Poesie mit und ohne Farbe – the Hill we Climb

Mit Spannung – naja, es geht so – haben die Menschen, die schon länger hier sind, auf die deutsche Übersetzung des inzwischen weltberühmten Gedichts „The Hill We Climb“ gewartet. Jetzt ist sie frisch auf dem Markt. Warum die – naja – Spannung? Nun, „The Hill We Climb“ ist ein schönes Gedicht, aber international aufregend ist es erst geworden, seit zwischen woken und unwoken Kreisen ein Streit darüber entbrannt ist, über welches optische Profil, über welche Identität Menschen, die mit der Übersetzung beauftragt werden, verfügen müssen.

Traditionell macht man sich bei der Übersetzung eines Gedichts eher Gedanken darüber, wie gut die Übersetzung ist. Wird sie dem Original gerecht oder nicht? Ein Gedicht kongenial zu übersetzen, gehörte zu den stolzesten Leistungen der Branche. Solche Innerlichkeiten sind heute offenbar Sekundärtugenden. Entscheidend ist, dass die äußere Erscheinung der übersetzenden Person stimmt.

Amanda Gorman (23) hat, als sie ihr Inaugurations-Gedicht „The Hill We Climb“ vor dem US-Kongress vortrug, allerdings beides auf sich vereint. Sie hat aus Anlass der Amtseinführung Joe Bidens hinreißend gedichtet, elegant vorgetragen, und sie gab dabei eine Figur ab, die sie sogleich zur Stil-Ikone machte. Jung, schön und in strahlendes Gelb gekleidet. War da sonst noch was? Ach ja. Die junge Dichterin ist eine afroamerikanische, eine dunkelhäutige Schönheit.

Nicht den Erlebnis- und Erfahrungs-Horizont der Weiblichkeit

Und das ist das große Thema dieser Tage. Es wurde nicht nur der holländischen Booker-Prize-Gewinnerin Marieke Lukas Rijneveld zum Verhängnis, als sie den Text der schwarzen Poetin ins Niederländische übersetzen sollte. Sie hat zwar das richtige weibliche Geschlecht, aber die falsche, helle Hautfarbe und ließ nach einem Shitstorm die Finger davon. Der katalanische Übersetzer Victor Obiols warf nicht selber das Handtuch, es wurde ihm in den Ring geworfen. Die Begründung seines Rauswurfs, er habe „das falsche Profil“, lässt sich so ins Allgemeinverständliche übersetzen: falsche Hautfarbe, falsches Geschlecht. Und so einer darf sich, wie es scheint, heutzutage nicht am Gedicht einer dunkelhäutigen Frau vergreifen.

Zwar geht es in der Woke-Community vorrangig um die Hautfarbe, aber nicht nur. Zum „richtigen Profil“ gehört auch das richtige Geschlecht. Da könnte es einigen großen Schriftstellern posthum noch an den Kragen gehen.

So hat Theodor Fontane einen Roman über eine Frau namens „Effi Briest“ geschrieben, obwohl er selber keine Frau, sondern nachgewiesenermaßen ein Mann war. Das gleiche kann über Leo N. Tolstoi gesagt werden, der nicht davor zurückschreckte, eine gewisse „Anna Karenina“ dichterisch ins Leben gerufen zu haben. Als Dritter im Bunde sei noch Gustave Flaubert mit seiner „Madame Bovary“ erwähnt. Sie und andere mehr haben über Frauen geschrieben, obwohl sie selber – in der Sprache der Wokeys – nicht den Erlebnis- und Erfahrungshorizont der Weiblichkeit besaßen. 

Auch Poetinnen können sich ihre Fans nicht aussuchen

Dass die drei Herren trotz dieses eklatanten Mangels an Identität die von ihnen beschriebenen Frauen zu Gestalten der Weltliteratur gemacht haben, ist sicher eine Herausforderung für Identitäts-Fanatikerinnen. Dazu kann man sagen: Was kümmert die Verblichenen die Aufregung der heute Lebenden. Aber die, die heute leben, dichten und übersetzen, hocken mittendrin im Sturm.

