Wolfram Weimer / 05.08.2013 / 08:28 / 6 / Seite ausdrucken

Rot-rot-grüner Flirt

Für eine rot-grüne Mehrheit wird es bei der Wahl nicht reichen. Nun mehren sich die Stimmen, die das große Linksbündnis fordern: Rot-rot-grün wird zum Wahlkampfthema

Bislang war der Wahlkampf so spannend wie ein Freundschaftsspiel zwischen Bayern München und der Amateurmannschaft des FV Illertissen. Die Verhältnisse schienen klar: Merkel bleibt Kanzlerin, und Steinbrück wird bestenfalls in Fantasialand einmal Kanzler. So klar, dass man in den Sommerwochen gar den Eindruck gewann, es gäbe gar keinen Wahlkampf mehr. Während Politologen noch die “asymmetrischen Demobilisierung” und eine ”systematische De-Eskalation” der Kanzlerin diagnostizierten, stellte das normale Publikum bloß den langweiligsten Wahlkampf aller Zeiten fest. Doch nun rührt sich was.

Aus der einigermaßen verzweifelten SPD wird eine letzte Rakete gezündet – ihre Farben sind rot-rot-grün. Die Sprecherin des linken Parteiflügels verkündet plötzlich, dass man ein rot-rot-grünes Bündnis nicht mehr ausschließen dürfe. “Wir werden das in unserer Partei diskutieren vor dem Ergebnis am 22. September”, kündigt Hilde Mattheis an und öffnet damit das Fenster linker Sehnsüchte. Denn Matthies ist nicht irgendeine Hinterbänklerin, sie ist seit 2005 Mitglied im SPD-Bundesvorstand und stellvertretende Landesvorsitzende der SPD-Baden-Würtemberg. Als Leitfigur der linken SPD-Strömung wirbt sie nun für eine “größere Offenheit meiner Partei für diese Option”. Und sie warnt vor einer Neuauflage der Großen Koaltion. Diese würde die SPD zermürben und viele Parteimitgleider “sich weiter distanzieren” lassen. Kurzum: Sie will lieber mit Gysi als mit Merkel regieren. Damit widerspricht sie zwar der offiziellen Position des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der eine Koalition mit den Linken kategorisch ausschließt. Zugleich spricht sie aber aus, was viele SPD-Linke denken und nun auch öffentlich machen: Deutschland sei reif für das große Linksbündnis, denn nur so werde man Mindestlohn, Mindestrente, Steuererhöhungen, Einheitsversicherung und Eurobonds einführen können.

Frau Mattheis hat mit ihrem Vorstoß das linke Milieu in Deutschland elektrisiert. Während Steinbrück grummelt, überbieten sich die Freunde des Sozialismus in Vorfreude. Die Parteifühung der Linken bereitet sich schon auf “ernste Verhandlungen “ vor. “Wenn es eine Mehrheit diesseits der Union gibt, dann wird es Gespräche über Rot-rot-grün geben. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und werden ernsthaft verhandeln.” Der Parteivize Axel Troost ließ in dieser Woche wissen, das die offizielle Abgrenzung auf breiter SPD-Front bröckele: “Wenn die Kameras aus sind, hört man von SPD und Grünen ganz andre Dinge”. Auch Gregor Gysi und Bernd Riexinger lassen offiziell verbreiten, dass man für Verhandlungen offen sei. Die Abgrenzung Steinbrücks sei ohnedies lächerlich gewesen. Es kommt also Bewegung in das Thema – und schon fallen auch erste linke-liberale Leitmedien in den rot-rot-grünen Tenor ein. Die “Zeit” veröffentlicht plötzlich eine Analyse ihres Politkredakteurs Ludwig Greven unter der Schlagzeile “Holt die Linke aus der Ecke” - ein vehementes Plädoyer für eine rot-rot-grüne Regierung.

Die neue Debatte hat – wenn auch Steinbrück dementiert, was die Rhetorik hergibt – gleich mehrere ernste Facetten. Zum einen liegt Schwarz-gelb nur ganz knapp vor Rot-rot-grün. Diese Option ist also im Bereich des realpolitisch Möglichen und veschafft dem frustrierten linken Wahlkampflager endlich eine motivierende Machtoption. Zum anderen gibt es viele inhaltliche Berührungspunkte der drei Parteien, vor allem nachdem die Grünen in diesem Wahlkampf einen deutlichen Linksruck vollzogen haben. Und drittens zeigen die Erfahrungen aus mehreren Landtagswahlen, dass Koalitonen mit den Linken längst kein Tabu mehr ist. Die SPD hat die Linksprtei gleich in mehrere Landerregierungen aufgenommen, hat sogar die Hauptstadt trotz allerlei Altstasibande Rot-rot regiert, in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg macht man dies bis heute - in Potsdam sogar unter der Ägide eines Ex-SPD-Parteichefs. Für viele Sozialdemokraten sind Regierungen mit Linken also Alltag.

