Stefan Frank / 25.02.2019 / 15:00 / 22 / Seite ausdrucken

Oscar-Bericht: Spiegel-Online like a Rolling Stone

Hat der Kulturredakteur von Spiegel online seine politisch korrekten Ansichten zur diesjährigen Oscarverleihung teilweise aus dem linken amerikanischen Lifestylemagazin Rolling Stone kopiert? Gleich am Morgen nach dem Mediengroßereignis – die Entscheidung, den Film Green Book mit dem Oscar für den besten Film (Academy Award for Best Picture) auszuzeichnen, liegt erst rund vier oder fünf Stunden zurück – geht Andreas Borcholte, der Ressortleiter Kultur von Spiegel online, in einem auf der Spon-Website zunächst prominent ganz oben platzierten Beitrag hart mit der die Auszeichnung vergebenden Academy ins Gericht: Sie habe den falschen Film gewählt; einen, dessen Macher den neuesten, hippesten politischen Diskurs der Linken gar nicht mitbekommen hätten. Borcholte schreibt:

Hätte es doch ein neues "Envelopegate" gegeben! Zu gern hätte man am Ende der 91. Oscarverleihung erlebt, wie sich Julia Roberts, die den Preis für den besten Film präsentierte, kokett korrigiert - und dann doch "Roma" als Gewinner ausruft. Oder "BlacKkKlansman". Oder "The Favourite", selbst "Bohemian Rhapsody" wäre irgendwie okay gewesen. Aber nicht "Green Book". Es fühlte sich ein wenig so an wie 2006, als der seifige Episodenfilm "L.A. Crash" gegen das revolutionäre - und rührende - Liebesdrama um zwei Männer "Brokeback Mountain" gewann: ein reaktionärer Schlag gegen die progressiven Kräfte in Hollywood.

Borcholte rügt, dass der Gewinnerfilm sich nicht auf die richtige, zeitgemäße Art mit dem Thema des Rassismus beschäftige (und deshalb nicht hätte ausgezeichnet werden dürfen), weil er seine Geschichte – „eine wahre Geschichte über Rassismus in den US-Südstaaten der frühen Sechzigerjahre“, so Borcholte – nämlich „vorrangig aus der Perspektive des "White Saviour" erzähle. (Anmerkung: „White saviour“ oder weißer Retter meint einen weißen Charakter im Film, der in der Handlung Menschen, die dunklere Haut haben als er selbst, etwas Gutes tut, wie etwa Old Shatterhand. Das ist aus progressiver Sicht abzulehnen).

Er sei ein „Publikumsfilm der altmodischen Hollywood-Schule, von Weißen für Weiße gemacht“. Das belegt Borcholte mit etlichen Sätzen, die noch etwas anderes gemein haben, als dass sie dem Werkzeugkasten der Kritischen Weißseinsforschung entstammen: Die Behauptungen und Argumente sind zum großen Teil, ohne Nennung der Quelle, aus dem Rolling Stone kopiert, teilweise wörtlich. Darauf machte gleich einer der ersten Spon-Leser, die einen Kommentar hinterließen, aufmerksam: 

Ich würd den Kommentar für ziemlich gut halten, wenn ich nicht gestern dasselbe fast 1:1 im amerikanischen Rolling Stone gelesen hätte… https://www.rollingstone.com/movies/movie-features/oscars-2019-what-does-it-mean-if-green-book-wins-best-picture-795587/ Das Internet ist schon ne bitch, wa? :)

Tatsächlich zeigt schon ein flüchtiger Vergleich eine weitgehende Übereinstimmung beider Beiträge, was die Argumente und das Vokabular betrifft. Hier sind die zentralen Thesen und die entsprechenden Stellen im Rolling-Stone:

1. These: „Ein gutes, ein wichtiges Thema…“

Spiegel online: „Mit der Wucht von Viggo Mortensen und Mahershala Ali in den Hauptrollen erzählt [Green Book] eine wahre Geschichte über Rassismus in den US-Südstaaten der frühen Sechzigerjahre, eigentlich ein gutes, ein wichtiges Thema.“

Rolling Stone:No one should question Farrelly’s honorable intentions…“

2. These: „White saviour“: Geschichte wird aus der Perspektive eines Weißen erzählt, statt, wie es richtig wäre, aus der eines Schwarzen.