Man durfte also, wie eingangs erwähnt, gespannt sein, wie die Übersetzung des berühmt gewordenen Inaugurations-Gedichts der jungen Schwarzen ins Deutsche gemeistert und aufgenommen wird. Zum Glück haben wir als Einwandererland inzwischen ausreichend Personen mit einigermaßen akzeptabler Identität zu bieten. Mit der Übersetzung des Gedichts „The Hill We Climb“ wurden bei Hoffmann und Campe die Autorinnen Kübra Gümüsay, Hadija Haruna-Oelker und Uda Strätling betraut.

Das klingt vielversprechend und nach deutscher Gründlichkeit, gepaart mit schlauer Abwehrtaktik: Drei Übersetzerinnen sind schwieriger abzuschießen als eine Einzelkämpferin. Vor allem aber: Zwei von ihnen können mit einem schönen Migrationshintergrund aufwarten, eine sogar mit dunkler Hautfarbe. Damit ist die Rassenfrage zwar nicht umfassend gelöst, aber doch stark gemildert. Entspannend dürfte auch wirken, dass hier gleich dreimal das korrekte Geschlecht in die Waagschale geworfen wurde.

Dass Amanda Gorman selber kein Problem damit hatte, von einer hellhäutigen Holländerin übersetzt zu werden, sollte der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Auch Poetinnen können sich ihre Fans nicht aussuchen und müssen mit deren Eigenheiten leben. Zum Schluss noch diese Bemerkung: Es ist kein Zufall, dass der amerikanische Titel des Gedichts in diesem Text nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Es hat damit zu tun, dass der Schreiber ein weißer Mann ist, also nicht das richtige Profil für ein solches Unterfangen hat.

Foto: Chairman of the Joint Chiefs of Staff from Washington D.C CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Uta Buhr / 02.04.2021

Dass man um dieses armselige, an Kitsch kaum zu übertreffende Machwerk einen solchen Wirbel veranstaltet, ist mir unerklärlich. Na klar, die Autorin ist Schwarze/Afro-Amerikanerin. Das erklärt im Zeitalter des Antirassismus alles. In einer der zahlreichen (unautorisierten) Übersetzungen ist allerdings hier und da noch ein Fünkchen Poesie enthalten. Wenn ich prominent wäre, würde ich meinen Namen wegen dieser kulturunsensiblen, zudem mega-rassistischen Äußerung bestimmt auf der Liste der Ausgestoßenen wiederfinden. Jene, die bereits darauf stehen, sollten dies als Ritterschlag verstehen.

Florian Bode / 02.04.2021

Es tut mir ja so leid, aber Gedichte und Dichtende sind mir gänzlich egal.

Hjalmar Kreutzer / 02.04.2021

Zwei woke Quotentussies, die noch nie übersetzt haben, werden der professionellen Übersetzerin vor die Nase gesetzt, während diese vermutlich die eigentliche Arbeit macht und den ganzen Affenzirkus mitmachen muss, um den Auftrag nicht zu verlieren. Rassismus und kulturelle Aneignung werden wieder mal nur Weißen unterstellt. In nicht ganz so gebildeten „Bevölkerungen“ (Gauck) blicken Türken auf Araber herab und Türken und Araber wiederum auf schwarze Afrikaner, ohne dass sich hierzulande einer darüber alteriert. Wenn man für das eigene Selbstwertgefühl auch nichts anderes hat, weiß, kann oder ist, bleibt nur das Herabsetzen von anderen. Im Struwwelpeter taucht der große Nikolas die bösen weißen Buben in das schwarze Tintenfass, weil sie den „armen schwarzen Mohr“ drangsaliert haben und so für ihren Rassismus bestraft werden. Das dürfte die woke Community aber nicht davon abhalten, den Struwwelpeter wegen der „rassistischen“ Worte „schwarzer Mohr“ und der schwarzen Pädagogik culturally zu canceln. Andrew Onegbu, der Wirt vom Kieler „Mohrenkopf“ hat gerade voll in der Küche zu tun und wie die meisten mit richtiger Arbeit Befassten keine Zeit, sich mit solchem Quatsch zu beschäftigen.

