Wolfram Weimer / 01.06.2013 / 15:32 / 0 / Seite ausdrucken

Öttinger zurück ins Ministerpräsidenten-Amt?

EU-Kommissar Öttinger schockiert die Europäische Union mit offenen Einsichten zur Krise Europas. In der Sache hat er Recht. Doch die politische Fernwirkung Öttingers nährt Vermutungen

Günther Oettinger gibt den Klartexter: Die EU sei ein “Sanierungsfall”, Italien unregierbar, Frankreich reformunfähig, England in der Hand von Europahassern. Deutschland habe seinen Zenit überschritten und mache Fehler wie die unausgegorene Energiewende. Öttinger gefällt die ganze Richtung nicht. Denn statt die Wettbewerbs- und Schuldenkrise zu bekämpfen, zelebriere Europa “Gutmenschentum” und führe sich als arrogante “Erziehungsanstalt” für den Rest der Welt auf.

Selten hat ein EU-Kommissar – normalerweise sind das Hohepriester des bedeutungslosen Kompromißsprechs – so herrlich deutlich die Wahrheit gesagt. Und während das sich links-politisch-korrekte Europa unter der Führung von Francois Holande entsetzt und wütend ärgert, bekommt Öttinger von weisen Freidenkern wie Helmut Schmidt einfach Recht. Öttingers Mahnung (“Mir macht Sorge, dass derzeit zu viele in Europa noch immer glauben, alles werde gut”) wird von Schmidt ebenso geteilt wie die dringende Aufforderungen, politisch neue Wege zu gehen. Berlin und Paris reagieren inzwischen und kündigen immerhin einen Profi-Präsidenten für die Eurogruppe an.

Oettingers offene Analyse zu Frankreich wird von den meisten Wirtschaftsforschern geteilt, dass nämlich das Land sozialistisch verknöchert sei und “null vorbereitet, auf das, was notwendig ist”. Es brauche eine Agenda 2010 “mit Rentenreform, längerer Lebensarbeitszeit, Staatsquote runter”. Frankreich habe eine Staatsquote von 57 Prozent, die Zahl der Staatsdiener sei doppelt so hoch wie im EU-Schnitt; es gebe keinen Mittelstand und wenig Innovation.

Nun legt sich der tapfere Schwabe nicht nur mit Hollande sondern auch mit Angela Merkel an. Denn Öttinger findet, dass das politische Berlin “mit Betreuungsgeld, Frauenquote, Mindestlohn und Nein zum Fracking die falsche Tagesordnung” bearbeite. Deutschland drohe so bald die wirtschaftliche Schwächung: “Stärker wird Deutschland nicht mehr.”

Da Öttinger bislang nicht als steinbrückiger Klartext-Fettnapfspringer bekannt ist, dürfte sein pan-europäisches “J’accuse” einem Kalkül entspringen. Öttinger profiliert sich offenbar mit Blick auf die deutsche Politik. Denn sein CDU-Landesverband in Baden-Württemberg braucht eine starke Leitfigur, die die Perspektive auf das Ministerpräsdentenamt wieder eröffnet. Das Ländle ist die Hochburg der Union und wird irrtümlicherweise – Fukushima hat es möglich gemacht – von einem Grünen regiert. Sympathisch zwar, aber mäßig erfolgreich. Die CDU hat beim nächsten Mal beste Chancen, die Regierung in Stuttgart zurück zu erlangen – wenn sie einen überzeugenden Kandidaten aufbietet. In der Landespolitik ist derzeit keiner in Sicht. Und so fallen alle Blicke auf den ehemaligen, und vielleicht künftigen MP. Wenn Öttinger die Rolle des “Kommissar Konservativ” weiter spielt, wird er auch eine innerparteiliche Gegenfigur zur Kanzlerin. Er redet jedenfalls schon wieder so, wie man im Schwarzwald denkt.

Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online

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