hat, wären jedoch kaum auszudenken. Vom direkten atomaren Angriff auf die NATO wollen wir lieber schweigen.

Der alte, starrsinnige und kolonialistische Westen

Doch die typisch deutsche Frage, welche Waffen man gerade noch liefern könne, ohne von den Russen als Kriegspartei behandelt zu werden, ist geradezu infantil. Macht es für Putin einen qualitativen Unterschied, ob eine seiner Panzerbesatzungen von einer deutschen Panzergranate aus einem Leopard-Panzer oder einer RPG am Schultergurt ausgelöscht wird? Ist das eine besser, humaner, weniger kriegerisch als das andere? Macht eine amerikanische RPG Putin weniger wütend als eine deutsche?

Und woher kamen eigentlich all die Waffen, die in den Kriegen in Korea, Vietnam oder Irak gegen die USA eingesetzt wurden? Ist nicht Russland einer der größten Waffenexporteure der Welt und seine Waffen überall auch auf Amerikaner, Briten, Franzosen oder auch deutsche Soldaten gerichtet? Ich kann mich ja täuschen, und dann müssen Sie mir das sagen, liebe Leser. Aber mal abgesehen von bösartigen journalistischen Unterstellungen hatte doch selbst unter Trump niemand wirklich Angst davor, die USA würden aus gekränkter Ehre, Angst vor Umzingelung oder, weil einer ihrer Kriege nicht so gut lief und sie dort mit russischen Waffen angegriffen wurden, die Atomkarte spielen.

Der alte, starrsinnige und kolonialistische Westen, der angeblich stets falsch, überstürzt und egoistisch handelt, lässt sich von sowas seltsamerweise nie beeindrucken. Wir streuen unsere Waffen (wie neulich Präsident Biden in Afghanistan) sogar derart großzügig unter unseren Feinden aus, dass wir die Chancen verbessern, von unseren erklärten Feinden mit unseren eigenen Waffen getötet zu werden! In der übersteigerten Angst vor offener Unterstützung der Ukraine wirkt das Vorurteil der gesenkten Erwartungen, selbst bei denen, die großes Verständnis für die Kriegsziele Putins haben. Ich vermute deshalb, dass sich die Zustimmung zur russischen Invasion bei einigen meiner Landsleute weniger aus echter Verehrung oder dem Wunsch nach „ausgleichender Gerechtigkeit“ als vielmehr aus der geringeren Erwartung an die Impulskontrolle der Russen speist.

Und nun?

Habe ich schon erwähnt, wie ratlos ich bin? Es ist Krieg und da sind all meine kleinen Analysen und schlau daherredenden Analysen nichts mehr wert. Ich vermute mehr als ich weiß, kenne weder die Lage vor Ort, noch Pläne der Angreifer und Verteidiger genau, sehe aber die Bestrebungen der Russen, die wahren Ausmaße des angerichteten Schreckens zu vertuschen, wie es alle Aggressoren schon zu allen modernen Zeiten getan haben. Dieser Krieg könnte morgen vorbei sein oder noch Jahre dauern. Entschieden wird darüber einzig und allein in der Ukraine, nicht in Moskau, nicht in Berlin.

Die Zyniker unter den Putinfreunden sprechen gern davon, dass „der Westen die Ukraine bis zum letzten Ukrainer verteidigen“ werde – ein Satz, der wörtlich aus dem Propagandastück der Riu Novosti stammt und die Ukrainer zu willenlosen Handlangern erklärt, die sie aber offensichtlich nicht sind. Für den Anfang wäre es schön, wenn man dieses auch über die deutschen Appeaser Moskaus sagen könnte.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

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Leserpost

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Jens Callsen / 23.04.2022

Und wie erklären Sie den durch die OSZE dokumentierten massiven Beschuss der Donbass Region durch die ukrainische Armee AB DEM 16. Februar. Das vom 24.Februar war die Antwort. Und…. Wer Hat angefangen? Wer hat das Minsker Abkommen blockiert?

