Peter Grimm / 06.01.2019 / 14:00 / Foto: Eric Garcetti / 30 / Seite ausdrucken

Relotius: Der Kapitän geht als letzter von Bord

Twitter ist ja eigentlich ein Medium fürs kurze schnelle Statement und wird inzwischen deshalb gern von Menschen genutzt, die viel mitteilen wollen, aber dazu keine Zeit haben. Doch es gibt scheinbar auch Tweets, die erst lange reifen müssen, und wenn sie dann geschrieben sind, auch nicht sofort von der Öffentlichkeit gewürdigt werden.

Einen solchen verbreitete Claus-Peter Reisch, bekannt als Kapitän der Lifeline. Das Schiff machte im letzten Sommer Schlagzeilen, als es in Malta festgehalten wurde, angeblich wegen falscher Registrierung. Medieninteresse zog der Fall natürlich nur auf sich, weil die Lifeline zuvor im Mittelmeer unterwegs war. Und zwar, um Migranten aus ihren unsicheren oder in Seenot geratenen Schleuser-Booten zu retten und sie sicher an ihr nächstes Etappenziel, in einen europäischen Hafen zu bringen.

Reisch war vor seinem Zwangsaufenthalt in Malta tagelang ziellos unterwegs, weil zunächst kein europäischer Hafen seine Passagiere an Land gehen lassen wollte. Auch das ist vielleicht durch ausführliche Berichterstattung seinerzeit vielen noch gewärtig.

Natürlich schrieb auch der seinerzeit hochgelobte Reporter Claas Relotius über den Fall. Und zwar so einfühlsam, dass sich bestimmt viele Leser nachhaltig in ihrer Überzeugung bestätigt sahen, das Wirken eines solchen Kapitäns und seiner Organisation sei enorm wichtig und auch förderungswürdig. Allein der Titel „Der Kapitän weint“ könnte manchen, der – wie der Volksmund sagt – nah am Wasser gebaut ist und sich sofort einen gestandenen Seebären mit Tränen vorstellt, so anrühren, dass ihm die Augen feucht werden.

Nun steht Relotius bekanntlich seit Dezember nicht mehr so hoch im Kurs. Fehlte doch seinen schönen anrührenden Geschichten meist der nötige Wahrheitsmindestgehalt, um noch als Reportage durchgehen zu können. Und alle, die bis dato mit dem Reporter und seinen Werken zufrieden waren und keinen Anlass zur Kritik fanden, distanzieren sich seither von ihm und all den Fehlern, Fälschungen und Fake-News, die ihnen zuvor gar nicht aufgefallen waren.

„Kein Material geliefert“

Manche Erkenntnis muss offensichtlich erst reifen. So könnte es zwischen den Feiertagen auch beim „weinenden Kapitän“ gewesen sein, jedenfalls twitterte er am 28. Dezember 2018:

„Der #Relotius-Text über mich liest sich wie eine literarische Geschichte, die so nicht stattgefunden hat aufgepeppt mit ein paar Fakten, die z.T. auch noch falsch sind. Die Co-Autor*innen können einem dafür leid tun, was aus ihrer Arbeit gemacht wurde.“

Was genau falsch ist, erfahren wir nicht. Dafür gibt es einen kleinen Nachfragedialog auf Twitter zum Artikel.

„Der ist wann erschienen?“, fragt eine Leserstimme. „06. Juli 2018“, antwortet Reisch. Nachfrage: „Ich habe es nicht verfolgt, daher meine Frage: Sie haben ihn jetzt zum ersten Mal gelesen?“ Reisch: „Ich hatte damals keine Zeit, mich damit zu beschäftigen und ließ nur eine falsche Tatsachenbehauptung ändern, die mich vor Gericht in Schwierigkeiten hätte bringen können.“

Aha. Also eine falsche Tatsachenbehauptung ließ er ändern. Aber beispielsweise für einen so gewichtigen Tweet, wie den oben zitierten, fand er keine Zeit? Gut, das kann passieren und wenn die Relotius-Fälschungen nicht aufgeflogen wären, hätte sich wahrscheinlich auch kaum ein Mensch mehr die alte Geschichte vom weinenden Kapitän noch einmal durchgelesen. Doch jetzt war es auch für Kapitän Reisch an der Zeit, sich vom Fälscher zu distanzieren.

Interessant ist sein Schlusssatz: „Die Co-Autor*innen können einem dafür leid tun, was aus ihrer Arbeit gemacht wurde.“

Müssen sie einem wirklich leid tun? Warum haben sie sich gefallen lassen „was aus ihrer Arbeit gemacht wurde“? Bei Spiegel-Online wurden die Relotius-Artikel jetzt alle mit einem Warnhinweis wegen „weitgehender Fälschungen und Manipulationen durch den Autor“ versehen. Bei der Geschichte vom weinenden Kapitän steht ergänzend:

„Für diesen Artikel hat Claas Relotius allerdings kein Material geliefert, sondern lediglich die Teile, die von den anderen Teammitgliedern recherchiert wurden, in der Hamburger Redaktion zu einem Text zusammengefasst.“

Vier Autoren stehen namentlich für das Stück. Relotius hat nach obiger Auskunft selbst nichts recherchiert. Das heißt, die anderen beteiligten drei Kollegen kannten alle Fakten und hätten die Abweichungen demzufolge bemerken können. Aber sie waren sicher auch, wie Kapitän Reisch, zu beschäftigt, um sich darum zu kümmern. Da sei ihnen das Mitleid von Kapitän Reisch gegönnt.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

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Leserpost

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F. Jung / 06.01.2019

Nun, wenn Relotius “nur zusammengestellt” hat, dann wäre es doch inzwischen für die Herrschaften Özlem Gezer, Felix Hutt, Timofey Neshitov ein Leichtes gewesen, ihren (mehr oder minder wahren) Anteil der Story zu separieren und somit Aufklärung zu betreiben. Ich glaube aber, man vertraute erst einmal darauf, dass es keine so hellen Köpfe wie Herrn Grimm gibt, die der Sache auf den Grund bis hin zu den Verursachern gehen.  Der Vogel Strauß soll den Legenden nach ja auch den Kopf in den Sand stecken in der Meinung, so nicht gesehen zu werden.