Michael Lorenz / 02.04.2021

Dabei hätte ich doch für unsere triggerempfindlichen Wokies eine elegante Lösung parat gehabt - aber mich hat ja keiner gefragt: nicht männlich, nicht divers, nicht weiblich; nicht schwarz, nicht weiß, sondern völlig farbfrei; keiner Ethnie angehörig und somit vollkommen über jeden noch so irren Verdacht erhaben: www.babelfish.de! Und kostenlos wäre der Tipp auch noch gewesen - abgesehen davon, dass ich mich über dergleichen nur noch köstlich amüsieren kann. Satire hat ausgedient, Nachrichten aus Wokistan schlagen alles!

Peter Merbitz / 02.04.2021

Ich fühle mich fürchterlich getriggert und beschmutzt, da J.K.Rowling als Frau den Harry Potter geschrieben hat. Dabei ist sie nicht mal eine Hexe - so weit ich weiß. Oh je, ich habe “weiß“gedacht.

Hans Reinhardt / 02.04.2021

Auch ich habe natürlich ein Gedicht zu Bidens Installation geschrieben. Es ist wunderschön und geht so, Räusper, Ähem: “Heil Dir nun, Präsidentengreis, Dein Blick so mild, Dein Haar so weiß/Erretter vor dem bösen Donald, doch Deine Stunde, die schlägt auch bald/Dort oben in des Schädels Kammer, da herrscht bei Dir nur großer Jammer/Oh, edle Heimstatt der Gedanken, Spinnweben sich in dir nun ranken/Nur Stottern noch, hilfloses Zagen, die schwarze Frau kann es bald wagen/Hinweg mit Dir dann, alter Mann, weil sie nun alles besser kann/Du alt, sie jung, Du weiß, sie black, und schwuppdiwupp, gleich bist Du weg!” Schnief,  Entschuldigung, es rührt mich immer noch jedes mal zu Tränen. Übersetzen muss Joe Biden es sich aber selbst, schließlich sind wir beide alte weiße Männer.

Johannes Schuster / 02.04.2021

Gut, ich liebe Kehrwertdebatten: Wenn ein Weißer keine schwarze Poesie übersetzen darf, dann gilt ja wohl nach den Gleichheitsgrundsatz Art. 3 GG auch der juristisch umgekehrte Fall als legitimiert: Was soll das seine Botschaft sein, “kein Goethe für Neger”, “keine Martin Luther King für Weiße”, weil schwarz ? Ich hasse diese im Kehrwert offenbar werdende Apartheidsscheiße. Das ist Rassismus und zwar in der Wertvorstellung von Segregation, die hier nur von linken weißen Söhnen und Töchtern von Sklaviereiprofiteuren ausgeht. Interkulturelle Dialoge funktionieren nicht, wenn der Weiße dem Weißen mit Moral über den Rücken zieht, wer den Schwarzen übersetzen darf. So erhebt sich der bigotte Weiße über die Welt der Schwarzen und pfercht sie ein, nur schwarz unter schwarzesgleichen sein zu dürfen. Das ist nämlich das Ende dieser weißen - linksradikalen Psyche, ein schwarzes Proletariat für die Faulheit der Weißen mit der Moral zu arbeiten unter der Lüge nun gleichberechtigt zu sein: Willkommen im 18. Jahrhundert ! Die Kraft, die stets die Gleichheit heuchelt und stets die Pferche schafft.

Markus Hahn / 02.04.2021

Hinreißend gedichtet? Auch am Karfreitag darf man lustig sein. Danke dafür!

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