T. Bernigau / 23.04.2022

1938: Den „allerletzten territorialen Forderungen“ eines aufgerüsteten Staates geführt von Hitler, der aus seinen imperialen Ambitionen (Lebensraum im Osten) keinen Hehl macht, wurde nachgegeben. Ein Teil Tschechiens - das Sudetenland - geht auf Grund des Münchner Abkommens an das Dritte Reich, weil dort überwiegend Deutschstämmige siedelten. In 1939 annektierte das Dritte Reich - entgegen dem Abkommen -  den Rest Tschechiens, wo ganz überwiegend Tschechen wohnten. Am 1. September 1939 begann der 2. Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen. In der Ukraine - einem souveränen Staat - siedeln auch Menschen, die sich als Russen fühlen. Die Mehrheit der Einwohner der Ukraine tut das nicht. Dies hält Putin nicht davon ab, die gesamte Ukraine besetzen und erneut zum integralen Bestandteil Russlands machen zu wollen. In Litauen, Estland und Lettland siedelt eine beträchtliche Anzahl von Russen. Die drei Länder sind NATO-Mitglieder und waren bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion deren Bestandteil. Fragen: Enden die imperialen Ambitionen Russlands hinreichend sicher vor der NATO-Grenze? Warum soll Russland einen Kriegsgrund benötigen, bevor es NATO-Gebiet angreift, wenn Russland einen solchen für den Angriff auf die Ukraine für entbehrlich erachtete? Warum soll es strategisch geschickter sein, die Ukraine - entgegen dem Wunsch seines gewählten Präsidenten und dem großen Teile der Ukrainer - zwei ehemalige Profiboxer und ein Schauspieler alleine werden wohl kaum über 50 Tage den Angriff Russlands aufgehalten haben - sich selbst zu überlassen, statt die Ukraine Waffen zu liefern, die es der Ukraine erlaubt, Russland Widerstand zu leisten und den Ausgangspunkt für spätere Verhandlungen zu verbessern? Würden es die Unterzeichner des Offenen Briefes an Scholz (Stop von Waffenlieferungen) bevorzugen, wenn Russland Litauen, Lettland und Estland e angreift, ohne dass die russische Armee zuvor durch den Krieg in der Ukraine weiter geschwächt wird?        

Peter Maier / 23.04.2022

Eine Anmerkung sei mir noch gestattet, Herr Lesch. Sie schreiben: Russland ist der Aggressor und Nichts rechtfertigt einen Angriffskrieg. D’accord. Schreiben wir das den USA nicht seit 50 Jahren ins Stammbuch? Ebenfalls d’accord. Aber: Welche Sanktionen hatten die USA unsererseits deshalb zu gewärtigen??

Hjalmar Kreutzer / 23.04.2022

Danke, Herr Letsch, für Ihr Eingeständnis der Ratlosigkeit, mir geht es ebenso.  Emotional steht man menschlich verständlich immer auf der Seite des Angegriffenen gegen den Angreifer. Aber um einen Angreifer in die Schranken zu weisen, muss man dies auch können. Kann die NATO die Russen aus der Ukraine werfen? Kann die NATO Finnland, Schweden, das Baltikum, Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien gegen Russland verteidigen? Wenn man das nicht weiß, bleibt nur der Weg der Verständigung, wie auch immer und so sehr einem das widerstrebt. Weder ein taktischer Vernichtungskrieg noch ein jahre-, jahrzehntelanger Zermürbungskrieg, wie z.B. auch von Sarah Wagenknecht befürchtet, wäre im Interesse der Deutschen, und da ist mir, tut mir leid, das Hemd näher als der Rock. Ich sehe keinen Grund für mich, meine Familie, Kinder und Enkel für die Ukraine zu sterben oder auch nur zu hungern oder zu frieren. Nach einer vertrauenswürdigen Information soll der Grenzübertritt für einen ukrainischen Mann am 26.02.2022 beim Grenzposten 1.000$ gekostet haben, heute vermutlich mehr. Wer die nicht hatte, musste halt ukrainischer Nationalheld werden. Vor deutschen und westeuropäischen Luxushotels parken die Protzlimousinen reicher Ukrainer. Bekannte, die nach Polen zum Einkaufen fahren berichten, dass es dort keine Mängel und Lieferschwierigkeiten gibt, dafür immer noch moderate Preise. Man erzählt uns hier einen vom Pferd. Wieso müssen eigentlich wir Deutschen immer für alles Elend der Welt zuständig sein? Warum nicht die Luxemburger, Liechtensteiner oder Andorraner?