Spiegel online: „Aber Green Book erzählt diese Geschichte eben vorrangig aus der Perspektive des white saviours Vallelonga und dringt kaum in die existenzielle Krise des afroamerikanischen Musikers Don "Doc" Shirley ein, dessen Chauffeur und Bodyguard Tony Lip auf der Tour durch den deep south ist.“

Rolling Stone: Green Book nonetheless continues a frustrating, persistent habit of white filmmakers attempting to depict American racism, often from the perspective of an unaffected white protagonist. Tony Lip is Green Book’s main character, just as Jessica Tandy’s Daisy is the lead in Driving Miss Daisy. Even if they’re not those films’ saviors, per se, we learn about bigotry through their eyes — it’s something they come to realize is a scourge, as opposed to their African-American cohorts, who have to endure it.

3. These: Versöhnung.

Spiegel online: „Stattdessen strickt der Film eine versöhnliche, für Weiße sehr beruhigende Mär, dass sich mit ein bisschen gegenseitigem Verständnis und Empathie der verdammte Rassismus schon erledigen wird.

Rolling Stone:A distressing, recurring Oscar trend continues apace, which is that the Academy prefers these stories of racial healing told from a safe, white distance.

4. These: Green Book wäre viel besser, wenn er so wäre wie BlacKkKlansman von Spike Lee.

Spiegel online: „Anders als der nicht minder massenkompatible, aber weitaus schärfere ‚BlacKkKlansman’ von Spike Lee stellt ‚Green Book’ keinerlei Verknüpfungen zum immer noch sehr aktuellen Konflikt um Rassismus in den USA her.“

Rolling Stone:But unlike Spike Lee’s BlacKkKlansman — the Do the Right Thing to Green Book’s Driving Miss Daisy — which prefers militant resistance and a skeptical outlook, Farrelly’s film views social ills as eminently curable, tidily resolving its tensions rather than giving them back to the audience to further ponder their complexities.“

5. These: Green Book ist ein „Crowd-Pleaser“.

Spiegel online:Green Book ist ein Crowd-Pleaser, ein Publikumsfilm der altmodischen Hollywood-Schule, von Weißen für Weiße gemacht.“

Rolling Stone: It’s worth acknowledging that many people enjoyed this crowd-pleasing comedy-drama

6. These: Hollywood ist zwar auf dem Weg des Fortschritts, doch dieser Oscar wird noch zu Diskussionen führen.

Spiegel online: „Aber Hollywood, so sehr es sich auch im Aufbruch befinden mag, hat noch einen weiten Weg vor sich. Das zeigte sich an diesem Sonntagabend durch den überraschenden Gewinnerfilm, dessen Oscar-Triumph sicher noch für Diskussionen und Kontroversen sorgen wird.“

Rolling Stone:Yes, no large voting bloc is perfect or uniform — and it’s unfair to paint with too broad a brush when discussing the Academy’s disparate members. But if the bulk of them think Green Book is the most vibrant or challenging work that their art form produced in 2018, it’s more than fair to question their judgment. And their taste.“

Als Journalist liegt es mir fern, den Kollegen dafür zu schelten, dass er einen großen Teil seiner Hausaufgaben abgekupfert hat. Um neun Uhr morgens einen Artikel abliefern zu sollen zu einem Ereignis, das erst um fünf zu Ende gegangen ist, ist eine Zumutung. Was sagt die Berufsgenossenschaft dazu, ist das überhaupt erlaubt? Wie Claas Relotius ist auch dieser Fall zudem ein Beleg für die unmenschlichen Arbeitsbedingungen beim Spiegel. Es wird Schwachsinn in einem Reinheitsgrad gefordert, den nur wenige Textproduzenten aus eigenem Unvermögen erreichen. Wer solch einen Quark nicht selbst anrühren kann, muss ihn eben von anderen holen.

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Michael Scheffler / 25.02.2019

PS: wo ist das Problem, in ein paar Stunden ein paar geistreiche Sätze hinzulegen? Bei VW muss ein Arbeiter in 4 Stunden eine Menge Autos montieren.