Der größte Einwand gegen die linke Option liegt in der Person Steinbrücks. Ihm darf man auch abnehmen, dass er sich (anders als weiland Andrea Ypslianti) nie und nimmer von Post-Kommunisten und Ex-Stasikadern zum Kanzler wählen lassen würde. Seine Glaubwürdigkeit ist in dieser Frage intakt. Doch was ist, wenn er nach der Wahl bei unklaren Mehrheitsverhältnissen den Weg für einen anderen Kanzlerkandidaten der vereinigten Linken frei machen würde? Zählte dann nicht das Argument vom vermeintlichen “Wählerwillen”, vom “Brückenbauen” und der “strukturellen linken Mehrheit in Deutschland”? Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist davon fest überzeugt: “Sollten Union und FDP nicht wieder eine Mehrheit bekommen, wird es nach meiner festen Übrzeugung eine SPD-geführte Regierung unter Beteiligung der Linkspartei geben”, sagte Schäuble diese Woche und artikulierte damit auch die Sorgen des Kanzleramts. Denn einzig Rot-rot-grün könnte Merkel die Kanzlerschaft wirklich noch kosten. Es wird darum spannend zu verfolgen sein, wer sich in der SPD in den nächsten Wochen wie genau äußert. Die linken Lockerungsübungen haben jedenfalls begonnen, und Hilde Mattheis wirkt nicht allein. Der Wahlkampf ist plötzlich spannend.

Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online

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Katharina Lischko / 05.08.2013

Horrorszenario! Aber leider nicht unwahrscheinlich. Der ungeliebte Steinbrück wird am 23.09.2013 “zurückgezogen”, weil er für das lausige SPD-Waahlergebnis verantwortlich gemacht werden wird und Gabriel und A-Nahles werden sich um den Posten des ersten rot-rot-grünen Kanzlers kloppen, bzw. einen deal aushecken. Dann haben wir eine Regierung die eigentlich nur sehr wenige wollen, mit einem/r Kanzler/in Gabriel/Nahles, die niemand gewählt hat. P.S. in MeckPom regiert zwischenzeitlich die SPD mit der CDU als Juniorpartner und nicht mehr - wie im Artikel zu lesen - mit den SED-Nachfolgern.

Werner Lange / 05.08.2013

Das ist nun mal absolut nichts Neues - dass jemand wie Gabriel mit Freude auf diesen Zug aufspringen wird erscheint mir glasklar. Er ist es ja gewohnt Wahlen zu verlieren und trotzdem davon zu profitieren :-( Das eigentliche Problem stellt dann die AfD dar - kommt sie nicht über die 5%-Hürde sind diese Stimmen verloren und rot/rot/grün als das tatsächlich größere Übel ist dann gewählt…

Arthur Schramm / 05.08.2013

Unter Rot-Rot-Grün geht der Euro dann endgültig den Bach runter und der deutsche Steuerzahler muss ein zweites mal für sozialistische Experimente gerade stehen, da das Kapital endgültig aus Deutschland abwandert und der Mittelstand exekutiert wird. Das ist nicht spannend, eher erschreckend.

Heinz Thomas / 05.08.2013

Die beschriebene Variante ist mehr als realistisch. Die SPD ist zu einem nichtsnutzigen Bonzenverein verkommen. Von der einst stolzen und verlässlichen Arbeiterpartei sind nur noch ein paar Einzelkämpfer übrig geblieben. Die Klientel, die sie vorgeben zu vertreten, ist ihnen piepegal, und Deutschland sowieso. Ist das Pöstchen erst gesichert, dann wird fröhlich losgekichert.  

Dirk Ahlbrecht / 05.08.2013

Schon klar: Nicht die Aussicht und der Wunsch eines Herrn Gabriel, nämlich die Nachrichten der ARD-Tagesschau dereinst von einer Frau mit Kopftuch vorlesen zu lassen (Gabriel: “Dann haben wir gewonnen!”), lässt die Leute weiter auf Distanz zur SPD gehen - natürlich nicht, denn diesen Fortschritt finden die Leute hierzulande alle prima. Man möchte lediglich noch die Frage stellen: “Mit oder ohne Allah u Akbar am Ende der Sendung, Herr Gabriel?!” Nein, es ist die Aussicht auf eine Neuauflage der großen Koalition, die die Leute weiter auf Distanz zur SPD gehen lässt. Schon klar. Nun ja, die Zeiten ändern sich: Ich hätte mir bis zum Wochenende nicht vorstellen können, dass unsere Staatsmacht auf einer Demo in Niedersachsen (geführt von einem SPD-Innenminister), kühle Getränke an jene verteilen lässt, die unsere Polizei zuvor als Nazis-Unterstützer beschimpft hatte.

Sebastian Voigt / 05.08.2013

Stimme vollkommen zu, möchte jedoch auf einen Fehler hinweisen. In Mecklenburg-Vorpommern regiert seit 2006 (!) eine Große Koalition unter SPD-Führung. Vorher gab es allerdings eine achtjährige rot-rote Regierung.

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