Gottfried Meier / 23.04.2022

Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte. Wenn man das feststellt, muss man nicht unbedingt ein Putinfreund sein. Es gibt für uns keinen Grund schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Es ist nicht unser Krieg und wir sollten uns da auch nicht hineinziehen lassen. Man kann sich freilich moralisch über Putin empören. Das hilft aber auch niemandem weiter. Eines ist sicher: Militärisch wird man den Krieg nicht schnell beenden können. Was bleibt also dann noch? Nein nicht Kapitulation, sondern eine diplomatische Verhandlungslösung.

MARGIT KÄSTNER / 23.04.2022

Selenskiy scheint ihnen keiner Betrachtung wert . Sehr einseitig .  Dazu ein sehr guter Bericht aus dem Jahr 2016 bei Telepolise : ” OHNE HILFE DER USA HÄTTE ES KEINEN STAATSSTREICH GEGEBEN . ” Rückwirkend noch viel verständlicher für das hier und jetzt .

Peter Maier / 23.04.2022

Sehr geehrter Herr Lesch, die Fragen, die sich mir bzgl. des Krieges in der Ukraine stellen, sind: Inwiefern betrifft/bedroht dieser Krieg deutsche Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen? Sicherheitsinteressen sehe ich unter der Annahme bedroht, dass a) der russische Angriff auf die Ukraine ein erster Schritt ist, um Angriffe gegen weitere Länder durchzuführen, welche dann den Nato Bündnisfall auslösen könnten, b) ein militärisches Engagement Deutschlands auf Seiten der Ukraine, welches Deutschland zur Kriegspartei und damit zum potentiellen Ziel russischer Militär Aktionen macht. Ab wann die Lieferung von militärischem Gerät von der russischen Seite als aktiver Eingriff wahrgenommen wird, bleibt abzuwarten. Sind wirtschaftliche Interessen Deutschlands durch den Krieg bedroht? So keine Wirtschaftssanktionen gegen Russland erfolgen kaum, bei Verhängung von Sanktionen, wie dies geschieht, muss zunächst von erheblichen negativen Folgen für deutsche Wirtschaftsinteressen ausgegangen werden. Eine Belastung der öffentlichen Haushalte entsteht auch durch die Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge, deren Zahl noch weiter ansteigen dürfte. In deutschen Interesse läge also eine schnelle Beendigung des Krieges, sowie die Vermeidung von in der Konsequenz eben auch selbst-schädigenden Sanktionen. So keine weitere militärische Bedrohung Deutschlands, der Nato Staaten, die Folge ist, wäre der Kriegsausgang, also ob die Ukraine als souveräner Staat erhalten bleibt oder ob sie erhebliche Gebietsverluste hinnehmen muss für Deutschland von minderem Interesse. Konsequenz aus diesen Überlegungen könnte sein, daß Deutschland sich in diesem Konflikt an der Türkei orientiert, welche es vermeidet für eine Seite Partei zu ergreifen und sich in eine Sanktionsspirale zu begeben. Dass dies aber genau NICHT geschieht, dafür sorgen zahlreiche politische und mediale Akteure im In- und Ausland. Schlussbemerkung: moralische Argumentation bzgl des Krieges halte ich für verzichtbar

holger bemmann / 23.04.2022

Guter Beitrag ! Der Krieg in der Ukraine erinnert mich in manchem an den 2. Weltkrieg. Hitler gegen Stalin: ein Verbrechersystem gegen ein anderes Verbrechersystem. Viele Staaten mussten sich irgendwann für eine Seite entscheiden, Neutralität war nicht mehr praktizierbar. Und darum : egal ob man jetzt nur Flüchtlinge aufnimmt oder Waffen liefert, je eher man seine Position findet gegenüber Kiew und Moskau , desto besser ist man vorbereitet auf die Überraschungen, die noch kommen werden.

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