Archi W. Bechlenberg / 19.07.2020 / 06:20 / 16 / Seite ausdrucken

Noch ein Herz für Frauen

Gegen die heutigen Zustände anschreiben ist, wie auf einem Bahnsteig stehen und dem abgefahrenen Zug hinterher schimpfen. Mit vollem Recht, hat er sich doch nicht an den Fahrplan gehalten. Doch auch wenn die Umstehenden applaudieren und deine drastischen Worte und wohlformulierten Schmähungen, die du dem irren Lokführer und seinen außer Kontrolle geratenen Kontrolleuren nachschleuderst, loben: Jetzt ist er eben weg. Und laut Fahrplan war es der letzte Zug; in etwa 20 Jahren soll eine Kamelkarawane vorbeikommen, aber das ist noch nicht ganz raus.

Ich sitz' in meinem Bonker, über mir drei Meter Stahlbeton, ich habe Kater Django und genug Whisky, kurz: ich bin abgetaucht in die innere Emigration. Ich muss das immer mal wieder betonen, denn gewisse Äußerungen meinerseits lassen manche aufmerksamen Leser vermuten, dass ich nicht wirklich konsequent bin in meiner Absicht, die Undinge des Lebens gänzlich unbeachtet und -kommentiert zu lassen. Ja, es stimmt, zu manchen Irrwitzigkeiten zu schweigen, fällt mir selbst dann schwer, wenn ich nur noch Überschriften und Kurzmeldungen wahrnehme. 

Es ist aber auch schwer! Beim besten Willen, selbst ich kann nicht schweigen, wenn Wald-Rambo Ernst-August von Hannover, sollte es ihn einmal nach Mallorca verschlagen, tatsächlich seit dieser Woche gezwungen ist, auf dem Ballermann vor den verschlossenen Türen der dort so beliebten und gemütlichen Jausenstationen zu stehen und dabei auf der Straße eine Pestmaske zu tragen! Das ist ja nicht einmal in Berlin Neukölln der Fall, als wäre es da nicht schon so gefährlich genug. 

Der Bierkönig bleibt für alle zu, für Peter Wackel, für Mickie Krause und auch für Ernst-August; da kann man noch so sehr der zweitälteste lebende männliche Nachkomme König Georgs III. von Großbritannien und Irland sein und womöglich gar kein Interesse daran haben, die stillen Alpenwälder zu verlassen. Nein, zu so etwas kann ich nicht schweigen. So beginnen Weltkriege. Deutsche und britische Mallorca-Fans tun sich zu einem Zweckbündnis zusammen, stellen eine Kriegsflotte auf (die Briten mit Schiffen, die Deutschen mit Beratern) und kommen auf dem Weg Richtung Balearen bei Trafalgar einem NGO-Schlepper in die Quere, auf dem gerade die Pest unter den dreiundfünfzig minderjährigen Knaben an Bord wütet... Man mag sich das gar nicht weiter ausdenken. Zudem die Mallorquiner eine Invasion, die sie aus dem spanischen Masken-Joch befreit, vermutlich begrüßen würden, immerhin spielen „sich dort, wo sonst schon zu früher Stunde Tänzerinnen leicht bekleidet Kunden anlocken und die Gäste einen über den Durst trinken“, derzeit bewegende Szenen ab. (Express). 

Wie die Erdmännchen im Zoo, wenn man sie bei Regenwetter besucht 

Für Düsseldorfer immerhin gibt es einen kleinen Trost: Königsallee statt Bierkönig. „Dort war es letztes Wochenende völlig überfüllt, und die Menschen mussten draußen keine Maske tragen – im Gegensatz zu Mallorca“ klagen Insel-Urlauber, die in Erwartung von Ramba Zamba nach Malle gejettet waren und dort nun vor verschlossenen Türen stehen. Mit ein wenig Glück wenigstens zusammen mit den leicht bekleideten Tänzerinnen, die sicher für jede Abwechslung dankbar sind, so wie die Erdmännchen im Zoo, wenn man sie bei Regenwetter besucht. 