Leo Hohensee / 06.01.2019

Lieber Herr Grimm, was sich alles so ausgraben lässt. Es kann einem schlecht werden. Eigentlich heißt es doch “mitgefangen = mitgehangen”, nicht aber so in Pressekreisen. Diese ganzen Rosstäuschereien sind von oben zumindest abgesegnet, wenn nicht sogar forciert! Allerdings ist es jetzt politisch klüger, sich nicht schützend vor das “Obergroßmaul, den Obermärchenerzähler” davor zu stellen. Reicht ja auch schon wenns einen trifft! Die Mitbeteiligten der Verfälschungen und Umdeutereien, die Mitwisser der “frei erfundenen Fakten” bleiben ungeschoren. Denn da will man doch lieber keine Grenzen ziehen vonwegen wer gehört dazu und wer nicht. Das ist wie mit einer Suppe im Teller, egal an welcher Stelle der Oberfläche man eintaucht, es wabert bis an alle Ränder. Meine Meinung: Lügenpresse / Lückenpresse alles richtig!!!! Noch mal zum Punkt “was sich alles ausgraben lässt“, bei You Tube gibt es die Aufzeichnung einer Sammlung von Merkelreden aus der Vergangenheit (z.Teil schlechte Bildqualität). Es ist nicht zu glauben was diese Frau heute ohne Scham von sich gibt. Wir müssen sehr aufpassen was sie in ihrer Restregierungszeit noch vorhat. Diese Frau ist skrupellos und gewissenlos ihrem Volk und ihrem Schwur gegenüber.

Claudia Maack / 06.01.2019

Diese Geschichte treibt die ganze Peinlichkeit auf die Spitze. Der „weinende Kapitän“ hat bei dem erfundenen Schrott doch nur die Klappe gehalten , weil die Richtung stimmte und die Story ihm nützte, und die CoAutorInnen brauchen einem erst recht nicht leid zu tun, weil sie die erlebte Wahrheit für die „richtige Geschichte“ geopfert haben. Es ist verständlich, dass Nachwuchsjournalisten alles tun, um auf dem absteigenden Ast der Medienberufe noch einen Strohhalm zu erwischen, notfalls auch mit frommen Lügen. Dass jetzt der Katzenjammer ausgebrochen ist, macht allerdings nichts besser. Die Journalisten sind ja nicht betroffen über die Lüge, sondern darüber, dass sie beim Lügen erwischt wurden.

P.Steigert / 06.01.2019

Die Links-Aktivisten-Presse hat die Massen"Flucht” erfunden und herbeigeschrieben. Es war von Anfang an eine propgandistische Lüge, dass Menschen aus anderen Kontinenten einen akzeptablen Grund haben sollten, bis nach Deutschland “flüchten” zu müssen. Davor erlebten wir schon lange die Lüge, dass Gastarbeiteranwerbung der Hauptgrund für eine angeblich gar nicht stattfindende Islamisierung sein sollte.  Die nachfolgenden Deutschen stehen jetzt vor Aufgabe, die Migration jetzt wieder zurückzuleiten oder ihr Land kaputtgehen zu lassen. Dank der Lügenpresse (sic!) !

Belo Zibé / 06.01.2019

Spekulatius aus der Weihnachtsbäckerei Relotius können eben schwer liegen….

Wilfried Cremer / 06.01.2019

Solche Geschichtenklitterungen sind Symptome des tückischen Medienkrebses, dessen Knoten wie Pausbacken daherkommen.

G. Kothmeier / 06.01.2019

Frage: Özlem Gezer, Felix Hutt, Timofey Neshitov haben einen Badespiegel ?

Gudrun Meyer / 06.01.2019

Bei allem Respekt vor Ihrer Bereitschaft zu Recherchen: warum haben Sie sich die Mühe gemacht, festzustellen, dass eine Qualitätsredaktion normalerweise eine ganze Fälscherwerkstatt ist? Das weiß inzwischen die Mehrheit der Wähler (und bleibt dennoch gefügig, wir sind halt Deutsche …) Viel aktueller als der Fall Reisch ist der Fall “Rechtsextreme Amberger Bürgerwehr”, der von fast allen Qualitätsmedien ausführlich begeifert wurde, ohne dass eine Kleinigkeit auffiel, nämlich, dass die schutzsuchenden Schläger (die übrigens ein Opfer “Nigger” nannten), nachweislich von keiner “Bürgerwehr” an ihrem fröhlich-unbefangen-kulturell bereichernden Verhalten gehindert wurden. Nur T-Online bemerkte diesen Bruch (hatte wohl die Pleite mit dem angeblich montierten, dann aber doch echten Foto im Gedächtnis, auf dem ein Hitlergrüßer ein “RAF” auf der Hand hatte) und ging der Sache nach). Inzwischen ist es erkennbar nicht mehr üblich, Nachrichten zu überprüfen; auch so trübe Quellen wie die berüchtigte “antifa zeckenbiss” werden bedenkenlos genutzt.

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