Karsten Dörre / 25.02.2019

Farben in Bezug auf Menschen zu nennen ist rassistisch. Es gibt keine Weißen, keine Schwarzen, keine Gelben und keine Roten. Noch ungelöst ist das Problem mit den grünen Männchen. Begrüßungsworte der ersten Begegnung: “Sehr geehrte diverse Alien*innen und Außerirdischen*innen!”

Lars Schweitzer / 25.02.2019

@Sabine Schönfelder: “Soll Filme geben, die einfach nur gut gemacht sind, mit grandiosen Schauspielern und tollen Bildern, die unterhaltsam die Seele berühren, deren Dialoge Kultstatus erlangen, einfach nur deshalb, weil sie so pointiert genial sind. Mensch Borcholte, so einen solltest Du Dir mal anschauen und entspannen” - tjaaa, so mögen wir denken. Als Großkritiker und PC-Beauftragter in Personalunion kann man das aber nicht bringen. Denn zum einen muss man möglichst elitär tun und zum anderen ist Lebensfreude als verdächtiger Eskapismus, vielleicht sogar chauvinistischer Hedonismus zu verurteilen.

Mathias Koecher / 25.02.2019

Wenn für den betreffenden Journalisten das Arbeitszeitgesetz gilt (das 11 Stunden Pause zwischen Arbeitsende und Arbeitsantritt verlangt, was vom Arbeitgeber zu überwachen ist) dann droht ein empfindliches Bußgeld, evtl. sogar in Hamburg. Der Gute wird ja kein scheinselbständiger “freier” Knecht sein…

Hans-Peter Dollhopf / 25.02.2019

Das ist ja nichts Neues, dass unsere hirntoten Medien selbst Meldungen aus den abstrusesten Ecken unhinterfragt duplizieren, bis selbst die Mutti aus dem Weißen Haus in Berlin als Leserin weiß, dass nach “Hase, Du bleibst hier!” unterschiedlichste Nachrichtenportale von Dutzenden selbst recherchierten einzelnen Hetzjagden berichtet hätten. Fragt sich nur: Wer hat hier von wem dupliziert? Darum wäre als Nächstes auch zu bedenken, ob zwei kongeniale Autoren hier vielleicht getrennt zum gleichen Resultat fanden, so wie einst Gottfried Wilhelm Leibniz und Isaac Newton getrennt zur Infinitesimalrechnung? Wer aber würde beim kultur-wissenschaftlichen Nachforschen geistes-phänomenologischer Gemeinsamkeiten zwischen Tim Grierson und Andreas Borcholte nicht an Hirntumor erkranken? Trotzdem ergibt sich diese Frage, da die deutsche Ausgabe von Wikipedia zu dieser Stunde in ihrem “Green Book”-Artikel bereits fleißig die Koryphäe Borcholte referenziert. Allerdings wegen seines SPON-Artikels vom 19. Januar, denn der Online-Artikel vom STONE ist mit 20. Februar datiert! Ehrlich, für mich ist Infinitesimalrechnung hipper als dieser Film mit Oscar und den beiden Kulturwächtern.

Walter Neumann / 25.02.2019

Relotius ist eben kein Einzelfall. Ist System beim SPIEGEL.

Karl-Heinz Vonderstein / 25.02.2019

Wieso sind eigentlich Schwarze nie rassistisch oder andere Rassen, außer Weiße?

Heike Petermann / 25.02.2019

der “Like a Rolling Stone” Bob hat ja schon 1964 den 1968ern während seiner Rede zum “Tom Paine Award” den ordentlich alkoholisierten Stinkefinger gezeigt. Das hat aber weder bei den amerikanischen noch deutschen “Rolling Stonern” zu Selbstzweifeln am Glauben an das durch und durch Gute ihres zutiefst verinnerlichten Kultur-Rausch-Bolschewismus geführt. Nun denn, nochnichteinmal mit seinem lakonischen Spätwerk “Things have changed” konnte der Alte die bis heute aktivistischen Bannerträger seines juvenilen “The Times they are a-changin” loswerden. Was sagen eigentlich die “Rolling Stones” dazu?

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