Wer hat nur gesagt „Ich bin am konsequentesten in meiner Inkonsequenz“... ich komme gerade nicht drauf. Groucho Wilde? Oscar Marx? Nun, ganz so schlimm ist es bei mir ja nicht, aus den Niederungen des Weltgeschehens halte ich mich sowohl als Interpret wie als Kommentator schon länger wirklich konsequent heraus. Ob man drüber schimpft und schreibt, es ändert ja doch nichts mehr. Wussten Sie eigentlich, dass laut Meinungsforschungsinstitut „Forsa“ die meisten deutschen Männer von Sex mit Lena Meyer-Landrut träumen? Lena Meyer-Landrut ist ein dünnes, knochiges Mädchen, das mal was mit Singen gemacht hat, und dass ausgerechnet sie die feuchten Träume von repräsentativ befragten 1.000 Männern beherrscht, ist mir ein völliges Rätsel. Zumindest die liierten Männer dürften nach einer Nacht mit Lena in mehrfacher Erklärungsnot stecken. Sie müssten der Gefährtin (die vermutlich heimlich von Sex mit Elyas M'Barek oder irgend einem anderen Fußballer träumt) nicht nur den „Lena’s Love Collection Lippenstift“ (gibt es insgesamt 6 verschiedenen Farbnuancen) auf T-Shirt, Hemd oder Boxershorts erklären, sondern auch die blauen Flecken, die mann sich im Clinch mit dem zarten Wesen zweifelsfrei stoßen würde. Bei mir erwacht jedenfalls nicht der Sexual-, sondern der Fütterungstrieb, wenn ich das dünne Mädchen sehe. Den repräsentativ befragten 1.000 Männern empfehle ich mal einen Blick in die britische Knallpresse, da findet man en masse leichtbekleidete Damen, die deutlich mehr auf den Rippen haben.

Ich schweife ab; eigentlich will ich ja heute zum inzwischen dritten Mal etwas über bemerkenswerte weibliche Stimmen schreiben, und bisher noch nicht ein Wort dazu. Mein Fehler, ich sollte eine Augenmaske tragen, um wenigstens einen letzten Rest an innerer Emigration zu erhalten und somit in überhaupt keine Informationsquelle mehr zu geraten. Haben Sie das übrigens auch gehört, das von... SCHNÜSS!

Also kein weiteres Wort zu grausamen menschlichen Tragödien wie „Im Suff ließ ich mir schon 15 Tattoos stechen!“, „Die Schinkenstraße ist dicht“ und „21-Jährige verdient ihr Geld als Hund“. Stattdessen etwas sinnlich-nostalgische Musik aus einer Zeit, in der Frauen noch Negligées trugen, und das nicht nur im Bett, sondern auch auf den Covern ihrer Platten.

Byzantinischer Formenreichtum

Helen Grayco war so eine Künstlerin, ihr 1957 erschienenes Album „After Midnight“, einst eine gesuchte und (von mir) teuer bezahlte Rarität, wurde als CD neu aufgelegt; was eine gute Idee war. Ihr Titel „Take me in your arms“ passt wunderbar zu dem Cover, und die bei Youtube zu findende Version bietet noch einen weiteren Augenschmaus, nämlich illustrierende Bilder des britischen Malers Jack Vettriano, dessen Stil man mit „“Edward Hopper minus Langeweile plus Erotik“ bezeichnen kann. 

Julie London ist eine weitere erotische Ikone aus der Zeit, als Frauen noch von ihren Hüfthaltern umgebracht wurden; sie nahm Platten mit schlüpfrigen Titeln wie „Nice Girls Don't Stay for Breakfast“ auf und machte bis in die Mitte der 1970er nicht nur als Sängerin, sondern auch als Schauspielerin eine hübsche Karriere. Ein schönes Beispiel ist diese Szene aus dem Film "The Girl Can't Help It", in dem sie einem durch Alkohol bedingt arg derangierten Tom Ewell überall erscheint – Ewell, das Männchen, das neben Marylin Monroe steht, wenn sie sich die kühle Luft aus der U-Bahn – ich schweife ab. Wie kommentiert es ein Youtube-Seher? „Während manche Süffel nur rosa Elefanten sehen, hat Tom Ewell Visionen der hinreißenden Julie London, gekleidert in einer Auswahl von eye-popping chintzy outfits.“

Dabei ist der eigentliche weibliche Star dieses Films (zu Deutsch „Schlagerpiraten“ arghhhh!) Jayne Mansfield, ein Marylin-Monroe-Klon, über den einst der Spiegel (1957) schrieb: „Im Vergleich mit dem byzantinischen Formenreichtum der Mansfield schrumpft das Vorbild zu einer dürren Audrey-Hepburn-Erscheinung zusammen“. Jayne sang nicht selber, sondern ließ sich besingen, so im vorhin genannten Film von Little Richard, der vermutlich lieber einen John Mansfield besungen hätte, was allerdings zur damaligen Zeit ein abruptes Karriereende bedeutet hätte. 

Jayne nahm ein trauriges Ende, sie wurde nur 34 Jahre alt und kam 1967 bei einem Autounfall in Louisiana ums Leben. Immerhin hat sie es in der kurzen Zeit auf drei Ehemänner und fünf Kinder gebracht. Der Regisseur John Waters erinnert sich in einem Clip auf Youtube an „The Girl Can't Help It“. Mit sexy Frauen kennt Waters sich aus, hat er doch wesentlichen Anteil an der Karriere von Divine.

Zugegeben – müsste ich mich bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Forsa“ entscheiden, ob ich lieber ein Date mit Lena Meyer-Landrut oder mit Divine hätte, wäre eine Gegenfrage unvermeidlich: „Welche Art von Date?“ Ginge es dabei um den Austausch amüsanter Erlebnisse und Erinnerungen aus der guten alten Zeit voller Esprit und Witz, ich würde mich ohne Wenn und Aber für Divine entscheiden. Ginge es um das Andere – nun, dann würde ich fragen, ob ich stattdessen auch eine Flasche Laphroaig Quarter Cask haben könnte. Die Platten von Julie London hätte ich schon da.  

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Wolf Hagen / 19.07.2020

Nun mag es am Alter liegen, aber Lena ist allemal attraktiver als Ihre Alternativauswahl. Aber bekanntlich ist Schönheit etwas, welches im Auge des Betrachters liegen soll, von daher sei es drum… In die “Innere Immigration”, fürchte ich, haben sich schon zu viele geniale Schreiberlinge begeben und den Schwachmaten landesweit das Feld überlassen. Ich für meinen Teil befinde mich (als bekennender Medien-Junkie) auch auf dem Weg in die “II” oder “ii”, nebst meinem Hund (bekennender Fleischwurst mit Knoblauch- Junkie), was ich daran erkenne, dass ich bereits seit zwanzig Jahren im TV nur noch Doku und Nachrichtensender schaue und ansonsten eben gemütlich durchs Inet surfe. Netflix und Amazon Prime sei Dank, kann man sich sein Programm einfach selbst erstellen. Ausgerüstet mit genügend Leckerchen für Hund und Herrchen, sowie Unmegen an Wein, Kaffee und Kippen kann man es schon gemütlich aushalten in der “II”. Man lernt sogar seine Bosheiten so zu formulieren, dass die meisten Moralaposteln und Gutmenschen sie nicht wirklich wahr nehmen, bzw. noch kein Gesetz dagegen erfunden haben. Es mag nichts nützen, aber ich bin trotzdem gerne der Sand im Getriebe. Ich denke, Sie auch, Herr Bechlenberg, denn alles andere wäre zu schade.

Bernd Ackermann / 19.07.2020

Das Date mit Divine muss leider ausfallen, denn er/sie/es ist schon seit mehr als 20 Jahren tot. Herzanfall, bei dem Gewicht nicht überraschend. Das könnte also maximal eine Séance werden, ob dabei etwas rauskommt? Cindy aus Marzahn wäre vielleicht eine Alternative. Und die Lena war früher durchaus scharf, bevor sie so klapperdürr wurde. Mein Plan für innere wie äußere Emigration sah so aus, dass ich Roman Arkadjewitsch Abramowitsch eine seiner drei Yachten abkaufe und mich fortan nur noch in internationalen Gewässern aufhalte, wie es mir die Berater von Ernst & Young empfohlen haben. Nach einem Blick auf meinen Kontostand musste ich das allerdings wieder verwerfen. Verdammt auch. Haben Sie noch etwas von dem Whisky?

Martin Landvoigt / 19.07.2020

Innere Immigration, das depressive Eingeständnis der Niederlage, erinnert an die äußere Immigration, die in Star Wars von Obi-Wan Kenobi, Yoda, und später Luke Skywalker demonstriert wurde. Nur haben wir in der Realität keine alternativen Planeten, und der unselige Zeitgeist ist mittlerweile global. Aber die Frage lautet: Wenn wir an den Geschicken der Welt keine adäquate Teilhabe mehr haben: Was zwingt uns denn dazu? Können wir nicht einfach im Rahmen der Möglichkeiten so leben, wie wir es für richtig halten?

Mike Höpp / 19.07.2020

Lieber Herr Bechlenberg, wie schierig muss es sein, als Kolumnist und Autor ins selbstgemachte Exil zu gehen, aber doch nicht verschont zu bleiben von äußeren Einflüssen? Ist der Konflikt nicht größer als die Teilhabe? Nun denn: beim Hören von Cathy Berberians ‎ Beatles Arias dachte ich an Sie. Kennen Sie bestimmt! Diese pseudo- barocke Lesart der Beatles- Songs, die so voller Ironie sind und doch aus ernsthafter Beschäftigung entrstanden sind. Ich Glücklicher hörte in der DDR SFB 3 und eine Sendung “Klassik zum Frühstück” moderierte eben Cathy Berberian. Ein Fest! War zwar damals zu jung, um alles zu begreifen, aber berührt hat mich das sehr wohl! Das war noch Rundfunk! ‘youtu.be/WLqVioiDldc’ Ein Hoch auf das Herz für und mit und von Frauen!

Bernhard Freiling / 19.07.2020

Amüsante Erlebnisse mit Divine austauschen? Aber nur mit entsprechendem Abstand, bitte. Am Besten, nur per Telefon kommunizieren. Divine, der, die, das Ding, welches lt. dem Buch “Superstar” Hundeköttel gegessen hat?

Wilhelm Stock / 19.07.2020

Was ist ein Sonntag ohne Bechlenberg? Wie eine Ortsgruppenversammlung des Veganervereins „Grünes Baden-Württemberg“

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